21.08.2018 – Am Anfang war das Wort


Sakralbau Berlin-Schmargendorf
Das obige zentrale Zitat aus Bibel ist natürlich idealistischer Schmarrn. Wir Gläubige der Gemeinde des St. Materialismus wissen: vor dem Anfang war das Nichts, im Anfang war Materie und dann, sehr, sehr viel später, kam das Wort, also die Sprache, in die Welt.Und ist seitdem nicht mehr auszurotten. Angesichts des allgemeinen Verfalls der Sitten und damit natürlich auch der Sprache ein ausserordentlich bedauerlicher Zustand.
Sprache ist ein Herrschaftsinstrument. Allein das Wort „Herrschafft“ spricht Bände. Was meinen Sie wohl, liebe Geschlechtsgenossen, warum es nicht „Frauschaft“ heißt? Sprache transportiert und tradiert also Machtstrukturen, wütet und waltet ohn Unterlass in unserem Unterbewusstsein und lässt uns im Alltag ganz närrische Dinge sagen und tun, die der Emanzipation leider garnicht zuträglich sind. Sei es im Geschlechterverhältnis, beim Ökogedöns oder im Massverhältnis Kapital-Arbeit.
Mit welchen irrsinnigen Vorstellungen im Bereich des letzteren unser Leben durchseucht ist, sei an einem Beispiel gezeigt, dem ganz gewöhnlichen und durchaus bedrohlichen Satz:
„Mein Lebenslauf weist Lücken auf.“
Was für ein von der kapitalistischen Verwertungslogik vermüllter kategorialer Schwerstschwachsinn.
Der Lauf meines Lebens weist durchaus einige Lücken im Sinne einer Erwerbsbiographie auf. Auf die bin ich ohne Ausnahme stolz, allein deshalb, weil diese Lücken, und auch sonst vieles abseits der Erwerbsbiographie, von üppiger Buntheit und prallem Leben gefüllt sind. Es also natürlich keine Lücken, sondern Bereicherungen sind, übrigens durchaus zum Nutzen späterer Arbeitgeber und Kunden.
Ein Lebenslauf, in dem es lückenlos hiesse: „1970 trat ich in den Dienst der Deutschen Müll AG ein, woselbst ich 2016 in Rente ging.“ wäre für mich kein Lebenslauf, sondern prämortaler Tod auf Raten.
Es gibt mit Sicherheit und Göttin sei Dank Millionen Menschen, für die ein derartig lückenloser Lebenslauf die Erfüllung ist.
Aber diese bedrohlich allumfassende diktatorische Dominanz mit der in unserem Beispiel der Begriff „Lebenslauf “ unter das Kapitalverhältnis subsumiert wird, zeigt, wie Machtstruktur mit Sprache transportiert wird.
Amen.

Kreuzkirche, Berlin-Schmargendorf. Einer der raren expressionistischen Sakralbauten. Von Form und Farbe her knallte mir seine explosive Dynamik derart ins Auge, dass ich bremste und innehielt.
Ich kam, und das ist eine schöne Pointe bei all der Sakralität in diesem Blogeintrag, mit dem Radl vom Teufelssee.

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