1. Mai Feier, eine Genossin (in Gewerkschaftszusammenhängen heißt es eher: Kollegin) mit Geschmack: Lederhandschuhe, farblich passend zum Event. So etwas schätze ich ausserordentlich.
Der 1. Mai war aus gewerkschaftlicher Sicht ein Desaster. Wo in den letzten Jahren um die 10.000 Besucher*innen DGBseitig vermeldet wurden (real waren es immer 5.000), waren es heuer 2.000. Eiskalter Wind und der Brückentag legten das schonungslos an den Tag, was ich im Rahmen meiner Bildungsarbeit für Gewerkschaften schon vor Jahren wahrgenommen habe:
Die Basis bricht weg, entweder legt sie die Löffel weg, kriegt den Rollator nicht mehr in Gang oder sie passt sich dem individualistischen Zeitgeist-Geplärre des klassischen Trittbrettfahrer „Ohnemichel“ an.
Ich friere mir nächstes Jahr bestimmt nicht noch mal den Arsch hier ab. Den nächsten 1. Mai verbringe ich mit den Arbeiter*innen der Lisnave Werft in Lissabon, nachdem ich vorher am Jahrestag der portugiesischen Nelkenrevolution am 25. April in Grandola das Lied „Grândola, Vila Morena“ intoniert habe. Bei meinen Sangeskünsten steht allerdings zu erwarten, dass ich danach des Landes verwiesen werde und der Feiertag verboten wird.
40 Prozent der Bevölkerung hierzulande haben nichts oder Schulden, 20 Millionen sind arm, daran wird auch die alberne und hilflose derzeitige Diskussion vor allem in der SPD, getragen von nackter Panik vor dem Untergang, nichts ändern. Das Kapital, und angesichts des bevorstehenden 200. Geburtstages von Karl Marx darf man mal derart kategorial argumentieren, geht über Leichen, wenn es um Profit geht. Daran ändert die Tatsache nichts, dass „wir“ hier in der BRD im Moment auf einer Insel der Glückseligen leben, wo der Klassenkampf moderat gestellt ist.
Wir haben ihn halt externalisiert. Die mörderische Variante findet zum Beispiel in Bangla Desh statt, wo unsere billigen T-Shirts produziert werden und aus Profitgründen Arbeitssicherheit einen Dreck beachtet wird. Mit der Konsequenz, dass mal eben eine Fabrik einstürzt und über 1.000 Arbeiterinnen den Tod finden.
Also wenn der Mob hierzulande noch nicht mal am 1. Mai den Arsch hochkriegt, dann soll er sich nicht beschweren. Ohne Druck passiert gar nichts. Und über solche Kaspervereine wie attac oder occupy lacht sich doch der ideelle Gesamtkapitalist einen Ast ab. Das sind feuilletongepufferte Modeerscheinungen von adretten Mittelschichtsjünglingen in der Phase vor der Familiengründung. Wenn selbst eine mitunter durchaus in Blut getränkte soziale Kraft wie die Arbeiterbewegung, mit einem millionenfachen Jahrhundertgepäck von Organisationserfahrung bewehrt, letztlich mit einem matten Seufzer der Geschichte alle Viere von sich streckt, werden ein paar wohlmeinende online-Petitionen den Marsch des Kapitalismus in den kollektiven Untergang genauso wenig aufhalten wie Ochs und Esel.
Bis es aber soweit ist, halten wir ein paar Traditionen aufrecht, wie den formgerechten Gruß zum 1. Mai
Faust I oder II – das ist hier die Frage… (Foto: Dirk)
Und die korrekte Länge revolutionärer Ansprachen. Auf die Bitte des hiesigen Versammlungsleiters beim Maifest, ich möge mich bitte kurz fassen mit meinem Beitrag, erwiderte ich dynamisch: „Ich orientiere mich da an den Reden des Genossen Fidel Castro.“
Nach sechs Stunden kam ich zum Höhepunkt. Meiner Rede. (Foto: Annette Boll). Die Stimmung war gut. Zumindest bei mir. Auch, weil die hier abgebildete Aktion mit den Genossinnen und Kolleginnen mir das Herz erwärmte, was angesichts der Arschkälte auch bitter nötig war.
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