
Krisenprävention 1: Mein erster selbstgezogener Kohlrabi. Für mich von so makelloser, erhabener Schönheit, dass ich ihn ausgrub und tagelang in einem Wassergefäß wie einen Blumenstrauß hielt, mich jeden Morgen dran ergötzend. Auch im Geschmack ordentlich. Auf der Kostenseite, wenn ich Wasser, Arbeitszeit und Kaufpreis berechne, ein Vielfaches im Vergleich zu einem Biokohlrabi, aber an Symbolkraft nicht zu übertreffen: Ich kann autark. Krisen, welcher Natur auch immer, können kommen. Muss ja nicht gleich Krieg sein. Was nützt mir ein gegrillter Kohlrabi (übrigens extrem lecker!), wenn ich selber gleich mitgegrillt werde. Aber die Jungs da oben werden es schon richten. Fast alles Männer, die entscheiden. Wer kann aus dem Stegreif drei Frauen auf bundespolitscher Entscheidungsebene zitieren, außer Annalena Baerbock? Was auch auf der Ebene der Bilderrepräsentanz deutlich wird. Dauernd im medialen Bild die Drei (Warburg-Scholz, Vetternwirtschaft-Habeck und Sylthochzeit-Lindner) von der Zankstelle, Kabinett genannt, und der Schutzmann Schneidig aus Osnabrück, Boris Pistorius. Jede Zeit hat ihre Helden und das produziert natürlich auch Männerbilder und Geschlechterrollen.
Und dass das gerade in Krisenzeiten nach hinten, also rückwärts, losgeht, ist evident. Unlängst las ich in der hiesigen Schnarchpostille HAZ einen Artikel über ein Männercamp, in dem Dutzende verunsicherte Y-Chromosomträger unter Anleitung eines Coaches beim Tanz ihrer archaischen Männlichkeit freien Lauf ließen, mit Kriegsbemalung, Brusttrommeln und „Uaah, Uaah“ Geschrei. Ich Tarzan, Du Jane. Lehrer, Sozialpädagogen, Osteopathen, die handelsübliche Mischung von Weicheiern, die sich irgendwie von den Frauen kastriert fühlen, von der Moderne ihrer Männlichkeit beraubt und die eins eint: Feindseligkeit gegenüber Frauen und Überforderung durch die Moderne. Da hilft natürlich das Rollenbild des archaischen Kriegers weiter, was wesentlich einfacher ist als den Verstand und die Selbstreflexion zu bemühen. Und abends in die große Wichshütte, vulgo Schwitzhütte. Wenn man die Geschichten von denen gelesen hat, kann’s einen nur gruseln. Alles erbärmliche Waschlappen.
Ich bin auch deshalb so griffig, weil ich selber zu faul bin, derartigen betuchten Losern mittels solcher Seminare die Kohle aus dem Kreuz zu leiern. Dazu bräuchte ich noch nicht mal Zynismus, denn Männerbild und Geschlechterrollenverständnis dieser esoterischen Sandkastenkrieger hat natürlich eminent politische Wirksamkeit und ist strikt zu bekämpfen. Übersetzt heißt deren AfD-kompatible Einstellung Misogynie, Gewaltphantasien gegen Frauen, Frauen zurück an den Herd und raus aus dem Beruf, der Mann ist die Krone der Schöpfung.
Ist ja alles nichts neues, nur passt das natürlich wie Arsch auf Eimer in den allgemeinen politischen Rollback.
Die mediale Wirklichkeit liefert dazu mitunter per Montage Bilder, die die Geschichte mehr als 1000 Worte auf den Punkt bringen. Neulich schlaflos nachts beim Zappen: Erst Nachrichten, bei denen Schutzmann Schneidig forschen Schritts an einer Kompanie Soldaten vorbeimarschierte. Im nächsten Kanal: Alter Western, John Wayne eierte in seinem unnachahmlichen Gang auf einen Saloon zu, wahrscheinlich um mal wieder mit Fäusten und Revolvern einen Konflikt aus der Welt zu schießen. Jede Zeit hat ihre Helden. Western war nie mein Genre und anfangs hab ich Filme mit John Wayne nicht verstanden, weil ich dachte, da muss irgendwo ein Satire-Meta-Ebenen-Twist sein, den ich nicht verstehe. So wie der geht und verhält sich kein normaler Mann, höchstens mit extremem Kackreiz und gleichzeitiger Hodenentzündung. War aber kein Twist, alles ernst gemeint. John Waynes Männerbild war ein Rollenstereotyp, was damals weit verbreitet war, noch nachwirkt und auch in meiner (kritischen) Generation Verehrung genoss, und genießt. John Wayne galt bei vielen als cool, selbst Linke kamen aus seinen Filmen mit diesem albernen Eiergang raus.
Dabei repräsentiert der Mann einen zutiefst psychopathischen Charakter: Unfähig sich selbst und seine Gefühle auszudrücken, kann er Konflikte nur mit Gewalt, Unterdrückung lösen, der Krieger eben. Frauen, die sozial unter ihm stehen, Huren und Barfrauen, verachtet er, Frauen aus dem Bürgertum, ehrbare Witwen oft, tritt er hilflos und überfordert gegenüber. Im realen Leben war Wayne ein Rassist und Faschist, da traten Rolle und Leben in fruchtbare, respektive furchtbare Wechselwirkung. Natürlich war er auch nicht cool sondern bestenfalls stoisch. Zur Coolness fehlte ihm alles, unter anderem lässige Eleganz, bei der der Dandy durchschimmert. Wirklich cool waren zum Beispiel Humphrey Bogart und Cary Grant. Aber das ist eine andere Geschichte aus anderen Zeiten. Wir sind in Zeiten von Kriegern und Schutzmann Schneidig.
Zeit, sich mit der Aufzucht von Kohlrabi vertraut zu machen.