04.03.2023 – Ambiguitätstoleranz und meine persönliche Lebensplanung

Moos im Bodenfrost. Der Morgentau in den Moosstrukturen gefriert, das gibt ein schönes Bild und zeigt mir: Das Moos im Garten ist auf dem Vormarsch. Ich liebe Moos. Allein deshalb, weil überall wo Moos, kein Rasen, den man mähen müsste. Was ich allerdings seit Jahren schon nicht mehr mache. Rasenmähen ist eine inakzeptable inferiore körperliche Tätigkeit. Also Danke, Moos. Derlei Gedanken fleuchen mir bei meiner morgendlichen Zenbuddhistischen Garten-Meditation durchs Haupt. Die im Wesentlichen aus dem intensiven Nachzählen der drei Gründlinge in meinem Teich besteht. Gestern Morgen allerdings war etwas anders: Der Westwind drückte intensiven Güllegeruch in meine Nase.
Ein sicheres Zeichen für nahenden Frühling, auch wenn das Wetter weiter winterlich beschissen ist. Das sei jahreszeitlich angemessen und ein gutes Zeichen für die Natur? Drauf geschissen, Natur ist was für Romantiker und Jahreszeiten sind schon lange ein Mythos, gibt’s nicht mehr. Aber schön, dass die Jugend der Welt in Form von Fridays for Future Seit an Seit mit den Genoss*innen von Verdi für den Erhalt von Klima, Jahreszeiten und höhere Löhne kämpft. Insofern fand ich den Anblick an der Hausvorderseite, der dunklen Seite des Universums, genauso ansprechend wie den des Mooses: An der nahen Kreuzung Autoschlangen ohne Ende. Whow, dachte ich, wie in der Großstadt. Bestreikter ÖPNV, also PKW ohne Ende. Dieser Anblick, hinten zartes, zenbuddhistisches Moos, vorne stinkende Autokolonnen, war eine feine Schulung für Ambiguitätstoleranz – also die in Krisenzeiten unerlässliche Fähigkeit, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit aushalten zu können. (Die nonchalante, en passant Verwendung dieses Ausdrucks bringt Ihnen, liebe Leserinnen, auf der bis 10 gehenden Sprach-Distinktionsskala eine glatte 9.)
Vorne bricht scheinbar die Zivilisation zusammen, hinten ein Hauch von stiller Poesie. Der Güllegeruch, um diesen Ambiguitäts-Ausflug in die Endzeit-Philosophie zu beenden, stellt übrigens die Dialektik zwischen vorne und hinten her. Beide stünden sonst eher unvermittelt gegeneinander.
Genug geschwafelt. Was aus pragmatischer Sicht bleibt, ist die erstaunliche Koalition von FFF und Verdi. Die Arbeitgeber und deren parlamentarische Büttel warnen, aus ihrer Sicht völlig zu Recht, vor der Überschreitung einer roten Linie in Richtung politischer Streik . Der ist in der BRD nach vorherrschender Meinung verboten, insofern er nicht ausschließlich tarifpolitische Ziele verfolgt. Zwar ist der Streikaufruf von Verdi rechtssicher abgefasst, aber mit der alltagspraktischen Intervention dieser Koalition kann sich die politische Tektonik nachhaltig verschieben. Wenn sich Gewerkschaften und soziale Bewegungen – also politische und kulturelle Aggregatzustände, die eigentlich wie vorne und hinten sind – dauerhaft und nachhaltig verbünden, entstünde ein endlich, nach langer Zeit, ein emanzipatorisches Potential, dass das Rennen um mehr sozialökologische Gerechtigkeit wieder etwas spannender machen würde. Stellen Sie sich mal vor, ein Meer von roten Fahnen und viele kreative, radikale Aktionen Seit an Seit, gespielt auf der Klaviatur der sozialen Medien, begleitet von medialem Wohlwollen (Nein, Blöd-Zeitung nicht, aber die Lehrerinnen-Postillen wie Zeit und Süddeutsche) und unerlässlichen charismatischen Figuren, sowas fürchtet das Kapital und seine Schergen wie der Heide das Weihwasser. Ich bin gespannt, was von deren Büchsenspannern demnächst als Konterattacke kommt. Eine derartige Entwicklung können die so nicht durchgehen lassen.
Was die charismatischen Figuren aus dem Gewerkschaftslager angeht, bin ich allerdings sehr, sehr skeptisch. Im Vergleich zu den Oberbonzen von IG Metall und Verdi z. B. sind Valium-Tabletten das reinste Aufputschmittel. Mir fällt spontan aus diesem Lager nur einer mit Charisma ein: Ich.
Aber erzählen Sie’s nicht weiter. Meine Lebensplanung sieht anders aus.

2 thoughts on “04.03.2023 – Ambiguitätstoleranz und meine persönliche Lebensplanung

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