25.02.2019 – Ich hätte gerne Hühnerbeine oder: das Marxsche Diktum vom Absterben des bürgerlichen Staates


Die Hölle, das sind die Anderen. Haus in einem Dorf, bei mir um die Ecke.
Ich bin mit dem Rad in 10 Minuten in der „City“ und in 15 Minuten auf dem Land, im ersten Dorf. Das ist in einer Stadt mit über 500.000 Einwohner eine tolle Lage, zumal, wenn man, wie ich, in einem Szeneviertel wohnt. Auf einem Immobilienportal würde eine derartig beschriebene Wohnung gemäß der drei Kriterien, die für Wohnungen zählen: „Lage, Lage, Lage“, sofort milliardenfach angeklickt.
Bei näherer Betrachtung schrumpft das Paradies allerdings auf Normalmaß. Wozu brauche ich die City, eine in Beton gegossene Vorhölle voll öder Langeweile und voller aufs Blut gereizter Konsumzombies (nichts gegen Zombiefilme und Konsum ….). Das Szeneviertel ist eine höllisch langweilige Ansammlung alternativer Spießer, unwillig jeder Veränderung, und relativiert sich in Kenntnis von Berliner Kiezen auf eine provinzielle Ansammlung von drei, vier Saufstuben, ein, zwei Tanzdielen und einem beklagenswerten Mangel an auch nur durchschnittlichen Speise-Etablissements, von Weinlokalen mit akzeptablen Portweinen oder Winzersekten wollen wir gar nicht reden. Und nun kommen wir zur schlimmsten aller Höllen in obiger Aufzählung, dem „Land“ oder auch das „Dorf“, 15 Minuten mit dem Radl entfernt.
Welch Paradies, jubelt da die unbedarfte Städterin, deren Enthusiasmus auch durch die volle Ladung Güllegeruch spätestens nach Verlassen der Abgasgeschwängerten Magistrale nicht getrübt wird, untrügliches Zeichen dafür, dass C6H6 seine zerstörerische Wirkungin ihrem Hirn voll entfaltet hat.
Nirgendwo gibt es hier auf dem Land einen Bauernhof, einen Landgasthof, eine Muhkuh, eine Bäuerin mit ausladendem Dirndl, es gibt einfach gar nichts, kein Ton, kein Lärm, kein Hund, einfach nur Ödnis, stumpfe Schlafstätten, Ansammlungen primitivsten Waschbetons, der kulturelle Höhepunkt solcher Höllen ist die Existenz eines Zigarettenautomaten. An solchen Orten würden selbst Zombies und Troglodyten wie Mario Barth Depressionen bekommen. Und erst solche sensiblen Seelen wie ich!

Dann lieber sowas wie Frankfurt, satanischer Hort des Kapitals, unverfroren den Fetisch Geld anbetend, ihm Statuen und Bilder bauend, auf dass der Herr resp. die Frau dieses Babylon mit einem Regen aus Salzsäure und Pech und Schwefel strafe.
Aber da ist wenigstens was los.
Wo aber ist das Rettende? Ist’s der Sozialismus in seinem Lauf? Also wenn ich mich so in der Welt umschaue, kommen mir an der Sinnhaftigkeit des Marxschen Diktums vom Sozialismus, nachdem der bürgerliche Staat in seiner vollendeten Form einfach nur abstirbt und das Proletariat dann diese quasi-Hülle übernimmt und alles wird gut, nämlich Sozialismus, angesichts des handelnden Personals ernste Zweifel. Letztlich wird da eine Hölle durch die andere ersetzt.
Bis es so weit ist, wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen, höllischen Spaß in dieser Woche.
Ach ja, einen hab ich noch. Letzte Woche beim Metzger, Frau vor mir: „Ich hätte gerne Hühnerbeine.“ Ich: „Wünschen Sie sich das lieber nicht.“
Frau und Verkäuferin, mich anstarrend: „…?“

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