03.11.2022 – Baumärkte, Darmspiegelungen und Gewerkschaften


Streik der IG Metall beim Baumaschinenproduzent Hanomag-Komatsu, 01.11.2022
Der Besuch eines Baumarktes kommt in meinem Beliebtheitsranking noch hinter einer Darmspiegelung. Wenn ich nur diese schwieligen Männerhände da sehe, die gestapelte Spanplatten und Betonmischer zärtlicher streicheln als jedes menschliche Wesen in ihrem Leben, weiß ich: Die Zivilisation ist dem Untergang geweiht. Das Blaumanngekleidete Grauen. Baumarktbesucher, Fußballfans und Kirchgänger belegen in meinem Personengruppenbeliebtheitsranking letzte Plätze. Aus solchen Schichten, die teilkongruent sind, wird der Mörtel gerührt, der das Fundament unserer Gesellschaft bildet und entsprechend sieht sie ja auch aus.
Meine Laune war ergo nach einem notwendigen Besuch in diesem Vorhof der Hölle nahe dem Gefrierpunkt. Hellte sich im Verlassen dieses locus horribilis aber jählings auf, als von Nahem quäkendes Lautsprecher-Popgeplärre und Trötenlärm scholl. Das Leben findet auf der Straße statt und nicht zwischen Buchdeckeln oder in Baumärkten, ergo lenkte ich den Weg meines Pedalo-Zossen sofort dort hin. Warnstreik der IG Metall. Siehe oben.
Ich bin schon so lange IG Metall Mitglied, dass meine Ehrennadel für 100 Jahre Mitgliedschaft Staub angesetzt hat. Als ehemaliger Betriebsrat, Delegierter, Bildungsreferent und feuriger 1. Mai-Agitator kenne ich den Laden in- und auswendig. Die IGM gleicht, jenseits der Inhalte, aus organisationssoziologischer Sicht der katholischen Kirche: Veränderungen sind ihr natürlicher Feind, der interne Umgang mit Kritikern, gar Häretikern, ist stalinistisch, Schuld sind immer die anderen und eigentlich sind beide die Steigerung von Baumärkten. Einziger Lichtblick: Es gibt in der IGM nicht so viele Kinderficker wie in der katholischen Kirche. Hoffe ich jedenfalls.
Um da bei der Stange (!) zu bleiben, bedarf es einer gehörigen Portion Abstraktion und soziologischer Phantasie darüber, wie unsere Gesellschaft ohne Gewerkschaften aussehen würde. Nämlich noch beschissener als eh schon. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall z. B. ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde unter heftigen Entbehrungen bei den Streikenden in den 50ern in einem monatelangen Erzwingungsstreik erkämpft. Der Einstieg in die 35-Stunden-Woche, den ich persönlich noch mit erstreikt habe, war überhaupt die Voraussetzung mit dafür, dass das Verhältnis von Arbeitszeit und Lebensqualität ein Thema wurde, das dann in dem notorischen Work-Life-Balance Gequatsche von Heute mündete. Die Liste, wie unsere Gesellschaft ohne Gewerkschaften aussehen würde, ist ellenlang.
Seit Anfang der 90er, dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Sieg des Neoliberalismus, sind Bedeutung, Einfluss und Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in freiem Fall, die Mitgliederzahlen wurden mehr als halbiert. Ohne deren regulatorischen Gestaltung haben wir hierzulande einen der größten Niedriglohnsektoren in der EU, die Armut ist um 50 Prozent gestiegen und das Kapital macht, was es will. Ich halte es also bei aller berechtigten Kritik an dieser Blaumann-Baumarkt-Truppe für betriebsblind, geschichts- und Interessenvergessen und reaktionär, nicht Mitglied einer Gewerkschaft zu sein.
Die Tendenz bei denen geht allerdings dahin: Der Letzte macht das Licht aus. Es naht der finale Zapfenstreich. Und so musste ich, als ich mich warmen Herzens und nunmehr bester Laune unter die Streikenden mischte, laut und herzhalft lachen, als ein begnadeter Selbstironiker aus den knatternden Lautsprecherboxen die mit einer Milliarde Aufrufen meistgedudelte Hymne aller Pophymnen donnern ließ: The Final Countdown.
Was also, liebe Gemeinde, will uns die heutige Predigt sagen? Auch im Untergang wird alles gut. Zumindest zum Lachen.

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