
Sommerausflug auf der Havel.
Nach den Anti-AfD Protesten am Wochenende bleiben für mich Fragen: Was bleibt, jenseits des Eventcharakters des „Demo 2024 – Ich war dabei!“, an Nachhaltigkeit übrig? Wie wirkt sich das auf die reale Mitte der Gesellschaft aus (bei aller Freude über die je 30.000 in Hannover und Frankfurt auf den Demos: das war überwiegend linksliberales Bürgertum, die reale Mitte beträgt mehr als das Zehnfache)? Wie wirkt sich das bei den Wahlen dieses Jahr aus?
Weg von der Ebene der Phänomenologie, hin zu Analyse, Kritik und Lösungsansätzen. Warum wählt der Mob so wie er wählt, also zunehmend flächendeckend AfD? Das hat ökonomische Ursachen, u. a. in der Mitte Furcht vor dem Absturz, bei Armen Angst vor der Zukunft, und soziale Ursachen wie Einsamkeit, Desorientierung, Verlust kollektiver Bindungskräfte und Identitäten. Darüber wird im Moment jede Menge wehrloses Papier vollgekleistert.
Das hat aber auch psychopolitische Ursachen, die über das notorische Klagen über Wut-Bürger, Angst, Aggression etc. hinaus gehen. Früher galt als klassisches Andockmuster für faschistische Ideologien der sogenannte autoritäre Charakter. Wo gilt das heute noch und wo greift dieser Erklärungsansatz nicht mehr? Zur Erinnerung: Die Protagonisten der Frankfurter Schule entwickelten dieses Konzept vor knapp 100 Jahren angesichts des Siegeszugs des Nationalsozialismus.
Die ökonomischen und sozialen Bedingungen der damaligen Zeit mussten auf entsprechende individuelle Charaktereigenschaften, Wesenszüge, Emotionen treffen, um den Faschisten gesellschaftliche Hegemonie und politische Macht zu ermöglichen.
Das Konzept basiert laut klassischer Geschichtsschreibung weitgehend auf den von Erich Fromm aus psychoanalytischer Sicht erläuterten Kennzeichen des autoritären Charakters und wurde in den Folgejahren von Adorno, Horkheimer und anderen weiterentwickelt.
Fromm allerdings hat das von Wilhelm Reich geklaut, der 1933 mit seiner Massenpsychologie des Faschismus die erste größere Auseinandersetzung mit dem Faschismus bzw. dem Nationalsozialismus aus psychoanalytisch-gesellschaftskritischer Sicht geliefert. Er sieht darin einen fundamentalen Zusammenhang zwischen autoritärer Triebunterdrückung und faschistischer Ideologie. Die patriarchalische (Zwangs-)Familie als Keimzelle des Staates schaffe die Charaktere, die sich der repressiven Ordnung, trotz Not und Erniedrigung, unterwerfen.
Da Reich aber KPD-Mitglied war und später eher Hippiemäßig durchdrehte , hielt sich die klassische Geschichtsschreibung lieber an linke Spießer wie Adorno, oder an Fromm , von dem wenigstens noch der Name bekannt ist, während den schrägen Reich kaum noch jemand kennt.
Die autoritäre Persönlichkeit zeichnet sich u. a. aus durch:
Ängstliche Abwehr von Neuem und Fremden
Rigides und unflexibles Verhalten
Anpassungs- und Unterordnungsbereitschaft
Orientierung an Macht und Stärke
Feindseligkeit und unterdrückte Aggressivität
Konformität.
Diese Dispositionen lassen sich mittels Fragebogen ermitteln, immer noch ein probateres Mittel als die heutige Psychoklempnerei, die den Mob höchstens individuell Kapitalismustauglich therapieren will.
Wenn wir nicht begreifen, wie die Zwangsneurotiker da draußen (und wir selber auch!) ticken, wird das mit kollektiven Abwehr- und Interventionsmaßnahmen schwer.
Zur Auflösung der vermeintlichen Idylle oben im Bild, Erinnerung an einen zauberhaften Sommer-Ausflug: Das ist die Villa der Wannsee-Konferenz, in der am 20. Januar 1942 die Deportation der jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten zur Vernichtung geplant wurde . Von da ist es ungefähr eine Viertelstunde idyllischer Schipperei bis zum Landhaus Adlon, wo sich unlängst Faschisten, Angehörige des Kapitals und konservativer Eliten trafen, um feuchten Deportationsphantasien nachzugehen.
Idylle ist oft nur ein schöner Schein.