08.09.2017 – Die Kneipe als Uterus

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Bücher, die irgendwann irgendwo der Zensur unterlagen, aus dem Parthenon of books auf der Documenta. Ein Foto von einem Uterus habe ich nicht im Angebot. Und die Tatsache, dass der Raum mit den Werken von Annie Sprinkle einer der besuchtesten war, finde ich auch eher irritierend.
Sie ließ unter anderem das Publikum bei Performances des Anblicks ihrer Gebärmutter mittels Spekulum teilhaftig werden. Ein Akt der Befreiung? Bei dem Geschwalle von Frau Sprinkle über Öko und Eso habe ich da große Zweifel und wenn ich lese, dass sich jemand auf Guattari, einen der größten Schwallhanseln der zeitgenössischen Laberei bezieht, suche ich sowieso intellektuell das Weite. Ich hab auch nie kapieren können, was Männer treibt, Gynäkologen oder Hebammeriche zu werden. Der unselige Drang von Männern, Kontinente zu erforschen und erobern, macht auch vor dem weiblichen Körper nicht halt. Diese und andere Gedanken eher profaner Natur beim Anblick der zahlreichen Kunstschönen durchfluteten meinen Schädel, als ich fürbass die Agora der Documenta durchmaß und siehe, auf einmal durchzuckte ein Geistesblitz mein Hirn und Heureka! Ich hatte es! Ich weiß jetzt, warum Männer so häufig und auch noch in fortgeschrittenem Alter Kneipen besuchen.
Was zeichnet eine Kneipe aus? Sie ist ein abgeschlossener Raum, schützt, ist meist dunkel, bietet unbegrenzt Nährstoffe, wenn Mann breit ist, breitet sich in ihm ein ozeanisches Glücksgefühl voller Geborgenheit und Zuversicht aus und das zwangsweise Verlassen der Kneipe, wenn die Zeit um ist, wird als traumatischer Einschnitt erfahren, mitunter von Erbrechen, Desorientierung und Torkeln begleitet. Wenn das keine Analogie auf Gebärmutter und Geburt ist, was dann?
Psychoanalytisch habe ich endlich den Schlüssel gefunden, warum es Männer auch jenseits der 40 in Kneipen zieht. Natürlich ist die Kneipe auch der Ort, wo man gesellschaftlich legitimiert und sanktionsfrei Alkoholismus ausleben kann. Wer in der Kneipe regelmäßig 5 Bier verklappt, gilt in regredienten Kreisen sogar als cool. Wer das Zuhause macht, muss sich unter Umständen eingestehen, dass er ein echtes Problem hat. Frauen aufreißen in Kneipen? Da hab ich angesichts der weiblichen Sortierung in der Alterskohorte gleich oder größer 40 erhebliche Zweifel. Nein, es bleibt nur der Uterus als tiefer Urgrund.
Das korrespondiert auch mit dem Ansatz der „Nicht-zu-Ende-geborenen-Männer“ von Klaus Theweleit.
grimmswelt
Grimm Welt in Kassel, zauberhaft. Kein Uterus.
Ich hab wahrscheinlich das Geld für einen Neuwagen in Kneipen durchgebracht, aber irgendwann Mitte 30 ist normalerweise damit Schluss. Fammillje, Beruf, Gesundheit, Geldmangel, Einsicht in die Tatsache, dass es noch ein Leben jenseits der Theke gibt, diese Gründe für das Auslaufen der oralen Kneipenphase im Leben eines Mannes lassen Männer in Kneipen jenseits der 40 als skurrilen Problemfall erscheinen, der durch den Ansatz „Kneipe als Uterus“ aber erklärbarer scheint. Ging mir neulich auch durch den Kopf als ich einen rotbenasten und augengeränderten Kumpel aus besagter Alterskohorte traf, der sich in extenso darüber ausließ, wieviel er am Wochenende wieder getrunken hatte, in welchem Zustand er war etc. pp. Ich war unangenehm berührt, diese postpubertären Bukowski Prahlereien sind doch auch eher was für Mittzwanziger. Aber besagter Kumpel, der spielend jeden „Rudolf-the-Red-Nose-Reindeer look alike“ Wettbewerb gewonnen hätte, ist ansonsten ein feiner, hochsensibler, liebenswerter Mensch und das unterstreicht aufs Nachdrücklichste die Uterus Theorie mit den nicht zu Ende geborenen Männern. Gleich heute werde ich einen Aufsatz für die „Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis“ verfassen und dann werde ich der Theweleit des 21. Jahrhunderts und wenn das klappt, lade ich alle Kumpels ein. Bei mir um die Ecke gibt es so viele tolle Kneipen ….

1 thought on “08.09.2017 – Die Kneipe als Uterus

  1. ivistroy.ru

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