01.09.2017 – Mit dem Bolzenschussgerät

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Aufmarsch Fans von Schalke 04 vor dem Spiel gegen Hannover 96 vor ein paar Tagen. Mich hat’s gegruselt. Endzeit-Assoziationen von Kolonnen mit Soldaten oder KZ Gefangenen, als ob ein Spielfilm-Regisseur die Inszenierung des Faschismus in eine neuzeitliche Dramaturgie überführen wollte. Ich wartete nur auf das Megafon-Brüllen: „Klappe. Faschismus 7 die vierte im Kasten“. Oder gestorben. Oder fertig. Keine Ahnung, was man an Filmsets so für Sprachregelungen hat, wenn eine Einstellung durch ist.
Alle politischen Systeme im 20. Jahrhundert bedienten und bedienen sich des Ornaments der Masse, sprich einer Inszenierung vom Aufgehen, vom Verschmelzen des individuellen Körpers in der überwältigenden Ästhetik einer Masse wie bei 1. Mai Aufmärschen, Reichsparteitagen, Love-Paraden, Sommerschlussverkäufen, Fußballstadien, etc. pp. Das Prinzip hat Siegfried Kracauer zuerst in den 1920ern beschrieben, kurz und gut zusammengefasst hier im Blog cafe-deutschland.
Die industrielle Massenproduktion findet ihre gesellschaftliche Entsprechung in der öffentlichen Inszenierung der Körper. Das fängt im und am eigenen Körper an: Dem Qualitätsmanagement mit Null-Fehler-Toleranz (bei solchen Zielvorgaben kriege ich immer Lachkrämpfe) in den Betrieben entspricht die wahnhafte Selbstoptimierung in Mucki-Buden mit Unterstützung von Powerdrinks und Steroiden, das Corporate-Identity-Geschwafel spiegelt sich mit Tattoos, Brandings und Piercings auf den Körpern wieder. Das Resultat: die Gesellschaft mutiert zu einer Horde von subintelligenten Lemmingen, auch daran erinnern die beiden Bilder oben, von denen jeder einzelne glaubt, wer weiß wie individuell er sei, bloß weil sein Golf eine andere Lackierung hat, das Tattoo auf der rechten statt auf der linken Arschbacke sitzt und das Piercing direkt ins Auge getackert wurde. Am schlimmsten sind jene Hohlkörper, die in die Fußballstadien rennen oder bei denen in Kneipen vor Pay-TV Bildschirmen nur deshalb nicht das Gefühl hochkommt, dass sie gnadenlos verarscht werden, weil sie zur Halbzeitpause von Bundesliga-Übertragungen schon halb im Delirium tremens liegen. Früher galt es unter Linken als subversiv, sich für Fußball zu interessieren, das gehörte nicht zum linken Mainstream, heute ist Interesse für Fußball nur noch peinlich. Mainstreamige Mobkultur. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe lange Zeit alle Fussball-Großevents und auch kleinere vor den Bildschirmen dieser Republik verbracht und mir vor über 40 Jahren einen Ohrring stechen lassen. Den hab ich mir vor 30 Jahren sofort rausgenommen, als ich merkte, dass hier vor Ort eine mehr als zweistellige Zahl von Individuen das Gleiche pflegte und Fußball nutze ich nur noch, um bei Wetten damit Geld zu verdienen. Jetzt warte ich nur noch darauf, dass alle Tattoo- und Fußballfans auf einen ganz speziellen Mode-Tick abfahren:
statt Piercing in die Eichel sich einen Nagel mit einem Bolzenschussgerät ins …. nein, das ist jetzt zu gemein, an dieser Stelle bricht mein Humanismus durch, der mich sogar die morgenstarre Hummel von der nachtkalten Veranda in die Sonne setzen lässt. Außerdem, wenn ich mir vorstelle, alle wären so wie ich…das wäre keine Welt, in der ich gerne leben möchte.
Dann lieber so wie oben.

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