22.06.2019 – Riesiger Marihuana-Rauchpilz


Third World im Yaam, Juni 2019. Ab und zu befrage ich das Orakle von Delphi, vulgo Internet, ob es meine Lieblingsgruppen noch gibt und ob sie noch auf Tour gehen, um die vermutlich letzte Chance zu nutzen, die zu hören. Was eine ambivalente Geschichte ist, ich habe es auch schon erlebt, dass mir durch ein ehrgeizloses Agieren alter Säcke auf der Bühne schöne Jugenderinnerungen coram publico vernichtet wurden. Da waren dann die Mythen in Tüten sozusagen, um eine alte hannöversche NDW Combo in Erinnerung zu rufen.
Das Yaam ist der Berliner Place to be, was black music angeht. Third World war musikalisch ambitionierter als die diverse Schlabber Reggae-Combos beispielsweise des Reggae-Mythos Bob Marley und „96 degrees in the shade“ ist einer meiner 10 Lieblings-Popsongs schlechthin , also nichts wie hin. Positiv: man brauchte selber nichts zu kiffen, sobald man sich auf 20 Meter an den Laden näherte, war man nach drei Atemzügen stoned. Ich wartete jeden Moment auf das Eintreffen der Feuerwehr angesichts des riesigen Marihuana-Rauchpilzes, der über dem Gelände schwebte wie Wolke 7. Die ersten Stücke des Konzertes transportierten den Mythos, die glorreiche Erzählung seliger alter Zeiten, auch angemessen in meine tanzwütigen Knochen, aber dann protestierten meine Ohren laut(!)hals. Der Mann am Mischpult machte mit meinen Ohren das, was dereinst Hitler mit Polen gemacht hatte (Pointe nach Ernst Lubitsch). Ein dröhnender Sound-Brei mit einer Lautstärke wie bei einem Motörhead-Konzert löste bei meinen Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel Panikalarm aus und raubte dem Reggae das, was für ihn konstituierend ist, den schwebenden Grove. 96 degrees ging dann, lebte aber stark von der Erinnerung, und die Moral des Abends war: Musikalische Erinnerungen werden anders als Sauerkraut nicht besser, wenn man sie aufwärmt (Pointe nach mir selbst).
Was mich nicht davon abhält, Ende des Monats Toto in der Spandauer Zitadelle anzuhören, jeder Song ein Exkurs über den perfekten Aufbau eines Popsongs, mit garantiert gutem Sound, allerdings völlig tanzbefreit. Bei einem Konzert von Toto in Hannover, es muss vor dem ersten Weltkrieg gewesen sein, war der Gitarrist Steve Lukather von der Bühne gefallen und hatte sich einen Arm gebrochen, was ein akzeptabler Grund für einen Konzert-Abbruch ist. Seine Frisur, im Video zu bewundern, sieht heute noch so aus, als ob sie in Gips wäre. Ich weiß noch, wie ich zu einem Kumpel damals sagte: „Scheisse, wir haben zu viel geraucht. Ich verstehe immer bei den Ansagen, dass der Gitarrist sich den Arm gebrochen hat. Wie kann sich ein Gitarrist denn den Arm brechen?!“
Jugendsünden, die im Schreiben hochkommen. Allein dafür lohnt sich das Blogschreiben.
Von allgemeinerem Interesse als dieses Subjektiv-Gedöns bis hierher, und damit sind wir mitten im Thema „Wem gehört die Stadt?“, ist die Tatsache, dass das Yaam zauberhaft direkt an der Spree liegt, im Bereich von Mediaspree, einem der größten Investorenprojekte in Berlin. Ich schätze mal, dass das Yaam noch 5 Jahre hat, bevor es einem der üblichen austauschbaren Profittürmen weichen muss. Da wird den Rastafaris und ähnlich spirituell Veranlagten aus dem Umfeld des Yaam das Anrufen höherer Mächte wie Jah wenig nutzen. Spiritualität ist ebenso den Gesetzen der Ökonomie unterworfen wie das Bierbrauen, um mal legale Drogen anzuführen.
Wenn es allerdings irgendwo in der BRD gute Bedingungen für erfolgreichen, auch radikalen, politischen Widerstand gegen die völlige Unterwerfung aller menschlichen Bedürfnisse und Äußerungen unter die Gesetze des Marktes gibt, dann in Berlin. Allein dafür ist diese Stadt liebenswert und so lassen wir abschließend versöhnlich bunte Blumen der Hoffnung blühen

Veranda Morgensonne, mit blühenden bunten Blumen der Hoffnung.

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