Wenn Sie, liebe Leserin, mir einen Guten Tag wünschen, halte ich 2:1 dagegen. Sie brauchen nur die Floskel einzubringen: „Also jede Wette …“ unterbreche ich Sie sofort und halte dagegen, getreu dem Motto der Marx Brothers: Whatever it is – I’m against it. Was aber mehr anarchistisch gemeint war, während in mir ein Dostojewskischer Dämon wütet.
Nicht unbedingt ein Dämon, eher ein Teufelchen. Wie dieses hier:

Manteuffelstr., Kreuzkölln.
Und es wütet auch nicht, sondern kriegt ab und zu geregelten Auslauf. Alle zwei Jahre, zu Europameisterschaften und Weltmeisterschaften, zieht es mich in die lokalen Wettbüros und was andere beispielsweise für Operntickets oder Bordellbesuche ausgeben, lasse ich durch den Schornstein meiner Wettleidenschaft abrauchen. Dieses Mal alles auf Spanien, bei einer Quote von 6:1. Bei Sieg wäre das ein zauberhaftes Berlin Wochenende geworden, mit allen Schikanen.

Berlin, Plakat Aufbau Stalinallee.
Das Ergebnis ist bekannt. Ich sah mir Spaniens Niederlage gegen die Italiener beim Public Viewing an und erntete spöttisches Gelächter, als ich angesichts des drohenden Untergangs der spanischen Tiki-Taka Armada unter Admiral Iniesta lauthals in Richtung Leinwand wütete: „Geht gefälligst sorgfältiger mit meiner Kohle um!“
Früher bin ich ab und zu auf die Pferderennbahn gegangen oder ins Spielcasino, auch wegen des Ambiente. Das sind schon eigene Welten und Inszenierungen da. Wettbüros sind dagegen eine eher deprimierende Szene. Ausschließlich ältere Männer und nicht gerade lässige James Bond Typen im Smoking wie in Casino Royale, sondern eher Verlierer, die meisten vermutlich spielsüchtig. Es riecht nach Schweiß und Nikotin. Die Sucht ist da auf ihren Kern reduziert, keine Inszenierung drum rum, kein Tamtam und Chichi. The real thing und nichts anderes. Wettbüros haben was von Pornoläden an sich.
Aber selbst in dieser trostlosen Atmosphäre gibt es immer einen kurzen Moment, meist beim Abwägen der Wette und Checken der Quote, wenn die Lust am Spiel durchbricht, wenn für einen Moment unverhüllte Leidenschaft hochzügelt, roh und jenseits von Kontrolle, die Essenz des Gefühls, wenn man so will. White light, white heat, shaping way down to my toes. Dieses Gefühl kriegt dann spätestens nach solchen Erlebnissen wie beim Public Viewing für zwei Jahre wieder Ruhe. Ich bin schließlich Mitglied der Zivilisation. Kontrollverlust gerne, aber bitte termingerecht, in geregelten Bahnen und unter staatlicher Aufsicht.
Das Geld ist mir wie jedem echten Zocker piepegal. Und bei Fußballwetten geht es auch um die Ehre des Sachverstands. Meine Ehre kann nur noch durch einen Sieg der Italiener am Samstag über die Ostgoten wiederhergestellt werden. Und das Sahnehäubchen wäre, wenn Belgien Europameister wird. Mit einer Quote von 5:1.
Aber ich werde ehrlos untergehen und meinen nächsten Berlinaufenthalt wieder selber bezahlen müssen.
29.06.2016 – Wetten , dass ich Zocker bin?
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