20.02.2022 – Vernunft ohne Gedächtnis ist wie Arsch ohne Eimer.


Erinnerungen? Gerne, aber nur solange sie nicht der Vergangenheit angehören.
»Wir haben in den Zwei-plus-vier Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die Nato nicht über die Elbe (!!, d. A.) hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten.«
So 1991 BRD-Vertreter Jürgen Chrobog laut Vermerk aus dem britischen Nationalarchiv. Der US-Politikwissenschaftler Joshua Shifrinson hat das ursprünglich als »secret« eingestufte Dokument entdeckt. Es handelt von einem Treffen der politischen Direktoren der Außenministerien der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands in Bonn am 6. März 1991. In den Zwei-plus-vier-Verhandlungen hatten Bundesrepublik und DDR mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs USA, Großbritannien, Sowjetunion und Frankreich die deutsche Einheit verhandelt.
Wer älter als Jahrgang 1970 ist, am Zeitgeschehen interessiert und ein funktionierendes Gedächtnis hat, das nicht von der Ideologie der Bürgermedien zugekleistert wurde in den letzten Jahrzehnten, sollte sich auch ohne diesen „sensationellen“ Dokumenten Fund erinnern: Ein zentrales Thema in den Medien nach dem Fall der Mauer war die Rolle eines wiedervereinigten Deutschlands in der Welt. Ein Modell: Neutral, ohne Bündniszugehörigkeit. Also raus aus der Nato. Das wollte die Sowjetunion. Zwei Argumente überwanden deren Widerstand: Milliarden Bimbes und die oben zitierte Zusicherung. Jede Osterweiterung seitdem, angefangen bei Polen, war ein aggressiver, wortbrüchiger Akt der Nato.
Wer wollte, nur vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, die ja noch nicht zu Ende ist, dem russischen Bären verübeln, dass er aufjault, wenn sich die Nato anschickte, ihm an der ukrainischen Grenze über eine Länge von 2.000 km Nato-Militär nach gehabtem Muster an den Pelz zu setzen. Vielleicht nicht heute, aber übermorgen, siehe (sukzessive ab 1999) Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien etc. pp.
Was mich wundert in dieser Causa (rhetorische Floskel. Mich wundert nichts mehr) ist nicht so sehr das aggressive Agieren der Nato. Irritierend ist der kollektive hiesige Gedächtnisverlust. Um den Geist des obigen Vermerks zu rekapitulieren, wenn man schon selber Flasche leer im Kopf ist, würde ein Gang in die öffentlich zugänglichen Medienarchive aus dieser Zeit genügen, alle Leitmedien waren voll davon. Ein einziger Klick z. B. im Internet genügt, um in Sachen 2. Nato-Osterweiterung 2004 folgenden Fundstelle zu erhalten:
… Putin wird also versuchen, den Beitrittsprozess zu verzögern. Er wird einen hohen Preis für seine Zustimmung fordern. …“
Zustimmung Putin. Das war, noch nach 2000!, allgemeiner Konsens.
Und heute steht der Krieg vor der Tür. Ich sach et mal volkstümlich: Vernunft ohne Gedächtnis ist wie Arsch ohne Eimer. Beide können unabhängig voneinander existieren, aber mitunter liegt die Scheiße, die dabei rauskommt, auf dem eigenen Wohnzimmerteppich und stinkt zum Himmel.
Vox populi ruft mir gerade gefühlt entgegen: Geh doch nach drüben, wenn es Dir hier nicht passt!
In Russland leben? Um Gottes Willen. Ein von Popen geprägtes kulturfernes Geistes-Klima, antisemitisch, frauenfeindlich, homophob, das allgemeine Kunstlevel bewegt sich auf der Höhe von Ikonenmalerei, die selbst von der in der Renaissance wiederentdeckten Zentralperspektive nichts wusste. Mittelalter eben.
Dann lieber in den Metropolen des verfluchten Nato-Kapitalismus dem Untergang entgegentanzen. Babylon Berlin, ich komme.

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