15.01.2017 – Alles Essig?

himbeeressig
Himbeer-Essig, selbst angesetzt, links zwei Jahre alt, rechts 6 Wochen.
Ich hab ein Gefäß zwei Jahre lang übersehen, das Ergebnis sieht man. Und man schmeckt es, den dunklen Essig kann man pur trinken, geht in Richtung Madeira, mit beeriger Kopfnote, im Abgang extrem lang. Ein Anti-Depressivum, man strahlt beim Degustieren.
Depressionen auslösen können dagegen Reisen, zumal dienstlicher Natur. Nicht wegen der Inhalte, wegen der Bilder.
bahnhof
Man strandet an Bahnhöfen, die so austauschbar, so trist, so grau, so einsam, so unendlich sind, dass es einen würgt.
Dann wieder Orte, die quasi mythisch aufgeladen sind. Kennt jede, für den Wagner-Nazi Bayreuth, für die Klassikfreundin Weimar, für den Biertrinker Kulmbach. Für mich gibt es da viele: Kassel und Documenta, Bilshausen und Heimat, aber auch der Ruhrpott mit Ikonenhaften Stätten.
brücke rheinhausen
Wie die Brücke der Solidarität in Rheinhausen. Diese Brücke über den Rhein wurde 1987 von tausenden Stahlarbeitern besetzt, um gegen die Schließung der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG des Krupp-Konzerns zu protestieren. Vergeblich, nach einem faulen Kompromiss wurden das Werk 1993 dicht gemacht. In den 30 vorangegangenen Jahren war die Belegschaft auf Grund von Produktivitätsfortschritt und Rationalisierung um ca. 85 Prozent reduziert worden.
Das kann man durchaus als Masterfolie für Kapitalismus 4.0 nehmen, nur dass die Prozesse viel schneller ablaufen, den Beschäftigten im Bankengewerbe z. B. wird noch schwindelig werden, so rasend-rotierend, und zwar nach draußen, geht das.
Es gibt aber Unterschiede zwischen Heute und 1987. Damals waren Begriffe wie kollektive Gegenwehr, Klassenkampf und Utopie auch in Gewerkschaften noch nicht zu einer Satirenummer degeneriert, sondern hatten identitätsstiftende Wirkung. Die IG Metall hatte zum Beispiel 1984 den Einstieg in die 35 Stunden Woche durchgesetzt. Ich hab da mitgestreikt, war aber mehr für die 25 Stunden Woche. Heute, wo der Kampf um eine dramatische Reduzierung der Wochenarbeitszeit perspektivisch nötiger denn je wäre, weil es sogar um das Überleben von so etwas Schäbigem wie Kapitalismus geht, ist die Forderung nach drastischer Reduzierung der Wochenarbeitszeit das sichere Mittel, sich als Gewerkschaftsdelegierter, wie ich es bin, in seiner Organisation lächerlich zu machen.
Frei nach Walter Ulbricht: Was lernt uns das, Genossinnen?
Alles Essig?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert