26.11.2017 – „So viel bin ich mir wert! Mein Weg in ein eigenes Leben in 16 Modulen. Modul 1: Wahrnehmung.“

plakat
Auch eine Art von Wahrnehmung. Das Plakat hängt seit Jahren im Hausflur, ich guck da vermutlich sechsmal am Tag drauf, nehme es aber nicht mehr wahr. Gestern brachte mir ein DHL-Bote ein Paket, sah das Plakat und fing laut und lange an zu lachen, er freute sich dermaßen ansteckend, dass ich am Ende mitlachen musste.
Was lernen wir aus dieser kleinen Geschichte, liebe Leserinnen, wenn wir uns auf den Weg in ein eigenes Leben machen? Unsere Existenz gründet auf einer Kette von Wahrnehmungen. Wenn wir uns unser Selbst und unserer Welt gewahr werden wollen, müssen wir wahrnehmen. Der erste Schritt auf dem Weg in ein eigenes Leben beginnt mit „Wahrnehmung“. Die gilt es zu trainieren und schon sind wir im praktischen Teil unseres kleinen Ratgebers. Wir fangen nicht mit der Königsdisziplin der Wahrnehmung an, der Selbstwahrnehmung. Nicht, dass uns am Beginn der Reise da jemand begegnet, den wir nicht leiden können.
Ein Scherz, wir haben uns alle lieb. Das ist das erste Gebot. Zu den 6 anderen obersten Geboten auf unserer Reise kommen wir später. Der Scherz soll nur darauf hinweisen, dass es hier nicht allzu bierernst zugehen soll.
Wir fangen in kleinen Trippelschritten an, mit der Schulung der Außenwahrnehmung. Wie nehmen wir die Welt wahr, die uns täglich umgibt, und wie gehen wir mit dieser Wahrnehmung um? Meistens achtlos, aber das können wir uns abtrainieren. Jede von Ihnen hat irgendetwas alltägliches in der Welt da draußen, was sie anzieht, abstößt, irritiert, stört, erfreut, wütend macht …Werbeplakate, überquellende Abfallbehälter, Spatzen, Sonnenuntergänge, röhrende Autos, Schaufenster mit Schmuck, Speisekarten vor Lokalen, was auch immer. Machen Sie von diesen sich wiederholenden Gegenständen eine Serie von Fotos mit Ihrem Smartphone (entsprechend dem Prinzip der seriellen Kunst). Und beobachten Sie, was das mit Ihrer Wahrnehmung macht.
telefonzelle
Mein Gegenstand zur Zeit: Telefonzellen. Hier in Berlin am U-Bahnhof Sonnenallee. Dort bat mich vor einiger Zeit jemand mit einer Behinderung, ihm Münzen in einen Schein zu wechseln. Er zog sich mit dem Schein in die Telefonzelle zurück, legte sich auf der Leiste unter dem Apparat eine Linie Koks und zog die mit dem eingewechselten Schein durch die Nase. Das war für ihn wohl so am bequemsten, weil er sich kaum bücken konnte. Seitdem sehe ich die ohnehin verschwindenden Telefonzellen, die eh Artefakte einer untergegangenen analogen Zeit sind, mit anderen Augen. Und fotografiere sie. Das trainiert die Wahrnehmung meines bevorzugten Soziotops, der urban-prekär-subkulturellen Szenen.
Ende von Modul 1. Irgendwann gibt es mehr. Wenn ich das Ganze nicht in einen Bestseller verwurste. Oder für Grete Tofu, dem Pendant von Hans Wurst: vergemüse.
Nachtrag zum Plakat oben: Der Auftritt war eine vierstündige Legende im alternativen raum 2. Wir spielten auf Abendkasse. Reinerlös nach Abzug von Fahrt- und anderen Kosten: 2 Euro. Das Geldstück liegt heute noch in meinem Regal. Ich brauchte drei Tage, um mich von dem Auftritt zu erholen. Danach hängte ich meine Karriere als Subkultur-Kabarettist an den Nagel.
Eine Frage der ehrlichen Selbst-Wahrnehmung. Charmanten Start in die Woche, liebe Leserinnen.

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