
So liebe ich Massenveranstaltungen, außer mir keiner da. Fanmeile Brandenburger Tor, zwei Tage vor Endspiel. Gestern gab es bei einer Massenveranstaltung, einem AC/DC Konzert mit 90.000 Besuchern in Stuttgart, zahlreiche Verletzte und Panikattacken, weil auf den Anzeigetafeln fälschlicherweise stand, die Leute sollten an den Notausgängen rausgehen.
Ich habe ja eine blühende Phantasie und mir vorgestellt, wie bei einer Massenveranstaltung von Faschisten mit einem charismatischen Führer auf den Anzeigentafeln „fälschlicherweise“ angezeigt wird, dass jetzt alle in ein linkes Zeckenviertel, wo auch viele Migrationshintergründlinge leben, marschieren und für Ordnung sorgen sollen. Gut, dass es in Deutschland keine Faschistenführer mit Charisma gibt. Noch nicht. Nur Krampfhennen wie Weidel, Bäckerburschen wie Chrupalla und Witzfiguren wie der Goebbelsimitator Höcke. Wobei der kreischende Hitler mit Schaum vor dem Maul ja schon in der Weimarer Republik vielen eher wie eine Witzfigur vorkam. Ein grausiger Witz, bei dessen Massenveranstaltungen und Reden später Frauen vor Entzücken über diesen messianischen Erlöser ähnlich ekstatisch reagierten wie später bei Beatles Konzerten, wo der Saal hinterher gerüchtweise heftig nach Urin gerochen haben soll. Männer zerlegten bei sowas schon mal ganze Konzertsäle.
AC/DC, Bruce Springsteen, Roland Kaiser, Marius Müller-Gesternhagen etc. pp., jetzt sind sie alle wieder unterwegs, die Stadion-Dinosaurier, die seit Jahrzehnten den immer gleichen Quark breittreten und mit dafür sorgen, dass es im Pop keine Innovation mehr gibt. Ein Phänomen, dass auch in anderen Kulturbereichen zu beobachten ist. In der Malerei gibt es Blockbuster-Ausstellungen von Megastars wie van Gogh, Rembrandt, aktuell Caspar David Friedrich, für deren Besuch Sie Zeitfenster buchen müssen. Innovationen, neue Trends in der Bildenden Kunst finden nicht statt. Street Art ist mittlerweile alter Käse und der Hype um digitale Kunst ist längst geplatzt. Da ging es auch nur um das Medium der Digitalität, nicht um Inhalte.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Ebenso wenig über die Breitschaft der Massen, für Stadionkonzerte Irrsinnspreise zu bezahlen. (Das hier Geschilderte gilt auch für Stadionfussball, siehe EM). Da kostet eine Karte schon mal das, was ein Bürgergeldbezieher im Monat kriegt und auf dem Schwarzmarkt das Vielfache. Zum Taylor Swift Konzert in Grellsenkichern fliegen Besucherinnen aus Kanada an, weil das billiger ist als das Konzert im Heimatland. Grotesk, aber in seiner Dekadenz ein weiterer Beleg dafür, dass wir uns in einer Phase von Fin de Siècle befinden. Auf Grund der Irrsinnspreise für seine Konzerte löste sich das von Springsteen-Fans betriebene Magazin »Backstreets« auf, das seit 43 Jahren über den Sänger berichtet hatte. Die Redaktion sei »entmutigt, niedergeschlagen und, ja, desillusioniert« . Springsteen machte früher ausgeprägt auf dicke Hose eines „Ich bin einer von Euch, working class hero.“ Solche Attitüden von millionenschweren Popstars waren in den 70ern schon lächerlich. Heute sind sie grotesk und spiegeln die komplette Kommerzialisierung auf Basis von medialen Inszenierungen eines aus den Fugen geratenen neoliberalen Marktes und seiner Jünger wider.
Das aber ist wie gesagt alles Geschmackssache und über den lässt sich nicht streiten. Streiten sollte man allerdings schon über die psychischen und damit politisch funktionalisierbaren Dispositionen, die der Faszination an Massenveranstaltungen wie Stadionkonzerten zugrunde liegen. Warum finden Menschen ihr Glück dort? Neben dem Genuss der ewig gleichen Akkorde, was ihnen Beständigkeit in einer aus den Fugen geratenen Welt vorgaukelt? Zwei Erklärungen fallen mir spontan ein, bei denen mich angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung gruselt: Die Verschmelzungs-Sehnsucht, in der Masse aufzugehen, eins zu werden mit Zehntausenden, am Ende Millionen, Teil zu werden einer großen Erlösergemeinschaft. Und die bedingungslose Identifikation mit dem Führer-Idol, oben auf der Bühne. Oder auf dem Rednerpult.
Diese offensichtlich massenhaft vorhandenen psychischen Bedürfnisse sind funktionalisierbar, können neben Pop auch an Politik andocken. Siehe oben. Und dann Gnade uns Göttin.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu und schon gar nicht von mir. Das basiert vor allem auf der Arbeit von Wilhelm Reich wie „Massenpsychologie des Faschismus“, aber auch der Frankfurter Schule. Ich wollt’s aus aktuellem Anlass nur mal erwähnen, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Und aus rechthaberischer Eitelkeit. Damit ich später behaupten kann: Ich hab’s ja gleich gesagt.