09.05.2023 – Werde ich langsam ein Prepper?

Reiher. Vorne donnern täglich über 20.000 Autos an meinem Fenster vorbei, hinten im Garten werde ich öfter Zeuge von Naturschauspielen, die man eher in freier Wildbahn vermutet. Unlängst machte ein Mäusebussard Jagd, zu Fuß, das bekommen selbst Feld-, Wald- und Wiesenschrate selten mit. Die Geschichte vom Eichhörnchen, das mir in der Küche die Pantoffeln anknabberte (in denen die Füße noch steckten), ist hier nachsehbar . Mitunter begegnen sich Bussard und Eichkater auch im Garten, was für letzteren eher nicht gut ausgeht.

Obiger Reiher wurde unlängst von zwei Krähen attackiert, vermutlich weil er ihrem Nest zu nahekam. Krähen gehen, immer wohlkoordiniert zu zweit, selbst auf Raubvögel los. Der Reiher jedenfalls machte leicht konsterniert kurz Pause auf Nachbar Pauls Carport. Ein schöner Anblick, würdevoll-gravitätisch, aber doch beschwingt-elegant. Kein ganz seltener Anblick in der Unwirtlichkeit der Dachpfannen, der Reiher ist Kulturfolger und hat auch schon den Teich im hinteren Teil des Gartens leergeräubert.

Ich zählte in meinem Teich die Gründlinge nach, die, meist unten am Boden, für Klarschiff sorgen und den Teich zu einem selbstregulierenden Biotop machen. Alle drei noch vorhanden. Neulich tanzten zwei von ihnen wild umeinander und einer war am Bauch rötlich gefärbt. Vermutlich der sogenannte Laichausschlag, den Karpfenfische, und dazu gehört der Gründling, in der Laich haben. Ob der eventuelle Nachwuchs sich hier auf Dauer etabliert, bezweifle ich angesichts der geringen Teichgröße. Den werden die Eltern verfrühstücken. Der Gründling soll ein wohlschmeckender Speisefisch sein, gerne auch paniert. Was für eine Arbeit, die Viecher werden gerade 10 cm lang.

Aber natürlich spielt auch der Gründling in meinen Gedanken zur Autarkie eine Rolle. Mittlerweile prangen hier Kohlrabi, Zucchini, Tomaten, Paprika, Sellerie, Himbär. Im Krisennotfall könnte ich mit Pfeil und Bogen Eichhörnchen erlegen und Vogelnester leeren. Zusammen mit den Gründlingen bildet das eine gute Basis für ausgewogene Ernährung. Von mir aus können Ebola, Westnil, Vogelgrippe kommen, ich bin prepared.

Inwieweit das Ganze ernst gemeint ist, überlasse ich Ihrer Phantasie, liebe Leserinnen, welche ja eine der schönsten Gaben der Evolution ist. Die Tatsache, dass sowas überhaupt hier Thema ist, hat natürlich mit der Zeitenwende im Rahmen der Polykrisen zu tun. Spätestens seit Corona ist intensive Vorratshaltung ein Thema und die Gilde der Prepper, vorher als Spinner belächelt, sieht sich aufs Schönste bestätigt. Prepper, von prepared = vorbereitet, streben nach Autarkie in Krisenfällen und legen riesige Vorräte an, von Klopapier (Sie erinnern sich?) über eingelegtes Gemüse bis Trockenfisch und Notstromaggregate, Waffen, etc. pp. Überlappungen mit rechtsextremem Gedankengut dürften auf Grund der Staatsskepsis dieser Klientel nicht zufällig sein. Es gibt natürlich auch ideologisch anders fundierte Skepsis gegenüber dem Staat, der Freiheitsdrang der Hippies drängte sie aufs Land, in Kommunen, und natürlich hat jeder Altlinke mit dem Staat sowieso nix am Hut.

Alle drei Ideologieströme bringt Pop-Prosa auf einen Nenner. In der Woodstock (!) Version von  „Going up the Country“ von Canned Heat heißt es:

Now baby, pack your leaving trunk, you know we’ve got to leave today

Just exactly where we’re going I cannot say

But we might even leave the U.S.A.

‚Cause there’s a brand new game that I wanna play.

Und ich frage mich jetzt: Werde ich langsam zum Prepper? Wahrscheinlich schützt mich meine mangelnde Staatsskepsis davor. Nicht erst seit den Polykrisen halte ich den bürgerlichen Staat, bei aller notwendigen radikalen Kritik, für die letzte Brandmauer vor der Barbarei.

Und jetzt muss ich wieder Gemüse gießen. Sowas immer im Morgentau, niemals abends, da ist der Boden von der Sonne des Tages zu ausgedörrt.

Fröhliche Krisen, liebe Leserinnen.

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