24.09.2024 – Ausflugstipp

Auf dem Flakturm Humboldthain, Berlin (Foto: Inna Tonn). Zwei Fotografinnen sprachen mich auf dem Flakturm an, ob ich für ein Portrait-Projekt zur Verfügung stehen würde. Ich war natürlich einverstanden, unter der Bedingung, dass ich ein Foto von ihnen im Gegenschuss machen dürfte.

Beim Film nennt man diese Technik „Shot-Reverse-Shot“, die häufig zur Visualisierung von Dialogszenen verwendet wird. Der Dialog war auch sehr nett und von dieser Stelle aus herzliche Grüße an die Fotografinnen und ich drücke uns die Daumen, dass das Projekt den World Press Foto Award gewinnt, quasi der Oscar der Fotografie. Kleine skurrile Geschichte im Bild, die nicht inszeniert ist: Das Graffiti zu meinen Füßen lautet: Rote Jugend. Ich trage im Bild oben ein T-Shirt mit der Aufschrift „Tax the Rich“, „Besteuert die Reichen“, Das T-Shirt ist von der Partei „Die Linke“, Geschenk einer Genossin. Ich bin Mitglied keiner Partei, empfinde den rasenden Zerfall dieser Partei aber als Verlust für die politische Kultur im Lande. Was bleibt danach noch von radikalen, genuin linken Gedanken übrig, notwendig für eine Überwindung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Krise? SPD? Oje …..

Hier der Oxfam-Link   zu einer Petition für eine gerechte Besteuerung der Superreichen. Die würde allein in Deutschland 85 Mrd. Euro pro Jahr erbringen. Wenn bis Oktober eine Million Unterschriften zusammenkommen, muss sich die EU-Kommission mit dem Thema befassen. Die Petition wird krachend scheitern, es sind aktuell noch gerade mal ein Drittel Unterschriften zusammen. In diesem düsteren Zeitalter des Irrationalismus, in dem wir leben, ist es eine der größten Beleidigungen des Verstandes, der Vernunft und der Ethik, dass das Thema Steuergerechtigkeit kaum ein Schwein interessiert, dass mit dem Thema „Steuergerechtigkeit“ sogar garantiert Wahlen verloren werden, und dass stattdessen mit dem Thema „Ausländer raus“ Wahlen gewonnen werden. Die Milliardäre dieser Welt, das Kapital und die bewusstseinsverblödende Medienindustrie lachen sich in jenes Fäustchen, das eigentlich geballt in die Luft gereckt gehört.

Was mich an dem überaus gelungenen Portrait allerdings wirklich auf die Zinne getrieben hat, ist der indiskutable Zustand meines Beinkleides, der mit sackartig noch milde beschrieben ist. Man sollte den Verfall der Gesellschaft nicht auch noch in seiner Kleidung widerspiegeln.

Was soll’s. Der Volkspark Humboldthain ist übrigens sehr charmant, mit Rosengarten, Wasserläufen, einem Sommerbad und Weinanbau (ca. 200 Flaschen im Jahr) durchaus ein Ausflugstipp. Eher kein Ausflug war der Vorfall dort am 2. Mai 1945. Da sammelten sich im Park etwa 1000 Soldaten. Sie wollten von dort Richtung Norden aus der Stadt ausbrechen. Eine Kommandeursbesprechung kam zu dem Schluss, dass ein Durchbruchskampf aussichtslos sei, die Soldaten schlugen sich einzeln durch, um der Gefangennahme zu entgehen. Der kommandierende General, ein fanatischer Nazi, beging danach Selbstmord. Seine Frau hat er gleich mit erschossen. Dieser blinde Fanatismus ist als kollektive Grundhaltung die Grundlage für den Faschismus gewesen. Der Krieg war schon 1941 verloren, nach dem Überfall auf die Sowjetunion und dem Eintritt der USA in den Krieg war jedem Grenzdebilen klar: Das kann nicht gut gehen. Trotzdem zog er sich noch fast vier Jahr hin, mit zig Millionen von Toten und dem Holocaust. Mörderischer, kollektiver Fanatismus.

Es gilt also genau hinzuschauen, wann, wo und wie schlägt der aktuelle, individuelle Hass in breiten Teilen der Bevölkerung gegen alles, was bunt, divers, ausländisch, irgendwie anders ist, in kollektiven Fanatismus um.

Und der Jahrhundert-September-Sommer ist auch vorbei. Düstere Aussichten. Ich geh mir ne neue Hose kaufen, vielleicht heitert das ja auf.

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