
Zucchiniblüte, über Nacht aufgegangen. Ist nicht so mein Gemüse, aber die Blüten sind zauberhaft. In der Morgendämmerung von magischer Strahlkraft, von der auf Grund ihrer Intensität sogar eine gewissen Düsternis ausgeht. Königin der Nacht, ging mir durch den Kopf. So auch der Name jener Protagonistin aus der Zauberflöte mit der wohl berühmtesten Koloratur der Musikgeschichte: Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen .
Dramatischer wird’s aber nicht, prosaisch pflückte ich die Blüte, die essbar ist. Natürlich nicht frittieren, es ist ein verbreiteter Unsinn, Blüten zu frittieren. Wer sowas will, soll Pommes oder Calamari essen; der Geschmacksnerven Rache siedet in meiner Fritteuse. Einfach roh essen, am Salat.
Später, am PC, verflogen meine bildungsbürgerlichen Flausen und Reminiszenzen an die Haute Cuisine im Nu. Beim Spiegel-Interview des geschätzten Jenaer Soziologen Klaus Dörre, der auch dahin geht mit seinen Forschungen, wo es weh tut, nämlich in die Niederungen der Gewerkschaften. Dass Gewerkschaftsmitglieder überdurchschnittlich oft AfD wählen, ist bekannt. Dörre hat über rein statistische Erhebungen hinaus versucht, in Tiefeninterviews mit rechtsorientierten Gewerkschaftern und Funktionären in Betrieben in den neuen Bundesländern deren psychosoziale Dispositionen genauer zu verorten.
Die massive und nachhaltige Verhärtung rechtsextremer bis faschistoider Einstellungen bei nicht geringen Teilen dieser Klientel ist erschreckend und stürzt die ohnehin schwachen Gewerkschaften im Osten in ein fast unlösbares Dilemma. Zitat Dörre:“ …. Der antifaschistische Grundkonsens gehört quasi zur Geburtsurkunde der Gewerkschaften. Käme sie … Forderungen rechter Funktionäre nach, würde es sie zerreißen, massenhaft würden Linke und Mitglieder mit Migrationshintergrund austreten, nach wie vor ihre aktivsten Kerne.“
Auf der anderen Seite haben aber Positionen der faschistischen AfD zumindest in ländlichen Regionen des Ostens mittlerweile flächendeckend kulturelle Hegemonie erlangt, in die natürlich auch rechte Gewerkschafter eingebettet sind. Kulturelle Hegemonie ist nach Antonio Gramsci eine zentrale Voraussetzung für die Produktion von Macht im Staat. Die Gewerkschaften befinden sich also in einem derartig tiefen Dilemma, dass Dörres deprimierendes Fazit lautet:“ … ehrlicherweise kenne ich auch kein Patentrezept zur Eindämmung der AfD…“
Es gibt zwar keine Arbeiterbewegung mehr, aber natürlich noch massenhaft Arbeiter, die ohne Klassenbewusstsein in der Gesellschaft frei flottieren, einer Flipperkugel gleich. Sie finden aber im öffentlichen und medialen Diskurs nicht statt und sind nirgendwo auch nur annährend repräsentiert. Gewerkschaften wären die einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die sie erreichen könnten, das funktioniert aber immer weniger. Auch weil sich Gewerkschaften zunehmend entpolitisieren, zu reinen Tarifmaschinen für Kernbelegschaften in Schlüsselindustrien degenerieren.
Nachdem also das Prekariat, das Marxsche Lumpenproletariat, hauptsächlich in sozialen Brennpunkten verortet, schon in Massen AfD wählt, wenn es überhaupt noch wählt, wechseln jetzt in Scharen die vom sozialen Absturz bedrohten autoritär disponierten Facharbeiter mit fliegenden, braunen Fahnen in das andere Lager über. Erst flächendeckend im Osten, dann auch im Westen. Kein neuer Befund, auf diese fundamentale Schwachstelle im demokratischen Konzept haben schon der phänomenale Wilhelm Reich und nach ihm Erich Fromm hingewiesen. Adorno mit dem „autoritären Charakter“ in den 50ern war da nur Epigone. Der Mann ist überhaupt ein vollkommen überschätzter Schwatzhansel.
Das Drama an der hier kurz skizzierten Situation ist aber, dass die hiesige (organisierte) Facharbeiterschaft einerseits schon lange moralisch korrumpiert ist, andererseits aber selbstbewusst über ein kollektives Bewusstsein ihrer Fähigkeiten, Organisationserfahrungen und immer noch vorhandenen Macht verfügt. Der Mythos der Besetzung der Brücke von Rheinhausen, und vieler anderer Streikaktionen, ist immer noch präsent
Es ist also eine nicht auszuschließende Horrorvorstellung, dass vom Absturz bedrohte und von Krisen überforderte Teile der Arbeiterschaft sich in wilden Streiks und Aktionen ihrer Organisationserfahrung bedienen und rechtsextremen, faschistischen Positionen professionell auf der Straße Ausdruck verleihen. Dann wäre die Demokratie im Zangengriff, auf parlamentarischer Eben die AfD, in der Fläche rechtsextreme, kulturelle Hegemonie und auf der Straße der Wille des Volkes. Fehlt nur noch eine charismatische Führerpersönlichkeit und wir haben den Kladderadatsch.
Dann wandere ich aus und werde Zucchinibauer.