06.06.2023 – Karneval, Krieg und Kosten

BILD

Gesehen beim Karneval der Kulturen. Dahinter, verdeckt, das Schild: Nie. Also:

Nie wieder Krieg.

Es ist alles eine Frage der Perspektive.

Stattdessen werden jetzt schon Staudämme im Ukrainekrieg gesprengt, wahrscheinlich der Russe. Aber eigentlich wissen wir fast nichts über den Krieg, wir verlieren die Orientierung in einem Meer von Mutmaßungen, Nachrichtenschnipseln, Meinungen, Pseudoexpertisen und als Krönung „Einschätzungen britischer Geheimdienste“. Da braucht sich um Objektivität niemand mehr den Kopf zu zerbrechen.

Fakt ist, das Sterben geht ohne Unterbrechung weiter, ohne Aussicht auf Ende oder auch nur Pause. Wird man (wer ist das eigentlich?) nach Jahren Krieg, Hunderttausenden Toten und verwüsteter Ukraine, einem Waffenstilstand ohne Aussicht auf Frieden, zu der Einschätzung kommen: Das war es wert? Das war die Verteidigung westlicher Werte und Freiheit (welcher Werte und wessen Freiheit eigentlich?) wert, auf den Knochen anderer?

Kein Wunder, dass ich lieber beim Karneval der Kulturen tanze. Ein veritabler Wirtschafts- und Standortfaktor. Zehntausende Besucherinnen aus aller Frauen Länder spülen zig Millionen in die Kassen der Hauptstadt, der Event macht Werbung für Berlin in aller Welt. Als ob das noch nötig wäre. Und als ob das nicht auch jede Menge negativer Konsequenzen, Kosten hätte. Wie die seit Jahren voranschreitende Gentrifizierung, die auch unser Haus in Kreuzberg nach dem Verkauf bedroht. Niemand dort könnte sich die Wohnungen leisten, wenn sie in Eigentum umgewandelt und zum Kauf angeboten werden. Die Hausgemeinschaft ist ein Panoptikum prekärer Existenzen. Wie der „Druckfeste“. Der hat seinen Namen der Tatsache zu verdanken, dass er 6 Monate in U-Haft saß und niemanden verraten hat. U-Haft heißt nicht: Unterhaltungshaft. Untersuchungshaft ist nicht Vergnügungssteuerpflichtig: 23 Stunden Einzelhaft, eine Stunde Rundgang im Hof, alleine, Arbeitsverbot, und im vorliegenden Fall: Kontaktsperre. Wegen Verdacht auf OK, Organisierte Kriminalität, Verdunkelungsgefahr, Vorbereitung von Straftaten etc. pp. Es ging um den Handel mit Marihuana und Haschisch in beträchtlichem Umfang, was ohne Logistik wie Einkauf, Lagerung, Verteilungssystem, eben angewandte Betriebswirtschaft, nicht möglich ist. Daher OK.

Nach dem das SEK ihn nächtens mit Rammbock und vorgehaltenen Waffen freundlich zum Mitkommen aufgefordert hatte, fehlten aus seinem Drogenkeller (ein durchgängiges Muster: Drogenbunker im eigenen Keller. Ich war mal Schöffe, ich weiß wovon ich rede. Von mir wären die Leute nicht wegen Drogenhandel bestraft worden, sondern wegen Blödheit) zwei Kilo Gras, die sich, neben Schmuck und Bargeld, das SEK unter den Nagel gerissen hatte. Ich glaube dem Druckfesten, er hat seinen Frieden gemacht. Nach einem Leben auf der Überholspur voller Sex and Drugs and Rock ‘n Roll und Schuhkartons voller Bargeld kriegte er später einen Schlaganfall und lebt nun von Grundsicherung, muss um jede medizinische Zusatzleistung mit den versteinerten Ämtern kämpfen. In dem Haus hat er noch soziale Kontakte, Unterstützung, Hilfe. Er sagt: „Lebendig gehe ich hier nicht raus, wenn ich die Wohnung verliere.“

Er ist kein Typ, der übertreibt. Auf dem Totenschein müsste dann eigentlich stehen unter Todesursache: Gentrifizierung.

Es gibt bei Veränderungsprozessen, wie Gentrifizierung, immer Gewinnerinnen und Verlierer. Die tragen die Kosten. Ist wie im Krieg. Die Veranstaltung nennt sich Kapitalismus und ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Um nicht so düster aufzuhören: Der Druckfeste hat Groß- und Einzelhandelskaufmann gelernt. Da hatte er wohl was in den falschen Hals gekriegt. Oder nach kapitalistischen Gesichtspunken der Abwägung von Risiko und Profit, in den richtigen ….

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