23.06.2024 – Profitopolis oder der Zustand der Stadt

Modell der Großwohnsiedlung Kottbusser Tor, Kreuzberg. Ausstellung im Museum der Dinge, Werkbund Archiv, in Berlin: Profitopolis oder der Zustand der Stadt . Hinter den Fenstern laufen kleine Videoanimationen ….

Hervorgehoben werden zwei im Kontext des Werkbunds entstandene „Profitopolis“-Ausstellungen aus den 1970er Jahren. Sie veranschaulichen, dass das Gestalten von Stadt politisch ist. Sie rufen zur Bürgerinitiative auf und kritisieren Bodenspekulation ebenso wie die autogerechte Stadt und den rücksichtslosen Umgang mit historischer Bausubstanz und Stadtnatur.

Wie relevant diese Kritik noch heute ist, offenbart der Blick auf den Stadtraum zwischen altem und neuem Museumsstandort: Die Ausstellung unternimmt einen kritischen Streifzug zwischen Kottbusser Tor und Spittelmarkt und verortet Diskurse, Initiativen und künstlerische Positionen zur gegenwärtigen Stadt. Aus dem alten Standort in der Oranienstr., dem Zentrum von SO 36, wurde das Museum der Dinge von einem Investor gekündigt

Für Zustand und Zukunft einer Gesellschaft lebenswichtig: Die Wohnfrage.  Das verbindet diese sehenswerte Ausstellung mit der im Kunstraum Bethanien „Aus der Krankheit eine Waffe machen“ (siehe letzter Blog): Beide thematisieren mit ästhetischen Mitteln politische Fragen menschenwürdiger Existenz. Beide sind parteiisch, sie stehen auf der Seite der Betroffenen, beide greifen auf Erfahrungen und Ästhetiken der 70er zurück, beide finden nicht zufällig in Kreuzberg statt und beide rufen über die rein ästhetisch-abbildende, museale Funktion ihrer Ausstellungen hinaus zum Handeln, Eingreifen, Gegenwehr auf. Sowas kann bei entsprechenden politischen und gesellschaftlichen Konstellationen auf Grund der Abhängigkeit von Fördermitteln auch schon mal ans Eingemachte gehen. Über das Bethanien fegte angesichts der Ausstellung „Werbepause – the art of subvertising“ 2022 ein politischer und medialer Shitstorm, weil in bestimmten Ausstellungsobjekten zu illegalen Handlungen aufgerufen wurde (Politisches Umkleben von Werbung im öffentlichen Raum).

Beide Museen und ihre Projekte also hochpolitisch, ästhetisch auf der Höhe der Zeit und unbequem. Zusammen mit vielen anderen Kulturorten in Berlin also eine vollkommen andere Situation als in einer Provinz wie Hannover, die sich durch eine entpolitisierte, verschnarchte, ästhetisch verstaubte und abgehängte Kulturszene auszeichnet.

Dazu passt folgende aktuelle Meldung: „Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sieht bei der Kulturszene eine Mitschuld am Wahlerfolg der rechten Parteien. Das schreibt er im Vorwort zur neuen Ausgabe der Zeitung „Politik & Kultur“, die der Kulturrat in regelmäßigem Abstand herausgibt. Zum einen würden viele Kulturorte nicht die Breite der Bevölkerung erreichen. Zum anderen sei der Kulturbereich zu sehr mit sich und seinen eigenen Befindlichkeiten beschäftigt. Olaf Zimmermann fordert einen stärkeren Fokus auf politische Themen. Anstatt sich mit der Frage zu befassen, wie man sich aktuell fühle, sollte es darum gehen, was gerade warum in unserer Gesellschaft passiert.

Dem kann ich aus eigener Erfahrung und Beobachtung zu 115 Prozent zustimmen. Die Kulturszene sieht ungefähr so aus: Selbstmitleidiges Jammern, Symbolästhetik, ständiges Kreisen um Identitätsdiskurse wie Diversität, Gender, Dekolonisierung, Körper etc., in Begleittexten ein vollkommen abgehobenes Blabla und Geschwafel, eine reine Eitelkeitsspielwiese für eine Vernissagen-Schickeria, die qua Amt und Einfluss dafür sorgt, dass derartige Alltagsverschönerungsfassadenkunst mit gigantischen Fördermitteln gepampert wird.

Während draußen, im realen Leben, der Faschismus auf dem Vormarsch ist und die Gesellschaft außerhalb privilegierter Provinzen wie Hannover und Kulturbolschewisten-Biotopen wie Berlin-Mitte oder Prenzlau allmählich zerbricht.

Wenn sich die Kulturbolschewisten da mal nicht täuschen und das Dienstleistungsprekariat, das jetzt noch ihnen den Arsch abwischt und auf Vernissagen die Messer vorlegt, nicht jene mal zu einem anderen Zwecke nutzt als dem Zerteilen von Fingerfood. Zum Beispiel, weil besagtes Prekariat sich keine Krankenversicherung oder selbst die Miete in sozialen Brennpunkten nicht mehr leisten kann.

Wenn die Kultur nicht zum Prekariat geht, zu deren Orten, mit deren Themen, Partei ergreift, sich engagiert, Widerstand auch auf der Straße mitorganisiert, dann kommt das Prekariat eines Tages zur Kultur. Und wenn die Glück hat, geht es im ersten Ansatz nur darum geht, dass die AfD dort, wo sie die Macht und kulturelle Hegemonie erringt, die Fördermittel streicht und für den Verlust von Jobs und Einkommen sorgt.

Für das, was danach kommt, empfehle ich die Anstrengung des wichtigsten Kulturrohstoffes: Phantasie.

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