20.10.2018 – Raus aus dem Flieger, rein ins Vergnügen


Peiner Allgemeine Zeitung, 17.10.2018
In der Nacht vorher saß ich noch im Flieger, der mich aus der Sonne des Südens in die Niederungen der Erwerbsarbeit brachte. Ich hatte mir flugs das letzte unbenutzte „Ich-flanier-dann-mal-an-der-Strandpromenade-Hemd“ gegriffen, mich in den Zug nach Peine gesetzt und gehofft, dass ich vor Peine nicht einschlief. Dann wäre ich in Braunschweig gelandet und das ist für einen Hannoveraner so, als wenn ein Schalker auf Dortmund landet.
Ein Problem von Städten ist die austauschbare Gesichtslosigkeit ihrer Cities, vermischt mit Menetekeln des Untergangs, was man beschönigend „Strukturwandel des Handels durch Digitalisierung“ nennen kann. Der stationäre Handel kackt ab, der Inhabergeführte Mittelstand gleicht dem Parmesan, er wird zerrieben, zwischen Internet und Ketten. Leerstand breitet sich zumindest in mittleren und kleineren Städten aus wie ein Krebsgeschwür, sieht aus wie die hässlichen Zahnlücken eines Armen, der sich den Zahnarzt nicht mehr leisten kann. Da geht es Peine nicht anders als dem Rest der Republik.

Es könnte eine Installation sein, die an das Ende einer Menschenbefreiten Welt nach dem finalen Siegeszug eines monströsen Killervirus gemahnt.
Es ist aber eine Ladenzeile in der Peiner City. Ich bin ziemlich Stimmungsempfänglich, um es mal euphemistisch zu formulieren, diese Anmutung stürzte mich sofort in derartig depressive Anwandlungen, dass ich umstandslos hätte anfangen können zu heulen.
Nur wenige Veranstalter freuen sich über einen heulenden Referenten, zumal ich grundsätzlich bei Veranstaltungen, bei denen ich mehr als den Grüßaugust mache, versuche, das Publikum mittels kleinen Aufwärmeinheiten in Form von Jokes zum Mitreden zu motivieren. Es gibt für mich bei Vorträgen eine einzige goldene Regel: Ich kann über alles reden, aber nicht über 20 Minuten. Wenn es mir danach nicht gelungen ist, das Publikum zum Diskutieren zu bringen, habe ich einen Scheissjob gemacht. Dann kann ich auch gleich die Powerpointmaschine in Gang setzen, 36 Folien, Schriftgröße 14, so Valium-Ersatz-Zeug halt. Also motivierte ich mich selbst vor Beginn der Peiner Veranstaltung: „Chakka, reiß‘ mich am Riemen.“ Wenn ich dieses Affengebrüllartige Chakka von Profi-Motivationskaspern nur höre, kriege ich Schreikrämpfe. Wer sowas braucht, ist eher ein Fall für die Klapsmühle.
Ich betrat den Ort des Geschehens, das Peiner St.-Jakobi-Gemeindehaus, also mit einem Lachen im Gesicht und siehe, es ward alles gut. Es wurde ein sehr lebhafter Abend.
Und was mich vollends mit dem Abend und mit Peine versöhnte, war das Gastgeschenk an den Referenten.

St. Jakobi Kirchwein. St. Laurent Rebe, aus der Pfalz, mit einem Bronzeengel. Ein ganz pfiffiges Geschenk, der Engel ist so schwer – das muss Bronze sein – dass er beim Transport sofort hin- und her schwingt und beim Schlagen gegen die Flasche den Effekt eines Kirchenglöckchens erzeugt. Mein Dank und angenehme Erinnerungen gehen an Peine.
Auf der Rückfahrt bin ich dann im Zug tatsächlich eingepennt.
Den ganzen nächsten Tag war ich mit einer Aktion in der City von Hannover beschäftigt, es war mal wieder Weltarmutstag
Am Folgetag Diskussion mit einem FDP Politiker über Umverteilung, mit einem Publikum, das zum großen Teil aus Menschen mit sehr wenig Geld, teils Wohnungslosen, bestand.
Ehrlich gesagt: Ich bin urlaubsreif.
Schönes Wochenende, liebe Leserinnen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert