02.03.2019 – Götterdämmerung


Hamburg, Elbphilharmonie, von der Elbe aus, in untergehender Sonne.
Ein beliebtes Stilmittel zur Unterstreichung von Dramaturgie ist die Inszenierung von Natur. In düsteren Krimis regnet es andauernd. Wenn die Liebe ins Herz scheint, in Filmen gerne auch Sonnenaufgang mit Blumenwiese und Gezwitscher von Vögeln (der Kalauer musste einfach sein.) Der obige Schnappschuss gelang mir auf einer Elbfähre in den zwei, drei flüchtigen Sekunden, wo die Abendsonne diesen Reflex auf ein Fenster der Elbphilharmonie bannte.
Meines Bleibens ist überwiegend an Magistralen, die zehntausende von Autos jeden Tag passieren, mit entsprechender Hinterlassenschaft von Feinstaub und Stickoxiden. Ich habe noch keine valide Statistik gefunden, die mir sagt, wieviel Lebenszeit mich der Dreck kostet, durchschnittlich und hochgerechnet. Dazu müsste man vergleichende Orte heranziehen, mit weniger Belastung, wie Helgoland oder die Zugspitze. Da ist aber die Bewohnerinnen Struktur eine andere. Normalerweise wohnen an Hauptverkehrsstraßen mit Lärm und Dreck Menschen mit wenig Geld, die sich anderes nicht leisten können. Und Menschen mit wenig Geld haben grundsätzlich zusätzliche Gesundheitsrisiken neben schlechter Luft. (Arme Männer sterben 11 Jahre früher als ihre normalverdienenden Geschlechtsgenossen. Frauen 7 Jahre, die sind zäher) Gesundheit muss man sich leisten können.
Die Gleichung Hauptverkehrsstraße = Anwohnerinnen mit wenig Geld gilt aber nicht immer. In Berlin ist meine Homebase, die Yorkstr. (geschätzte 50.000 Boliden pro Tag), zum Beispiel ein Ensemble mit Stuckverzierten Häusern aus der Gründerzeit, Biergärten, Kneipen, etc. ein Hort der aufstrebenden, prosperierenden, alternativ-urbanen Elite (außer mir!), die aber sowas von gesundheitsbewusst und selbstoptimierend ist. Wir sehen also, die von mir heiß und innig geliebte Statistik stößt an ihre Grenzen. Es gilt der Einzelfall.
Und der treibt mich immer mehr aus Gründen des Durchatmens an Ort von Licht und Luft. Immer öfter stehe ich am Meer, tief atmend vor mich hin röchelnd: „Welch Wohltat für meine malträtierten Bronchien.“ Das war mir früher, mit der Kippe im Maul, sowas von scheißegal.
Und so zieht es mich, wenn Vorfrühling sein blaues Band flattern lässt, zum Tor zur Welt, zum winddurchtosten Hafen von Hamburg, zur Fähre zum Elbstrand, wo junges Volk (und ich!) dann in der Sonne liegt. Man ahnt es schon in der U-Bahnstation Landungsbrücken, es zieht vom Hafen her wie Hecht, man kann es auch frische Brise nennen. Unten an den Pontons, wo die Fähren abfahren, atme ich dann immer tief durch. Seeluft macht frei.
Und brach heuer umgehend in einen erstickenden Hustenanfall aus. Ätzender Dieselgestank biss mir in Nase und Lunge, überall waberten Wolken dieses betäubenden Gemischs aus Altöl und Frittenfett, oder womit tanken die ihre Kähne da? Ein Blick aufs Smartphone zeigte mir, dass ich an einem der luftdreckigsten Orte des (mir bekannten) Universums gelandet war
War das schon immer so? Ist das schlimmer geworden? Bin ich empfindlicher?
Sind so viele Fragen, musst Du tüchtig trinken.
Ist mir ehrlich gesagt auch schietegal.
Wenn ich saubere Luft will, muss ich eben nach Helgoland ziehen. So sind die Kosten des urbanen Lebens nun mal. Und dieses eine Bild mit der Elbphilharmonie hat sowieso alles gelohnt, dieser natural konzertierte Metropolen-Kommentar zur Situation des Planeten:
Götterdämmerung.

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