Ich bin wohl das, was man früher, als es noch eine nennenswerte Linke gab, undogmatischen Linken nannte. Grundüberzeugungen müssen sein, Tradition auch, aber bitte immer auf der Höhe der Zeit und am besten Avantgarde-mässig vorweg marschieren. Der 1. Mai ist traditionell sehr Traditionsbehaftet: Erbsensuppe, Arbeiterlieder, Fahnen, Marschkolonne. Muss sein, aber da kann mitunter ein bisschen mehr Selbstironie dabei sein.
In diesem Sinne haben in den letzten Jahrzehnten verdiente Genoss_innen des Arbeiter- und Bauernkollektivs SCHUPPEN 68 immer wieder kritisch die Plakat- und Transpi (für Nichteingeweihte: hat nichts mit Deo und Achselgeruch zu tun, ist Kürzel für: Transparent)-Frage gestellt.

Es kam immer wieder zu Fragen aus der Arbeiterschaft: Was soll das?
1. Wussten wir das teils selber nicht. Wir waren jung, wir waren benebelt. Der Gott, der rote Fahnen wachsen ließ, möge uns vergeben.
2. War mit den Fragen unser Aufklärungsziel schon erreicht. Nur eine Arbeiterschaft, die Fragen stellt, ist eine mit Zukunft!
Dass es dann doch nicht so gut mit der Zukunft der Arbeiterklasse gelaufen ist, lag jedenfalls nicht an uns!
Die Plakatschaffenden Kolleg_innen des DGB waren leider selten ästhetisch so gelungen im Bilde wie hier

1. Mai 1956

Völlig daneben, aber hochinteressant: Das erste Maiplakat nach dem Kriege, 1950.
„Neuordnung der Wirtschaft“ heißt nichts anderes, als das da noch die Systemfrage diskutiert wurde. Klar war nach 1945: Nie wieder Faschismus. Und Faschismus galt als eine zwar abartige, aber eben doch eine Form bürgerlicher Herrschaft. Also stand auch in Westdeutschland die Einführung eines wie auch immer gearteten Sozialismus auf der Agenda.
Das erlebe ich ja nun nicht mehr. Gottseidank. Bevor das Experiment wieder angegangen wird, muss noch ne Menge aufgearbeitet werden.
Zum Schluss noch ein Requiem für einen, der immer Teil der Lösung und nie Teil des Problems war:

Günther „Paul“ Fechner, ehemaliger Betriebsrat der Fa. Hermann Berstorff. Ich kenne keine Handvoll Leute, die mich ähnlich beeinflusst haben. Ein Jahr nach Renteneintritt gestorben. Wenn ich mir dagegen angucke, wer alles noch lebt, zweifle ich am gerechten Gang der Dinge. Also, liebe Genossinnen: Frei sein, high sein, am 1. Mai dabei sein!
Wie allerdings der hiesige DGB auf die Annahme kommt, das in Hannover 20.000 Leute dabei sein werden, ist mir rätselhaft. Weil Sonntag ist? Oder gibt’s Freibier und Erbsensuppe?