02.01.2018 – Auf die Knie, Du alter Heide, und bekenne!

chanukka
Chanukka Kerzen. Chanukka ist ein jüdischer Brauch im Dezember. Mir ist alles Religiöse eher fremd, ich hatte meine Überdosis als Messdiener in der katholischen Kirche, ich kann das Staffelgebet heute noch auf Latein im Schlaf: „…. Ad Deum, qui laetificat juventutem meam“. (Für Leute, die lediglich das kleine Latinum besitzen: „…. Zu Gott, der mich von Jugend auf erfreut“). Logischerweise folgte als Religions-Immunisierung eine militant antiklerikale Phase. Mittlerweile hat sich altersmilde Indolenz in Sachen Religion über mein Gemüt gebreitet. Marx hat zwar gesagt „Religion ist Opium des Volkes“, aber der alte Sack war nicht nur Antisemit, Arbeiterverächter und Chauvi, er hatte auch von Drogen keine Ahnung. Da halte ich es lieber mit seinem Zeitgenossen Baudelaire, der durch Dauerkiffen Kennerschaft erwarb für wundervolle Lyrik wie in „Das Gift“:
Das Opium weitet aus, was ohne Grenz‘ und Schranken,
Es dehnt die Unermesslichkeit,
Es höhlt der Wollust Rausch, vertieft das Meer der Zeit,
Und mit Genüssen, schwarzen, kranken
Macht es die Seele übervoll und weit.

Also jede nach ihrer Fasson und das kann in unserem Land Gottseidank (hahaha, ein Witz, richtig muss es heißen: Rechtsstaatseidank. Diese Formulierung wird sich aber dauerhaft eher nicht in unserem Sprachgebrauch etablieren) fast jede so leben und praktizieren wie sie will.
Bis auf Menschen jüdischen Glaubens. Sie sind einem wachsenden militanten Antisemitismus von rechts, von links, aus der Mitte unserer Gesellschaft und von Muslimen, gerade mit migrantischem Hintergrund, ausgesetzt. Machen Sie einfach mal den Test und gehen mit einer Davidsstern-Kette und einer Kippa bekleidet über die Sonnenallee in Neukölln. Ein lebensgefährliches Unterfangen.
Als ich die Klage von Charlotte Knobloch über den wachsenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft las, überkam mich Wut. Aber auch Hilflosigkeit. Wo, wie und vor allem durch wen soll sich bei „uns“ was zum Besseren wenden? Morgenröte am Horizont vulgo das Aufscheinen einer Utopie seh ich nicht. Aber ich hab’s gut, als Kulturproduzent bin ich gewohnt, Gefühle wie eben Wut und Hilflosigkeit durch inszenatorische Eingriffe in den eigenen Alltag umzuwidmen. Und so zündete ich ein paar Chanukka Kerzen an, ein schönes Bild, und der warme Kerzengeruch erinnerte mich an meine Zeit als Messbub. Eine Art fröhliche Melancholie umfing mich (Nein, ich wurde nicht gläubig! Dazu hätte sich mindestens die Wolkendecke teilen müssen und eine schwarze, lesbische, behinderte Göttin hätte mir entgegen schleudern müssen: „Auf die Knie, Du alter Heide, und bekenne!“)
Die Geschichte ist aber ein Beispiel dafür, wie weit private Gefühle mit der Kategorie des Politischen eine Wechselbeziehung eingehen. Das macht einen Teil des Erfolges der Rechten aus, dass sie dem privaten Gefühl wie Hass, Aggression, Wut, Neid, Niedertracht Raum im Politischen zu geben.
Zu trennen ist übrigens der Begriff des „Privaten“ vom „Intimen“. Das Intime öffnet den Raum zum Begehren und das hat weder in der Politik noch in diesem Blog was verloren. Dieser Blog heißt „Mein intimes Tagebuch“. Und genau das ist der Witz dabei.

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