03.07.2023 – Mit Sozialpolitik gewinnt man keine Wahlen. Ohne Sozialpolitik verlieren wir die Demokratie

Meine neueste Errungenschaft.

Ich hatte im letzten Blog Inhalte zum Thema „Wohnen, Mangel an bezahlbarem Wohnraum “ versprochen. Also: Jeder dritte Mieter*inhaushalt, 7 Millionen, ist stark belastet, mit mehr als 30 Prozent vom Nettoeinkommen Mietbelastung für Warmmiete. 30 Prozent gelten als zumutbar. 15 Prozent aller Haushalte sind überlastet mit mehr als 40 Prozent. Die Heizkosten haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt. Immer mehr Menschen werden vor die Wahl gestellt: Heizen oder Essen. Die Angst vor dem Wohnungsverlust ist schlimmer noch als die Angst vor dem Jobverlust. Wohnungsverlust kann Wohnungslosigkeit bedeuten, schlimmstenfalls Obdachlosigkeit, das ist die Vernichtung der bürgerlichen Existenz. Eine tödliche Bedrohung. Angst ist Nähr- und Treibstoff des Kapitalismus. Ohne kollektive Ängste kein Kapitalismus. Angst ist der Treiber für die Wahlerfolge der Faschisten, ein Ende ist nicht abzusehen. Wie konnte die Wohnsituation so weit eskalieren? Es gibt zahlreiche Gründe, die sich oft gegenseitig bedingen und aufladen. Beispiele:

– Langjährige falsche demographische Prognosen: Unsere Bevölkerungsentwicklung ist positiv (Migration) entgegen allen Prognosen

– Unzureichender Wohnungsbau (Hintergrund: Inflation, Zinsentwicklung, Facharbeitermangel, Lieferengpässe, Bürokratie)

– Privatisierung, Spekulation, deregulierte Märkte: Bespiel Nds. 2005 Privatisierung der Wohnbau-Gesellschaft NILEG mit ca. 30.000 Einheiten für einen lächerlichen Preis, dadurch Marktdominanz von Börsennotierten Unternehmen wie Vonovia.  Wohnraum in Deutschland ist nach wie vor relativ billig für internationale Spekulanten

– Binnenwanderung, Landflucht

– Rückgang des Sozialwohnungsbestandes. 1987 noch ca. 5 Millionen Sozialwohnungen in der BRD, heute 1 Million. Jedes Jahr fallen 100.000 bundesweit aus der Mietpreisbindung. Ende des Jahrzehnts wird in Niedersachsen, wenn es so weitergeht, in der letzten Sozialwohnung das Licht ausgemacht.

– 1990 Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit , eine Art Atombombe für den sozialen Wohnungsbau

– Zu komplexe Baustandards und Genehmigungsverfahren, Mangel an modularen, standardisierten Bauverfahren

– Trend zu Singlehaushalten und immer größerer Wohnfläche pro Kopf

 – Zweckentfremdung von Wohnraum

– Lobbyismus, Ideologie, Rechtsprechung: Der Markt richtet angeblich alles. Propagierung und Förderung der Eigenheimideologie. Gießkannenprinzip bei Fördermitteln, wovon auch Reiche profitieren, statt zielgerichteter Förderung für Einkommensschwache. Ideologische Rechtsprechung, die unter anderem Mietendeckel verbietet.

Soll erstmal reichen. Zu jedem Punkt könnte man Seitenlang ausführen, das schenke ich mir.

Fakt ist, die Bautätigkeit ist drastisch eingebrochen, bezahlbare Wohnungen in Ballungsräumen gibt es nicht, der Markt funktioniert nur im Hochpreissegment, die Situation ist dramatisch und wird sich verschlimmern. Wenn die Politik nicht nachhaltig und massiv gegensteuert, ist das Demokratiegefährdend. Die Inflation wird irgendwann sinken, im Ukrainekrieg wird es zumindest einen Waffenstillstand geben, Seuchen werden wir, zumindest mittelfristig, beherrschen können, die Klimakatastrophe wird schlimmer, hat aber schleichenden Charakter, sie hinterlässt in weiten Teilen noch keine Angst, und nicht diese akut würgende wie drohender Wohnungsverlust. Die Wohnungskrise aber bleibt uns absehbar erhalten und ist akuter sozialer Sprengstoff. Bezahlbare Wohnungen zu bauen ist Sozialpolitik und umgekehrt. Es gibt einen klassischen Schnack, der jeder Sozialpolitikerin schon mal um die Ohren gewedelt wurde: Mit Sozialpolitik gewinnt man keine Wahlen. Mag sein. Aber: Ohne Sozialpolitik verlieren wir die Demokratie

So weit die Diagnose. Zur Therapie mehr demnächst.

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