
Kassenhaus SCHUPPEN 68. Wurde bei Straßenaktionen immer zum Einsatzort gekarrt. Das mobile Kassenhaus, eine für unsere öffentlichen Interventionen völlig überdimensionierte Skulptur ohne jede Funktion, ragte in ihrer anarchischen Sinnlosigkeit schräg in die von Hektik und Hässlichkeit geprägte Stadtöffentlichkeit.
Fiel mir eben bei einer der kleinen Fluchten aus der kriegerischen Gegenwart in die Hände respektive, da digitalisiert, vor die Augen. Und 2022 sitze ich vor dem TV und gucke mir Talkshows an, was ich früher nie gemacht habe. Die haben was von geistigem Dschungelcamp und sind überraschungsfrei wie eine Tüte Mehl. Aber die Zeiten sind andere. Nicht uninteressant zu wissen, wie denkt und redet die Elite in unübersichtlichen Zeiten. Wo geht der Marsch hin?
Anne Will also. Es fing schrecklicher an, als ich befürchtet hatte. Den zweiten Aufschlag machte ein von Logik, Sinn und Grammatik sichtlich überforderter Historiker namens Schlögel, der von Emotionen derart übermannt war, dass ich dachte, gleich bricht er zusammen. Das Intro hatte er sich Zuhause wohl überlegt, getreu dem rhetorischen Grundsatz: Mit einem Paukenschlag rein und einem Tusch raus. Zitat:
„Wir sitzen hier und eigentlich sollten wir nicht hier sitzen, sondern wenn ich mir überlege, was ein oder zwei Generationen vor uns gemacht haben, die sind in die Internationalen Brigaden nach Spanien gegangen“
Ein Aufruf, in den Krieg zu ziehen, und zwar nicht, wie der Spiegel in seiner Rezension schreibt, wie üblich nicht nur zu dumm, um zu verstehen, sondern auch um zuzuhören, an die Jugend, sondern explizit an die im Studio Anwesenden, also Frauen, und Männer im Volkssturmfähigen Alter wie Schlögel mit Jahrgang 48.
Lassen wir mal beiseite, dass die Internationalen Brigaden keinesfalls verdient haben, dass sich ein Mitglied der deutschen Elite an sie ranwanzt, einer Elite, die aus der Tradition nicht der Brigaden sondern der Legion Condor kommt. Wenden wir uns lieber dem unglaublichen Kriegskitsch zu, den der Professor da absonderte. Vollkommen folgerichtig wütete Schlögel nach dieser Entgleisung in einem Akt verräterischer Projektion den Kitsch-Vorwurf explizit an die hiesige Linke, sie würden „Russen-Kitsch“ verbreitet haben. Haben sie. Und das wird ihnen bei den nächsten Wahlen den Rest geben.
Aber das müssen die sich nicht von einem Professor vorwerfen lassen, bei dem man den Eindruck haben muss, er habe sogar den Volksschulabschluss in der Lotterie gewonnen. Vom Kitsch zum Pathos ist es nur ein Schritt, und danach wird es duster. Was dann? Zu den Waffen? Nun, Volk, steh auf, und Sturm brich los?
Putin ist ein Verbrecher, geisteskrank , alles, was Sie wollen, und es bleibt zu hoffen, dass die russische Gesellschaft die Stärke besitzt, diesen Irren dem Internationalen Gerichtshof zu überantworten. Aber darüber sollten die hiesigen Zustände, siehe Schlögel und viele, viele andere, nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Ich empfand das Zurschaustellen der Schlögelschen Phantasien so bezeichnend wie obszön. Nichts ist verräterischer als Phantasie. Das toppt sogar Sprache, die wesentlich kontrollierbarer ist. Aber die reicht auch schon.
28.02.2022 – Kleine Fluchten aus der kriegerischen Gegenwart
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