15.01.2022 – Vom Anthropozän zum Pandemozän


Neulich vor meiner Tür. Ebola-Ausbruch? Mord und Totschlag? Kaputte Gasleitung? Auch wenn es nicht Kreuzberg ist, ein bisschen Leben ist immer hier im Viertel und so nahm niemand weiter zur Kenntnis, als ich angesichts der mich während des Einkaufs erreichenden schlechten Nachricht spontan und laut fluchte: „Scheiße!!“ Der Karneval der Kulturen in Berlin fällt zum dritten Mal hintereinander Pandemiebedingt aus.
Nachvollziehbar. Allerdings hatte das für mich über den Nachrichtengehalt hinausgehenden, frustrierenden Symbolcharakter. Bis dato war dieser Termin für mich eine Art Leuchtfeuer in trüben Zeiten gewesen, Hoffnung am Horizont, Land in Sicht, irgendwann ist wieder normal. Dieser Symbolgehalt drehte sich nach der Absage. Nun schien mir das frühere Leuchtfeuer der Hoffnung eher wie ein Menetekel, eine flammende Leuchtschrift, die nichts Gutes verheißt. Ein oder zweimal Absage ist ok, das sind Ausrutscher, nichts, was man nicht korrigieren könnte. Aber dreimal? Dreimal ist der Beginn von Kontinuität, da setzt der Regelfall ein. Wer weiß, ob es den Karneval in der bekannten Form absehbar (jemals?) wieder geben wird? Den Veranstalter*innen ging ähnliches durch den Kopf, schreiben sie doch in ihrer PM: „…. gemeinsam mit allen Akteur*innen und denen, die es werden wollen, eine neue Vision für den Karneval entwickeln…“ Karneval der Kulturen zukünftig per Zoom?
Es zeichnet sich zwar für OmiKorn Hoffnung am Horizont ab, leichterer Ansteckungs-Verlauf (wie auch immer der für Ungeimpfte aussehen mag), aber was kommt danach? Endemie? Oder nie? Oder Alpha 2.0? Delta im Quadrat? Vogelgrippe für alle, die Natur gibt einen aus? Zur Erinnerung an den letzten, noch sehr begrenzten, Ausbruch: Da sterben am Influenza-A-Virus H1H5 vulgo Vogelgrippe von 861 Infizierten 455. Wenn der sich mit einem Erreger von Humangrippe kreuzt, ist das, was wir jetzt erleben, gesellschaftlich gesehen eine Kuschelsituation….
Ich schob mein Einkaufswägelchen vor mich hin, nun nur noch innerlich fluchend wie ein Kutscher, und ein gruseliger Gedanke in Form einer brillanten Formulierung schoss mir durch den Schädel: Markiert dieses Menetekel des Karnevals den Übergang vom Anthropozän zum Pandemozän? Also von jenem aktuellen Zeitalter, in dem der Mensch der beherrschende Faktor der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde ist, hin zu jenem, in dem die Pandemien die Herrschaft übernehmen?
Sofort hatte ich gute Laune ob dieser, wie ich hoffte epochemachenden, Formulierung. Ich googelte sofort „Pandemozän“, ob da nicht irgendein Schlauberger mir zuvorgekommen war. War natürlich. Mist.
Aber nur einer! Auf Twitter.
Das gildet eh nicht. Ich bin also aktuell dabei, Gebrauchsmusterschutz für den Begriff „Pandemozän ®“ anzumelden. Dann verdiene ich mich an der Seuche dumm und dämlich. Alles wird gut, auch ohne Karneval.
Narhalla Marsch und Tusch und fröhliches Wochenende, liebe Lesende.

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