Ich habe meinen Fusssack mit drei „s“ wieder rausgekramt. Mein Platz am PC ist so fußkalt, dass einem Sibirien wie eine Sommerfrische vorkommt. Ab November kommt da ein Fusssack hin, der vor dem Frühstück mit einer Wärmflasche gefüllt wird. Das garantiert bis zum Mittag warme Füße. Den notwendig kühlen Kopf hole ich mir vor Arbeitsbeginn durch Schreiben dieses Blogs. Besagter Sack wird natürlich im März aussortiert, Frühlingserwachen und so. Aber bei den aktuellen Temperaturen krieg ich Eisbein, ohne Sauerkraut. Meine Setzlinge Sonnenblumen und Stockrosen hole ich vorsichtshalber nachts rein. Diese Kälte macht einen urlaubsreif. So wie die Durchsicht der Fotos von den TTIP Demos.

Volksentscheid oder Revolution (links hinten im Bild).
Wer unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen für Volksentscheide oder Revolutionen ist, sollte sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Den Gegner für verrückt zu erklären, ist übrigens nicht nur in Beziehungen ein probates Mittel. Die Psychiatrisierung von Gegnern hat vermutlich die nachhaltigste Wirkung in der Gesellschaft hinterlassen, seit der Kokser Sigmund Freud seinen Ödipus hat raushängen lassen. Mit Sicherheit jedenfalls mehr Wirkung als alle Psychoanalysen und Therapien dieser Welt.
Der TTIP Demonstrationszug war so unübersehbar lang, dass ich ihn nur zum Teil abfahren konnte, was ich immer mache aus Dokumentationszwecken. (Außerdem war es mir schlicht zu kalt, da stundenlang rumzueiern). Der Zustand einer Opposition im Lande lässt sich auch am ästhetischen Abdruck ablesen, den ein Demonstrationszug hinterlässt. Jede Demo ist insofern auch eine soziale Plastik, eine künstlerische Intervention, eine Performance.
Daher kann man die Kulturschaffenden mal wieder komplett in die Tonne treten.

Demo vor der Kestnergesellschaft, Musentempel für die gehobenen Stände.
Vielleicht habe ich es ja übersehen: Aber wo war der bunte Block von Kulturschaffenden?
Über TTIP ist nicht viel bekannt. Aber TTIP ist ein Instrument des Wettbewerbs, das erklärtermaßen für Freihandel eintritt, einen Freihandel ohne Schranken wie öffentliche Subventionen. Wenn ein privater Investor hier eine Musicalbutze hinstellen will für „Das Phantom in der Oper“ oder so Zeug, was sollte ihn hindern, das hiesige Opernhaus von der Bildfläche zu klagen, weil da genreverwandte Operetten aufgeführt werden, bei denen jede Eintrittskarte mit ca. 160 Euro Steuergeldern subventioniert wird? Gleiches lässt sich auf alle Kulturbereiche runterbrechen.
Wo also war der Block von Staatstheater, Oper, Kunstverein, Projekten, Organisationen, all jenen, die an stattlichen staatlichen Tröpfen hängen und die, wie ich (außer bei SCHUPPEN 68 Aktionen, da fließt Null Staatsknete) kein Projekt ohne Steuermittel durchführen könnten?
Eine lausige Bande von entpolitisierten Duckmäusern, Weicheiern, Faulpelzen und ästhetischen Maulhelden, auf diesen kurzen Nenner kann man die Kulturszene präzise bringen. Soviel zu einem Teilaspekt der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen.
Meine Füße sind jetzt so was von wohlig warm, dass ich überhaupt keinen Bock habe, zum ersten Termin zu radln. Muss aber sein. Das Leben und die Realität sind zwei verschiedene Schuhe.
26.04.2016 – Volksentscheid, Revolution und kalte Füße
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