Bauer beim Rebschnitt
Die wirtschaftliche und politische Macht der Medienkonzerne lässt sich natürlich nicht durch bloßes Einlassen auf die abgefeimten Castingmühlen der Bewusstseinsindustrie erkennen. Dazu bedarf es Statistiken und Kenntnis grundlegender Analysen der Kulturindustrie, auch Bewusstseinsindustrie genannt. Hier die 50 größten Medienkonzerne weltweit, aus der Liste lässt sich erkennen, dass die branchenübergreifenden Verflechtungen enorm sind, Amazon liegt mit seinem Medienanteil von ca. 70 Mrd. auf Platz 8 (Die ARD liegt hier übrigens auf Platz 33), ist aber mit seinem Gesamtumsatz von 513 Mrd. Euro über alle Geschäftszweige das viertgrößte Unternehmen der Welt. In Deutschland betrugen die Gesamtumsätze der Unterhaltungs- und Medienbranche im Jahr 2021 rund 63,5 Milliarden Euro. Damit gehört sie zu den 10 größten Branchen, Platz 1 Kraftfahrzeugbau mit 407 Mrd., Platz 4 Ernährung (Bauer!) 168 Mrd.
Politisch ist die Bedeutung der Bewusstseinsindustrie auf das gesellschaftliche Klima und Verhalten gar nicht hoch genug einzuschätzen. Nicht umsonst steht im Mittelpunkt der politischen Machtergreifungs-Strategie der AfD die kulturelle Hegemonie in Staat und Gesellschaft. Zentraler Aspekt dabei ist die Delegitimierung der öffentlich-rechtlichen Medien. Eine der ersten Amtshandlungen von Björn Höcke als MP in Thüringen wäre die Kündigung des Medienstaatsvertrages und damit das Ende des MDR.
Hier aber erstmal weiter mit meiner erfolgreichen Bewerbung bei „Bauer sucht Frau“ als Agrarier aus dem zauberhaften südniedersächsischen Eichsfeld:
Unveröffentlichtes Manuskript, Kapitel 4 „Bauer sucht Frau“. Auszug, Teil 2:
„ … Dass ich aus dem Eichsfeld stamme, stimmte, der Rest war gelogen. Ich bin derartig urbanisiert, dass ich kaum Kartoffeln von Weizen im gepflanzten Zustand unterscheiden kann und selbst für die im Melkfalle überlebensnotwendige Unterscheidung zwischen Kuh und Bulle Wikipedia zu Rate ziehen müsste.
Bei „Bauer sucht Frau“ sollte ich aus drei Kandidatinnen, die maximal eine Woche zu mir auf den Hof kommen sollten, eine auswählen. Bei diesem Format wird wahrscheinlich noch mehr gelogen und getäuscht als bei allen anderen Doku-Soaps.
Die DEF media verabredete ein zweistündiges Telefoncasting mit mir, noch bevor ich Ganzkörperfotos (nackt??) beim Rebschnitt oder mit (Heu?)-Gabel eingereicht hatte.
Sollte ich mich darauf vorbereiten? Ich recherchierte ein paar Sachen wie: Was ist eine plausible Hektargröße für einen Nebenerwerbshof, wie viel Vieh hat so einer, was wird in meiner Region angebaut, aber ich merkte schnell, dass es vom bäuerlichen Blut meiner Vorfahren kein Tropfen in meine Adern geschafft hatte. Ich war überaus desinteressiert und schweifte im Internet nach zwei Links sofort ab, als ich las, dass es bis ins 19. Jahrhundert Hanfanbau im Eichsfeld gab, bevor er durch den profitableren Tabak verdrängt wurde. Waren meine Ururgroßeltern Kiffer und hatten mir das Übel vererbt, war ich also unschuldig im Sinne der Anklage? Der Verdacht ließ sich nicht erhärten, ich stellte die Recherchearbeit ein und verließ mich auf mein Improvisationstalent. Für maximal 3.000 Euro Aufwandsentschädigung, die ein derart von RTL über Focus bis BILD durchs mediale Querverwurstungsdorf geprügelter Bauer für die Aufnahmewoche erhält, würde ich mich sicher nicht für die Zeit des Drehs auf die Suche nach einem Leihhof bei meiner Verwandtschaft machen.
Am verabredeten Tag klingelte das Telefon zur verabredeten Zeit um Punkt 11 Uhr bei mir. Nach der Aufnahme der üblichen persönlichen Daten (Familienstand: ledig. Was sonst?) tastete sich die außerordentlich freundliche Telefoninterviewerin langsam an das Eingemachte. Der Knackpunkt war bei mir das Nebenerwerbsmäßige. Dass zum Beispiel nicht ich, sondern mein Cousin den Mähdrescher fährt, kam nicht so gut an, das merkte ich, also:
„Wenn Not am Mann ist, mache ich es natürlich auch und vieles wird bei uns auch durch Lohndrusch gemacht.“
Lohndrusch, diese Vokabel für Fremdeinsatz von Maschinen bei der Ernte hatte sich bei mir festgesetzt, weiß der Bauer wieso. Das kam am anderen Ende gut an, ich wurde sicherer und drehte auf:
„30 Rinder, 60 Schweine und natürlich Hühner haben wir an Vieh.“
„Wie viele Hühner denn?“
„Genau weiß ich das nicht, wir machen nicht jeden Morgen einen Zählappell, vielleicht fünfzig. Und einen Hahn natürlich.“
„Was bauen Sie denn so an?“
„Weizen, Kartoffeln“, damit macht man nichts falsch, „und Mais natürlich, machen ja wegen Biomasse immer mehr“, ich wurde mutiger und setzte einen drauf, „und Tabak. Das ist eine Nische, da versprechen wir uns für die Zukunft etwas.“
War das zu dick aufgetragen? Bei meiner Nachrecherche stellte sich heraus, dass es gerade mal einen Bauern im ganzen Eichsfeld gab, der Tabak anbaut. Aber seit wann steht „Bauer sucht Frau“ für investigativen Journalismus?
Das alles diente aber offensichtlich nur zum Warming-up, es folgte eine völlig selbstverständliche Frage, die mich umgehend in erhebliche Schwierigkeiten stürzte:
„Dann schildern Sie doch einfach mal, wie Ihr Tagesablauf aussieht. Sie stehen morgens auf und dann …?“ …. „
Fortsetzung folgt