02./03.10.2015 – Sprachsondermüll. Heute: Deutsche Einheit und Wiedervereinigung.

Ich war in jenem Herbst 1990 in Berlin, in der Bildungsstätte der IG Metall Pichelsee, irgendwas zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Ich war mehr an den Methoden der Inhaltsvermittlung, Didaktik etc. interessiert, die wirklich gut waren. Davon profitiere ich heute noch. Außerdem wollte ich einfach mal ne Woche weg von der Arbeit und Hannover. Mein damaliger Personalchef, der den Bildungsurlaub genehmigen musste, rief mich zu sich und fragte mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Ich solle lieber Makramee machen oder Spitzen klöppeln, aber nicht so was. Den Kolleginnen erzählte ich, er hätte mir vorgeschlagen, Makrelen zu knüppeln, er wäre jetzt wohl völlig gaga.
Ich misstraute der Einheit von Anfang an, mit Einheit kann ich eh nix anfangen. Wir sind eine tief gespaltene Gesellschaft, die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, es gibt auf der einen Seite tolle engagierte Leute, die Flüchtlingen helfen, auf der anderen Seite jede Menge gewaltausübender Rassisten, es gibt durchgeknallte Islamisten, die sich der Genderproblematik mit eher diskussionswürdigen Ansichten nähern etc. pp .
Angesichts einer wachsenden Zahl von Paralleluniversen in unserer Gesellschaft, wo man sich noch nicht mal drüber einigen könnte, dass man nicht mit einander kommunizieren kann, was laut Watzlawik eigentlich ein Unding ist, vom Tag der Deutschen Einheit zu sprechen, ist eine Satirenummer. Und dafür bin ich zuständig.
mauerdurchbruch
Herbst 1990, Berlin, Sonderfall Einheit: Wir arbeiten dran (Keine Ahnung mehr, wo das war)
studentenprotest
Herbst 1990, Berlin, Sonderfall Einheit: Skepsis (ich glaube, das war ne Demo von Studierenden der Humboldt-Uni)
ichs
Herbst 1990, Hannover, Ausstellung „Kunst im Außenraum“. Das Paradigma der damaligen Ideologie-Ikone Margaret Thatcher „Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen“ ins Bild gesetzt.
Und was den Begriff Wiedervereinigung angeht: Gut, wir haben das Ampelmännchen aus der Ostzone übernommen, aber ansonsten haben wir die östlichen Ostgoten schlicht annektiert.
Ich weigere mich zumindest auf der Ebene der Sprachkritik, den Einheitsbrei auszulöffeln, den andere einbrocken. Mit Begriffen vernebelt man den Blick in die Wirklichkeit.

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