09.09.2018 – Dem Gesang der Sirenen lauschen


Korfu.
Wenn ich im Zug von Hannover nach Berlin sitze, freue ich mich auf Berlin, und wenn ich im Zug von Berlin nach Hannover sitze, freue ich mich auf Hannover. Das Experiment, sich mal auf diese zwei Hoods für eine Zeit einzulassen, ist offensichtlich geglückt. Als ich aber neulich in Frankfurt inmitten von Stahl, Beton, Glas, Autos, Lärm, inmitten der Bright lights oft the Cities stand, hatte ich auf einmal Sehnsucht nach blauem Meer, Strand, untergehender Kitschsonne, Stille, Geruch nach wildem Thymian und Kiefernharz. Kein Gesang der Metropole mehr. Ich werde meinen Ranzen schnüren, mich an Odysseus‘ Gestade begeben und dem Gesang der Sirenen lauschen. Der Grieche braucht meine Taler bitter nötig und wohlan, ich will sie ihm reichlich in den Rachen werfen. Berlin wird demnächst mal Pause haben. Aber das ist noch nicht zu Ende! Ich habe noch zwei Wünsche im Leben: Ich will einmal mit einer Luftmatratze einen kleinen Bach bei mir in der Nähe runterrauschen, der fast wie ein Wildbach plätschert, und einmal einen echten revolutionären 1. Mai in Berlin erleben. Da muss man wahrscheinlich zwischen drei, vier Veranstaltungen hin- und herpendeln, weil jede versteht unter Revolution was vollkommen anderes und man kann nur beten, dass keine von denen auch nur annährend in die Nähe gesellschaftlichen Einflusses kommt. So richtig die Ansätze mitunter sein mögen: das sind ganz schrecklich verpeilte Menschen, die niemals zuhören können, vollkommen kompromissunfähig sind und meist auch kulturlos wie eine Packung Dosenbrot. Die Geschichte des 1. Mai in Hannover ist für mich jedenfalls auserzählt nach dem absolut desaströsen letzten, wo deprimierende 2.000 schwankende Gestalten einen Zug des Elends bildeten, ganz anders als es mein Frankfurter Kumpel Johann Wolfgang im Faust recht ordentlich formulierte:
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Nein, tut mein Busen nicht. Und es war kein Zauberhauch, der diesen Zug umwitterte, sondern Verwesungsodem.
Außerdem lockt im Frühjahr wieder der Karneval der Kulturen und überhaupt. Aber Winter in Berlin? Eher nicht.

Winter eher so. Strand am Mittelmeer, bei 18 Grad. Das reicht mir schon. Hauptsache Licht, Sonne, Stille. Es ist jetzt nächtens schon kühl, man braucht schon mal ein Jäckchen. Und gerne auch ein Cognäkchen. Es liegt schon ein Ahnen von grauen, kalten Tagen in der klaren Luft.
Prost, liebe Leserinnen.

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