09.03.2019 – Wir sind alle Opfer


Frankfurter Bankenviertel, Opferdenkmal vor Commerzbank-Turm.
Eine der beliebtesten deutschen Selbstinszenierungen ist die Opferrolle. Brutal und empathielos wie der gemeine Ostgote nun mal anderen gegenüber ist, neigt er auf der anderen, seiner, Seite zu einem unglaublichen Selbstmitleid. Eben gerade hatte er noch ein Weltkriegs-Blutbad mit 60 Millionen Toten angerichtet, da jammerte er schon über die „Besatzermentalität“ der Siegermächte, die ihm tatsächlich sowas Wesensfremdes wie Demokratie einbimsen wollten. Ganz zu schweigen vom gottlosen Sozialismus in der Ostzone. Die 68er winselten dann über den Muff von 1000 Jahren unter den Talaren und die Nazi-Verstocktheit ihrer Väter, um selbst umgehend einen „linken“ Antisemitismus vom übelsten zu entfalten. Den Mantel der Verschwiegenheit decken wir mal über die Betroffenheits-Jammerlappen von der Friedensbewegung und wenden uns den heutigen Opfern zu, die von „Flüchtlingslawinen“ erstickt werden, denen „Migrantenfluten“ die letzte Wurst vom Brot nagen, die von Handymasten elektronisch zu dutzenden Krebsarten gegrillt werden, von Wölfen gefressen, von Windkrafträdern zerhäckselt, von Umweltgiften zerfressen bei lebendigem Leibe´- und zum Ende ihres erbärmlichen Opferlebens fällt ihnen auf den Malediven eine Öko-Kokosnuss auf den schädelgedämmten Hohlraum, nachdem sie jahrzehntelang rebellisch ihren Autoaufkleber „Atomstrom? Nein Danke!“ in Dreiliterboliden durch die Gegend kutschierten. Das Opferlamm der Oster-Mythologie kam mit Sicherheit aus einem frühchristlichen deutschen Ökobetrieb.
Wer glaubt, ich übertreibe maßlos und pauschal, der empfehle ich eine Tour d’Horizon durch die deutsche Denkmal-Landschaft. In jeder Kuhpläke mit zwei Milchkannen und einem halben Schwein Opfer, wo der Blick sich auch wende, nur Opfer. Opfer von Vertreibung und Gewalt, Opfer zweier Weltkriege, hier gerne auch Helden, die sich für das Vaterland opferten – die Inschrift „Für Führer, Volk und Vaterland“ wurde mal kurz aus Opportunitätsgründen rausgemeißelt, es ist aber auch so noch schwerstbehämmert genug. Denn im Normalfall waren die Opfer die Täter.
Suchen Sie dagegen mal ein Denkmal für die wahren Opfer, für die ermordeten Juden des Holocaust. In Städten unter 100.000 Einwohnerinnen müßen Sie da aber sehr lange suchen.
Insofern hat mir das obige Denkmal in seiner weisen Voraussicht gut gefallen: multimodal, multifunktional, kein Meißel nötig. Diese von mir via Blickwinkel insinuierte kapitalistische Opferikonografie bringt es nun wirklich auf den Punkt: Die Schutzvereinigungen der Lehman Brother-Geschädigten oder Targobank oder P & R Containerpleiten, etc. pp. to be continued ohne Ende, klagen an – wir sind Opfer des maßlosen Finanzkapitalismus.
Anstatt sich schweigend im Morgenspiegel zu gestehen: Ich bin Opfer meiner eigenen Gier und Blödheit.
Es gibt in diesem elenden Opferbetrieb nur einen aufrechten Gerechten. Und wer das ist, liebe Leserinnen, verrate ich Ihnen im nächsten Blogeintrag. Bleiben Sie drin!

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