21.07.2022 – Ab Morgen ist hier wieder Krisenkacke am Dampfen


Archivfoto 70er Szenekneipe? Wirtshaus Leydicke, Schöneberg, 2022.
Bei den Bands, die hier auftreten, dürfte mitunter die Hütte brennen. Bei der Enge vor der Bühne für mich allerdings in diesem Corona-Leben ein No-Go. Schade, ich halte mich dann an die Destillerie-Produkte (Persiko! Dass es den noch gibt, hat mich zu Tränen gerührt. Wie viele Monsterschädel verdanke ich diesem Anschlag auf die Gesundheit der Jugend der Welt…) von Wirt Raimon. Hier die Verse zu den Produkten, die ein kongenialer Kollege verfasst hat. Mit dem ich allerdings noch mal über Metrik, Jambus, Trochäus usw. usf. diskutieren muss.

Liebst Du des nachts das Risiko?
Versüße es mit Persiko!

Bei Streit, Unwohlsein und Gewitter
empfehlen wir `nen Magenbitter.

Sehnst Du Dich nach einem süßen Kuss?
Gönn Dir einfach Cacao-Nuss!

Bei Schwiegermutti zum Kreuzverhör?
Schenk ihr einfach ’nen Eierlikör!

Und wenn Du nicht mehr weiter weißt
hilft immer noch der Himbeergeist!

Es gibt magische Orte, wie das Leydicke, die betritt man und ist gefangen von der Aura. Die zu bestimmen allerdings schwierig ist, wie das mit transzendenten Dingen so ist. Es ist eine Mischung aus Abgewandtheit von der postmodernen Welt, sanft-melancholischer Heiterkeit, in einem Bild eingefrorene Erinnerungen an Vergangenes, aber auch fröhliches Versprechen auf ein lebendiges Hier-und-Jetzt. Und Raimon nicht zu vergessen, der mit seiner distanzlos-rustikalen, herzlichen Vereinnahmung jeden norddeutschen Distanzversuch zunichte macht.
Kein Wunder, dass am Wochenende die Jugend der Welt vor dem Etablissement die Nacht zum Tage macht. Was aber nicht mehr meins ist, ich ziehe eher Altern in Würde vor. So wird mich die milde Abenddämmerung hier wiederfinden, nach Besuch der Berlinale.
Ich grübelte im Zug nach Hangover darüber nach, woran mich das Setting da erinnert und warum gerade dieser Ort so meine Zustimmung findet. In meinem Garten, in einer verwunschenen Ecke, fast zugewachsen, fand ich eine Antwort.

Das gerettete Firmenschild der „Likörfabrik Ursula Bütow“. Eine Weinhandlung aus dem vorigen Jahrtausend, mit Produkten aus der eigenen Brennerei, wie dem besten Weinbrand des Universums. Dort gab sich die reifere Jugend der Welt dem alkoholischen Genuss hin, während der Regen durch das undichte Dach in bereitgestellte Töpfe und Eimer trommelte.
Auch bei „Leydicke“ und „Bütow“ wieder das Topos des locus amoenus.
Wenn es überhaupt einen Sinn im Leben gibt, dann den des behutsamen Sammelns solcher Orte wie kostbare Perlen.
Genug der Fluchten in weltferne Idyllen. Ab Morgen ist hier wieder die Krisenkacke am Dampfen. Russe. Gas. Corona. Inflation. Klima. To be continued …

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