09.03.2018 – Die Letten werden die Esten sein

aura
Fensterbank
Ich hatte gestern im Blog anlässlich des Frauentages auf Lysistrata verlinkt, jene griechische Komödie, in der sich Frauen aus Athen und Sparta der männlichen Reproduktionssphäre entzogen (es ging dabei nicht nur ums Ficken, daher diese Formulierung), um den Frieden im Peloponnesischen Krieg zu erzwingen. In Spanien haben sie gestern Lysistrata 2.0 aufgelegt. Den Kapitalismus in seinem Lauf hält zwar weder das noch Ochs und Esel auf, aber wenn die Hoffnung nicht endgültig den Bach hinunter gehen soll, ist in heutigen Zeiten zwingend notwendig der „andere Blick“, so wie bei der Aktion in Spanien. Der „andere Blick“ ist im Ursprung eine ästhetische Wahrnehmung von Differenzen in und zum normalen Alltag. Also was läuft im ganz normalen kapitalistischen Alltag anders als die auf Effizienz getrimmte Normmaschine, nach der jede*r einen SUV zu fahren hat, im Besitz von 1,27 Kindern zu sein hat, tätowiert sein muss ersatzweise einen Ring durch die Nase zu haben hat, mit dem man ihn und sie durch den Ring der Warenwelt und anschließend durch den Kakao ziehen kann. Vergessen habe ich noch den jährlichen Besuch eines Helene Fischer Konzertes und den Besitz eines Thermomix. Und nein, ich bin auch nicht besser in meinem Bemühen, mich in ständiger Distinktion zu inszenieren, was nur ja die unabtrennbare Kehrseite der Medaille „Normmaschine“ ist. Das Eine ist ohne das Andere nicht zu haben..
Interessant ist auch das, was im ganz normalen kapitalistischen Alltag normal läuft, aber eine andere Bedeutung bekommt durch den eigenen „anderen Blick“. Verstehen Sie überhaupt, worauf ich hinaus will mit meiner kleinen Geschichte des anderen Blicks?
Beispiel für den anderen Blick: das grandiose Erste Wiener Heimorgelorchester mit dem Lied „ Die Letten werden die Esten sein“ . Das Video im Zusammenspiel mit der Musik ist umwerfend. Und darauf kommt es bei ästhetischer und damit immer auch politischer Wahrnehmung an: Auf die Verschiebung eines Standpunktes.
Die Letten werden die Esten sein
bist du voran, dann bleibe steh’n
und lass den Elch an dir vorüber geh’n.

Sehr schön auch das Kreuzberger Nasenflöten Orchester, das ich vor Jahren im Goldenen Hahn erleben durfte. Beide, Kneipe und Orchester, waren so schwer abseits jeder „Normalität“, dass ich mich allein deshalb auf meine neue Hood inna Berlin freue. Wenn der Goldene Hahn nicht schon lange für einen Edelitaliener weggentrifiziert wurde, liegt er keine 15 Radminuten von meiner Homebase entfernt. Ist nur die Frage, wie ich da beulenfrei um den Kotti rumkomme.
Ein Mikrobeispiel für den anderen Blick ist der Blick auf meine Fensterbank im Arbeitszimmer, siehe oben. Die sieht nun signifikant anders aus als eine normierte Aluminium Fensterbank, an der kein Blick je haften bleibt, weil Eine wie die Andere aussieht.
An meinem Moos kann der Blick schon mal verweilen. Und wer so wie ich vom Land kommt und die Zeichen der Natur noch lesen kann wie ein Apache, der weiß: Das Fenster geht nach Norden. Wo Moos, immer Norden. In dem Sinne, liebe Leserinnen, charmantes Wochenende, und trainieren Sie Ihren ganz persönlichen anderen Blick.

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