Revolutionäres 1. Mai Plakat Berlin 1990
Wenn ich in Kreuzberg ankomme, studiere ich als erstes die endlosen Plakate unter den Yorckbrücken (die eigentlich in Schöneberg liegen). Sie liefern Infos über Veranstaltungen, an die ich normalerweise nie kommen würde. Und sie geben in ihrer bunten Konzentriertheit Auskunft über Zustand und Perspektive der Stadt und der Gesellschaft, sowie über den aktuellen Stand der gestalterischen Ästhetik. Besser und sinnlicher als es Internet, Bücher oder Zeitungen je könnten. Die Plakate zum 1. Mai sind dagegen eine lehrreiche Reise in die Vergangenheit, über zerstörte Utopien, gescheiterte Kämpfe. Und wenn man Glück hat, über Hoffnungen. Da muss an aber sehr viel Glück haben, um sowas zu finden. Oben, im Plakat von 1990, deutete sich schon zart an, dass nach dem Fall der Mauer die glückseligen Zeiten von Berlin als höchstsubventionierte Insel und bunte Freiraum-Spielwiese für allerlei mit ABM-Stellen finanzierte Alternativträume zu Ende gehen würden. Erstmals taucht Begriffe wie „Miete“ und „Spekulation“ auf einem Mai-Plakat auf.
Revolutionäres 1. Mai Plakat Berlin 1992.
1992 war die Befürchtung zur Gewissheit geworden: Spekulanten würden sich das neue Zentrum der BRD flächendeckend unter den Nagel reißen, Vertreibung aus den Stadtteilen fing in Prenzlau an und hört bis heute nicht auf. Ich war damals natürlich auch gegen Berlin als Hauptstadt, Berlin als Vorposten und Speerspitze eines nationalbesoffenen BRD-Imperialismus in der Eroberung der neuen Märkte im Osten? Berlin als Hauptstadt eines Vierten Reiches? Niemals.
Naiv. Die neuen Märkte in Osten wären im Zeitalter von digitaler Globalisierung auch mit Bonn oder Pattensen als Hauptstadt erobert worden, der Zar des Neoimperialismus kommt nicht aus dem Reichstag, sondern aus dem Osten und was Nationalbesoffenheit angeht, sind andere Länder x-mal schlimmer, von Italien über England bis Ungarn, Türkei etc. pp.
Aber was ist nicht ist, kann ja noch werden: Die AfD in ihrem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf. Der skurrile Glaube, dass ihre diversen Spionage- und Korruptionsgeschichten ihre Klientel auch nur einen Furz interessieren und von der Wahl abhalten würden, wird sich spätestens bei der Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse zur Europawahl in Luft auflösen.
Geradezu albern finde ich die Vorwürfe der demokratischen Parteien, die AfD würde mit ihren Affären das Vaterland verraten. Erstens verhält sich die AfD nur marktkonform und systemgetreu, sie verkauft an den Meistbietenden. Und das Beste, was man in nationalbesoffenen Zeiten jemanden an die Jacke kleben kann, ist: Vaterlandsverräter.
Die Konterattacke der AfD wird sich warmlaufen und Erfolg haben: Das Alles sei nur eine Schmutz-Kampagne der Lügenpresse und der Systemparteien, um von den Messermännern und Kopftuchgebärmaschinen abzulenken, die die große Umvolkung hierzulande vornehmen. Außerdem ist das AfD-Wahlvolk vermutlich ehrlicher als das versammelte Bürgerfeuilleton. Sie bewundern die Käuflichkeit der AfD eher als jene Schlitzohrigkeit, die sie selbst an den Tag legen würden, wären sie nur nahe genug an den Töpfen dran. Jede hat ihren Preis. Käuflichkeit ist keine Frage des Ob sondern des Wie hoch.
Ich muss jetzt in den Keller, meine rote Fahne aus der Mottenkiste holen.
q3014u
EZcJWhLv
n2o00r