
Ich setze einen Dollar auf Ölbäume. US-Silberdollar von 1922. Wenn alle Stricke reißen, nehme ich den und setzte mich damit nach Korfu ab, unter die Ölbäume. Gold und Silber ist in Krisenzeiten überall akzeptiert, gerade dann, wenn Wertpapiere sich im freien Fall befinden und Geld nur noch Papier wert ist. Und bevor Sie, liebe Geld übrighabende Leserinnen, sich jetzt zum nächsten Degussa-Laden aufmachen und mit Edelmetallen eindecken, bedenken Sie zweierlei: an Gold klebt Blut.
Und kaufen Sie keine Kilobarren. Wenn Sie damit beim Bäcker Brot bezahlen wollen, könnte es mit dem Wechselgeld Schwierigkeiten geben. Nehmen Sie Münzen. Ich hatte gehofft, dass der aus den Untiefen meines Archivs geborgene Dollar mich von allen finanziellen Beschränkungen befreien würde, ein Fehldruck, der 6 Mio. Euro wert ist. Ein Klick: 34,90. Für ein romantisches Stranddinner reicht es vielleicht.
Das führt uns zur Frage: Wie schmeckt Krise überhaupt, wie fühlt sie sich sinnlich an? Wenn der irische Bauer 1848 eines Morgens an seinen Kartoffelacker trat und das Kraut welken sah, verfaulen, dürfte ihm ein eiskalter Schreck des Todes in die Glieder gefahren sein. Er wusste im Rahmen der großen Hungersnot in Irland: Das ist der Anfang vom Untergang seiner Existenz. Der Tod. Wenn er nicht rechtzeitig in die USA auswanderte
Krise war da mit allen Sinnen erfahrbar, begreiflich. Ist das also der Geschmack von Krise? Kommt drauf an.
Ganz anders die Finanzkrise von 2008, wo Staatspleite, Bankenchaos und Wirtschaftskrise vor der Tür standen und das angeblich nur durch Merkels Zusicherung verhindert wurde, der Staat würde für alle Einlagen haften
Können Sie sich erinnern, was Sie an dem Tag gemacht haben? Anders als vermutlich am 11.9.2001, als die Flieger in die Tower rauschten. Hatten Sie 2008 Angst, der Krisenrohstoff schlechthin? Ging es Ihnen danach materiell schlechter?
Krise also hier als völliges Abstraktum, mit keinem Sinn zu erfahren. Für Abstraktionsfähige höchstens als Kopfgeburt.
Corona erfahren wir seit 2 Jahren Tag für Tag sinnlich, selbst wenn wir nicht gestorben oder an Long Covid erkrankt sind. Angst, Furcht, innere Unruhe, Niedergeschlagenheit, Müdigkeit, Depression etc. pp.
Krieg in der Ukraine hat das von einem auf den anderen Tag verdrängt. Corona? War da was? Novavax? Brauch ich nicht.
Klimakrise. Macht Ihnen Angst? Glaub ich nicht. Gedanken vielleicht, ein Anflug von Sorge. Aber bestimmt keine Angst. Wenn Sie eine von den Guten sind, anders als ich, und ethisch verantwortungsvoll handeln, lassen Sie das Fliegen sein. Aber nur weil Sie entweder Kinder haben oder ein hohes Abstraktionsvermögen und soziologische Phantasie. Sie haben eine Vorstellung von dem, was kommen könnte, eine Kopfgeburt.
Wir sind nach wie vor Höhlenbewohnerinnen, deren Krisenbewältigungsfähigkeit begrenzt wird durch sinnliche Erfahrung, Reiz-Reaktionsschema: Säbelzahntiger greift an, Adrenalinausschuss, Angriff oder Flucht.
Klimakrise? Wohn ich im Ahrtal? Klimakrise vielleicht in 50 Jahren, wenn ich im Altersheim von Dauerhitzewellen über 40 Grad im Sommer gebeutelt werde. Das ist noch lange hin. Bis dahin flieg ich mit meinem Silberdollar nach Korfu.
Wegen derartiger Mentalitäten wird die Menschheit langfristig die Silber-Löffel weglegen und sich zu dem entwickeln, was wir im Grunde unserer Evolution immer noch sind: Höhlenbewohnerinnen.
Gute Reise.
02.03.2022 – Wie fühlt sich Krise sinnlich an?
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