14.06.2018 – Die Fußball WM hat begonnen.


Verdammte Technik
Vorlesung an der Uni über „Berliner Adressen – Soziale Topographie und urbaner Realismus“ vom Berkeley-Emeritus Hinrich C. Seeba.
Im Berliner Roman zwischen 1885 und 1906 spielen Adressen eine zentrale Rolle bei der gesellschaftskritischen Strukturierung des Geschehens. Dabei fiel der proletarische Osten unter den Tisch. Das assimilierte großbürgerliche Judentum mied das ostjüdische konservative Stedl-Milieu im Berliner Scheunenviertel, wo es nur ging. Der jüdische Philosoph Walter Benjamin kannte den Osten der Stadt nur von Postkarten. Die Mauer zwischen Ost und West gab es also schon damals, in Köpfen.
Ich fand die Vorlesung von Seeba über diesen urbanen Realismus, ausgehend von Fontane, sehr anregend. Zwei Dinge fand ich jenseits des Inhalts bemerkenswert: Berkeley und Stadtindianer.
Seeba war mit der Technik des Headsets etwas überfordert. Die Erklärung: Zustände wie in Deutschland, wo es ohne Technik bei Vorlesungen mit über 150 Hörerinnen nicht geht, gibt es in Berkeley nicht. Er hatte in seinen Veranstaltungen maximal 20,30 Studierende.
Berkeley ist eine Elite-Uni mit einem Etat von mehreren Milliarden Euro per Anno. Ein Jahr Berkeley kostet eine Studentin bis zu 40.000 Euro allein an Studiengebühren.
In Niedersachsen fallen zurzeit keine Studiengebühren an.
Regelrecht hellhörig wurde ich, als Seeba im Zusammenhang mit der Figur des Flaneurs, die ja von Walter Benjamin so famos gewürdigt wurde, davon sprach, dass sich Individuen den urbanen Raum wie Stadtindianer eroberten. Ein Begriff, mit dem die jungen Hüpferinnen in der Vorlesung definitiv nichts anfangen konnten und selbst viele Alk-Achtundsechziger überfordert sind. Stadtindianer waren marginaler Teil der Spontibewegung in Deutschland. Ich weiß nicht, wieso Seeba ausgerechnet auf diesen Begriff verfiel. Waltete da noch etwas in seinem Unterbewusstsein? Und wenn ja, was? Seeba, warst auch Du ein Stadtindianer? Ich hatte mich damals mit ein paar Kumpels in der Richtung zusammengetan. Es war über alle Maßen peinlich im Rückblick (wir trafen uns in einem Uni Raum …) und nur durch den Genuss von illegalen Drogen zu erklären und ich tue hiermit öffentlich Abbitte! Mea maxima culpa!
Aber Seeba war mir von der Sekunde an über alle Maßen sympathisch. Ich stellte mir vor, wie er nächtens mit Pfeil und Bogen über den Campus von Berkeley schweift, schwerst vollgekifft. ´
Seeba, komm bald wieder.