05.06.2018 – Aber Zement mal, Agamemnon, ich hätte Specht.


Irgendwie hatte ich mir das in Sachen „Arbeit“ anders vorgestellt, mit meiner Zweit-Homebase in Berlin. Ich würde in nächster Zeit mal die hunderte Überstunden der letzten Jahre abbummeln, reduziere die Schlagzahl im Job und den Rest erledigt man mit dem Smartphone von unterwegs, schlimmstenfalls mit dem Schlepptop. (Eine Verballhornung, die vor 10 Jahren schon so peinlich war, dass man sie jetzt als Avantgarde wieder hervorkramen kann, zumal der klassische Laptop angesichts diverser Hybridformen so am Aussterben ist, dass bereits die nächste Generation einen erstaunt fragen wird: „Plattenspieler? CD? Laptop? Wovon redest Du andauernd, Opa?!“) Stattdessen …. Siehe oben. Ich bin eben unverzichtbar, unersetzlich, überaus wichtig und werde dauernd überall gebraucht, egal wo.
Glaub ich zumindest.
Ich komm ja kaum zum Einkaufen vor lauter Arbeit. Und wenn, fasst einen das nackte Grauen an. Wie hier im Kaufhof:

Die Fußball WM steht vor der Tür. Wolle mer se noilasse?! Narhalla Arsch.
Manche Topoi durchziehen diesen Blog wie ein roter Faden und da ich hier, wie im realen Leben, mitunter zu Geschwätzigkeit neige, einer Art Sprechdurchfall (Töröö! Schechzalarm), dürfte ich mich des Öfteren wiederholen. Weil ich für diesen Blog aber nicht bezahlt werde, ist mir das egal.
Also: Das Leben ist ein steter Fluss von Veränderungen, Panta rhei, wie der Grieche sagt, und recht hat er. Früher war es cool, Fußball gut zu finden. In Linken-, Künstler- und Intellektuellenkreisen war man damit ziemlich out. Out sein heißt aber: Alleinstellungsmerkmal besitzen und die sind der erste Schritt vom Durchschnittstypen zum Mann von Welt, wovon es nur noch ein kleiner Hüpfer zu dessen Vollendung ist, dem Dandy, der nur noch aus Alleinstellungsmerkmalen besteht, weil er sich niemals gemein tut.
Also war, wer auf sich hielt, in den Siebzigern ein Fussball-Afficionado. Dann kamen linke und alternative Spießer dahinter, dass Fußball irgendwie mal proletarisch gewesen war, sich auf die Region bezogen hatte, etc. pp. Und ruck-zuck war Fußball Mainstream. Wenn ich etwas hasse wie die Pest, ist es Mainstream, denn vom Mainstream zum Mob ist es nur ein kleiner Schritt. Und da sind wir heute, beim Mob. Fußball ist eine reine Mobveranstaltung, deren Nähe der Mann von Welt verachtungsvoll von seinen gut sitzenden, vollkommen unsichtbaren Schulterpolstern schnipst.
Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte, siehe oben.
Mittlerweile aber, siehe panta rhei, bewundere ich die alten Recken von früher, die jeder Veränderung und Einsicht trotzen, am Fußball hängen und zum Fußball drängen, sei es in Stadien oder Kneipen. Sie sind die wahren Romantiker, die von einer Zeit träumen, als es noch hieß: „Drölf (hahaha!) Freunde müsst Ihr sein.“
Aber wie das so ist mit der Romantik, als Romantiker erntet man vielleicht ein Leuchten in den Augen der Damenwelt, aber ideengeschichtlich weise ich als marxistischer Dialektiker auf gewisse Verbindungslinien von der Romantik zur späteren Übeln der Irrationalität hin.
Nicht teilen tue ich hingegen die Verurteilung des ansonsten hochgeschätzten Genossen Peter Hacks, der gegen die Romantiker nachtrat, sie seien allesamt opiumsüchtig, sexuell abhängig und gewohnheitsmäßig auf unbegründeten Reisen gewesen.
Also arbeitssüchtig, finanziell abhängig und gewohnheitsmäßig auf Dienstreisen finde ich wesentlich schlimmer.
Aber Zement mal, Agamemnon, ich hätte Specht. (Heißt: „Aber Moment mal, angenommen, ich hätte recht.“ Bürohumor. Mein Fagott, wie ich den vermisse, siehe auch hier)
Was bedeutet das denn für das richtige Leben im Falschen?
Da fragen Sie den Flaschen, liebe Leserinnen.