11.06.2017 – In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod

So lautet der Titel eines Films von Alexander Kluge von 1974. Skurrilerweise fiel mir dieser Titel unlängst in der City ein, als ich mir ein Sakko kaufen wollte. Ich hasse die City. Nicht: die Stadt. Das ist ein Kulturort. Die City ist ein Konsumort. Nichts gegen Konsum, der hält den kapitalistischen Laden am Laufen und gibt dem blauen Planeten den Rest. Beides Varianten, mit denen ich mich anfreunden kann, ich lebe innerlich sowieso schon im Post-Anthropozän. Nach mir die Sintflut. Respektive die Barbarei, denn die dürfte nach dem Ende des Kapitalismus auf Sie, liebe Leserinnen, warten (ich sondiere hoffentlich dann schon jenes Grass, was ich dann nicht mehr rauche, von unten).
grass in eimern
Grassanbau in Spielzeug-Eimern. Die Hippies schreckten damals vor nichts zurück.
Ich hasse auch das Shoppen, was eine prollförmige Art des Konsums ist. Das Shoppen ist das Gegenstück zum Connaisseur-grundierten Genuss.
Und ich hasse Sakkos. Sakko ist, wenn einem gar nichts mehr einfällt. Wer anfängt Sakkos zu tragen, hat mit dem Leben abgeschlossen. Wenn Männer nicht mehr weiterwissen, kaufen sie Sakkos. Danach heiraten sie. Sakko ist der Kompromiss, den man macht, bevor man überhaupt anfängt zu verhandeln. Sakko ist mehr als Konvention. Sakko ist Langeweile. Jeder Sakko-Kauf ist ein Akt der Kastration.
Es gibt ein, zwei Sakkos, die sind akzeptabel. Die kann ich mir nicht leisten, wie ich mir grundsätzlich meinen Geschmack nicht leisten kann. Solche Sakkos kosten so viel wie ein Kleinwagen. Was eindeutig gegen den Kleinwagen spricht.
galerie boozilla
Revolutionäre Creationen. Falls jemand von der ehemaligen Galerie Boozilla das hier liest, freue ich mich über eine kurze Rückmeldung. Es geht nach wie vor um Revolutionäre Creationen und so Zeug, aber jetzt mehr die Richtung Big Kohle abgreifen.
Creations- und Kleidungsmäßig stehe ich entweder auf Smoking oder auf autonomes Schwarzleder, also heiß oder kalt, aber nicht lauwarm, all or nothing, aber doch kein – siehe oben – Mittelweg Sakko!
Oder nur, wenn es unbedingt nötig ist. Es gibt halt Gelegenheiten, wo man auch mal einen Kompromiss machen kann.
Und dann stand ich also in dieser Herrenbudike und hatte ein Sakko im Auge, respektive schon an. Der Sitz sagte mir nicht optimal zu, ich nahm eine Nummer kleiner. Schon besser.
Und was sagt der Verkäufer, geradezu hysterisch begeistert:
„Das ist es! Die vorherige Version hatte doch überhaupt keine Aussage!“
Ich schlug ihn zu Boden und ging. Also mehr nach innen, gefühlt.
Ich gehe nie wieder shoppen, bis ins Post-Anthropozän. Was ist das für eine Welt, wo ein Sakko, das eine Nummer größer ist, überhaupt keine Aussage mehr hat.
Keine Welt, in der ich leben möchte.

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