06.09.2017 – Die Kunst ist keineswegs verhunzt

büchertempel
Documenta 14 – Parthenon of books von Marta Minujín, eine überwältigende Installation gegen Zensur und Unterdrückung am Friedrichsplatz in Kassel, bestehend aus ca. 25.000 Büchern, die irgendwann irgendwo mal verboten waren oder immer noch sind. Mehr dazu hier.
Was man so hört, ist die Documenta im Kritikerurteil überwiegend negativ beurteilt. Zu intellektuell, zu politisch, etc. pp. Ich war gestern da, ich weiß es besser.
Es stimmt, manche Sachen waren ohne Hintergrundkenntnisse nicht verständlich. Für mich kein Problem, geh ich halt einfach weiter. Die Documenta ist eh so riesig, dass man nicht alles an einem Tag mitkriegt, es ist also legitim, sich einfach treiben zu lassen, mitunter nur Eindrücke genießt, sammelt, und sich nur auf das näher einlässt, was einem gefällt oder des Nachhakens wert erscheint. Perfektes Abarbeiten ist Sache der VHS Kurse, die dort zu Myriaden rummäandern.
Es stimmt, vieles war bei der Documenta politisch aufgeladen, bezog sich auf linke Historie, ist antikolonialistisch, anti-patriarchal. Damit kommt der gemeine Kritikaster des Zentralorgans deutscher Stupidienräte, der Süddeutschen (ersatzweise Zeit oder FAZ, das ist wumpe und austauschbar), natürlich nicht klar. Der hätte es lieber ausgewogen, der Kolonialismus hatte aus deren Sicht ja auch seine positiven Seiten und die Weiber sollen sich mal nicht so anstellen.
Dazu kann man, und Kritiker sind meistens Männer, stehen wie man will. Fakt ist aber, dass diese Documenta in ihrem Kern, als Kunstveranstaltung, also in der ästhetischen Wirkung, die ein Werk erst zur Kunst macht, eine herausragende ist. Sie stellt immer wieder die Fragen nach Form und Material, nach Struktur und Medium von Kunst und zieht bildmächtig in ihren Bann. Was da nur in der Neuen Galerie zu sehen war, reicht allein für den Besuch in Kassel.
marmorzelt
Marmorzelt von Rebecca Belmore. Zelte wie diese stehen in Großstädten zu Dutzenden unter Brücken, in Grünanlagen, Wohnungslose suchen dort Zuflucht, Flüchtlinge. Der schiere Kontrast zwischen Assoziation und Materialität des in klassischer Art bearbeiteten Marmors verschiebt sofort die Wahrnehmung, verstört. Und das Spiel mit Wahrnehmung ist das Primat der Kunst gegenüber, na sagen wir mal, der Politik. Die verstört zwar mitunter, aber das war’s dann auch.
Solche Werke gibt es zuhauf bei der Documenta. (Natürlich gibt es da auch Geisteskrankheiten wie „Auschwitz on the beach“. Bei sowas zweifle ich auch am Geisteszustand der Kuratoren und setze mir umgehend die Hasskappe auf.)
ich-mit-hasskappe
Ich, vor Parthenon of books, aber ohne Hasskappe.
leihräder-mit-lak-logo
Aus Dankbarkeit mein Abschiedsgeschenk an die Documenta: Alle Leihräder dort haben jetzt einen Sattelschoner mit dem Logo der Landesarmutskonferenz. Ästhetisch zauberhaft und als Mäzenatentum von unvergleichbarer Großzügigkeit. Da stinken selbst die Borgias gegen ab.
Schade, dass sich viele Interessierte einen Besuch der Documenta schlicht nicht leisten können. Zugfahrt von ausserhalb Hessen und Eintritt unter 50 Euro ist nicht zu machen, von Katalogkauf oder mal kurz beim Italiener Essen gehen ganz zu schweigen. Die Grenze von kultureller Teilhabe für Menschen mit geringem Einkommen verläuft direkt durch die Documenta.

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