14.08.2016 – Es ist übrigens schwer, auf die Nationalhymne zu tanzen.

Zitat des Diskusolympiasiegers Harting, der bei der Nationalhymne nicht wie alle anderen in Ehrfurcht (ersatzweise: Erfurt) erstarrte auf dem Siegerpodest, sondern – zugegeben etwas merkwürdig – rumhampelte. Aber man kann eben nicht gut Nationalhymnen tanzen, was das beste Argument, und es gibt deren eine Menge, gegen Nationalhymnen ist. Kommen wir zur zentralen Frage des heutigen Ausnüchterungsmorgen: Wie verhält sich die Kunst zum Leben? Realismusdebatten in der Kunst gibt es viele, wie soll die Kunst die Wirklichkeit abbilden, wie gestalten, aufbohren, gar in die Wirklichkeit eingreifen oder im elfenbeinern Turm sitzend an der reinen Autonomie des Kunstwerks feilen?
kann ich nicht mehr tragen
Ganz klar: Eingreifen, auch mittels Kleidung. Gesehen in der Berlinischen Galerie bei Dada Afrika. Schade, für solche Klamotten bin ich zu alt. Aber toll.
Beim Anblick der Ausstellung am Berliner Hauptbahnhof, siehe Blog von gestern, fiel mir blitzartig eine Performance ein, die ich mit anderen während des Germanistik-Studiums in einem Hauptseminar gemacht habe. Es ging um eine Realismusdebatte zwischen den kommunistischen Schriftstellern Georg Lukacs und Ernst Ottwalt in der Dreißigern. Sollte man das bürgerliche Erbe als Ideal betrachten (Lukacs), also die großen Romane des 19. Jahrhunderts z. B., oder eher eigene avantgardistische Positionen entwickeln (Ottwalt und natürlich Brecht)? Wir waren eine Gruppe Avantgardisten, aus dem Umfeld des SCHUPPEN 68, denen der Unibetrieb zu verkrustet, verkopft war. Wir vermittelten die Ergebnisse dieser Theoriediskussion vor dem Seminar in Form einer Talkshow mit Lukacs und Ottwalt, auf deren Höhepunkt Ottwalt, dessen Position wir natürlich teilten, zu Lukacs sinngemäß sagte: „Und da kannst Du Dich auf den Kopf stellen, Genosse Lukacs, Deine Realismus-Position wird vor der Geschichte keinen Bestand haben.“ Da ich unter all den Drogenbolden mit Abstand der sportlichtste war, fiel mir der Part des Lukacs zu, weil ich dann nämlich aufstehen und einen Kopfstand machen sollte. Ich war ziemlich unkonzentriert während der Talkshow, die Positionen dieses Schwachkopfs Lukacs waren mir eh zuwider und ich dachte eigentlich nur eins: Hoffentlich blamiere ich mich vor all den geilen Weibern hier nicht mit meinem Kopfstand. Lief dann ganz gut, jedenfalls das mit dem Kopfstand. Wir waren die Lieblinge der Professoren, die verzweifelt nach neuen Formen der Theorievermittlung suchten. Was draus gemacht hat aber keiner von uns.
so 36 admiralsbrücke
SO 36 – Wirklichkeit gestalten oder widerspiegeln?
Die Realismusdiskussion von damals hab ich noch komplett parat. Lag an der Form der Vermittlung und wurde durch die Ausstellung am Hauptbahnhof wieder abgerufen. Reisen bildet.
What’s left? Lukacs lieferte die theoretische Grundlage für den späteren sozialistischen Realismus, eine der Todsünden des Sozialismus überhaupt. Wer davon abwich, wurde verfemt, verfolgt. Ernst Ottwalt z. B. starb in Stalins Lagern. Nur dafür sollte Lukacs in der Hölle schmoren. Ich muss öfter Seminare, Workshops, Vorträge und so Zeug veranstalten. Seit der Zeit von damals sind das meist Performances, bei denen die Leute auch bei ernsten Themen mal lachen können. Diesen Powerpoint-Präsentations-Overkill kriegen sie woanders. Neulich war ich bei einer mit 36 Folien. Ich kann mich an keine Silbe mehr erinnern.
Jetzt bin ich wieder nüchtern. Guten Start in die Woche, liebe Leserinnen.

1 thought on “14.08.2016 – Es ist übrigens schwer, auf die Nationalhymne zu tanzen.

  1. ivistroy.ru

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