20.12.2019 – Der Hosenkrieg


Der Autor als Hippie-Imitator, kurz nach dem Krieg. Keine Ahnung, welcher es war, es war jedenfalls zu einer Zeit, als das Tragen von langen Haaren und devianten Klamotten noch auf Missfallen des Mobs stieß. Bei einem meiner ersten Ferienjobs (da waren die Haare noch länger als im Bild) in einer Brauerei tapste ich unnüchtern in der Mittagspause über den Hof, als hinter mir der Ruf erschall: „Hallo, Susi!“ Ich dachte: „Super, hier gibt’s auch Weiber.“ Die für mich bis dato als Insasse eines reinen Bubengymnasium fremde Wesen von einem anderen Stern waren. Ich drehte mich um und musste erkennen, dass die versammelten Werker mich meinten. Und das war noch harmlos im Vergleich zu anderen Rempeleien und Pöbeleien, deren einer Höhepunkt der Versuch eines Easy-Riderartigen Spießers war, mich mittels Autos auf meinem Rad umzufahren, bei runtergekurbeltem Fenster und dem Ruf: „Verpiss Dich, Scheiß-Hippie.“
Solche Geschichten haben mit dazu beigetragen, mir eine mitunter rüde Zweikampfhärte zu vermitteln, gegen die Imponderabilien des Lebens.
Tempi passati, wir leben in friedlichen und toleranten Zeiten. Kleidungsfragen sind da ebenso obsolet wie Fragen des Stils, der Frisur etc. pp…
Sollte man meinen.
Dass dem nicht so ist, beweist der Hosenkrieg von Hannover, wo ein privates Gymnasium den Schüler*innen das Tragen von Jogging-Hosen in der Schule verboten hat
Nun kann man argumentieren, dass die Jugend auf das Berufsleben vorbereitet sein soll, wozu das Tragen angemessener Kleidung gehört. Das Argument mag an einer Grundschule in einem sozialen Brennpunkt gelten, wo Schüler*innen mit vielen Mitteln davon abgehalten werden sollten, in die vierte Generation Hartz-IV zu rutschen. An einem privaten Gymnasium, wo der Eliten-Mob seine Brut aufbewahren lässt, ist der Standard eine Jogging-Hose von Versace, aber nicht die Prollvariante aus Ballonseide. Daher ist das Argument der Berufsvorbereitung Ideologie, der Schein der Lüge hinter dem Schleier des Halbwahren.
Es handelt sich beim Verbot der Jogginghose um reinen Klassenkampf von oben nach unten. Die Jogginghose als prototypisches Symbol der Unterschicht, des Prekären gilt es zu bekämpfen, und damit ihre Träger*innen. Wo ansonsten rotgrünalternative Mittelschichtstoleranz gepredigt wird und im eigenen Leben praktiziert wird, gilt das nicht für das Fremde. Zumal dann, wenn dieses Fremde die Drohung des eigenen Abstiegs beinhaltet. Seit Hartz-IV ist die Angst vor dem sozialen Absturz auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen und lässt diese zusehends verrohen, alles, was nach Hartz-IV riecht, schmeckt, aussieht, muss weg. Getreu dem kindlichen Motto: Was ich nicht sehe, existiert nicht.
Man könnte ja auch auf die Idee kommen, das Tragen von Versace-Klamotten in der Schule zu verbieten, um den Schein von Egalität herzustellen und Stigmatisierung via Markenterror zu reduzieren. Davon ist mir nichts bekannt.
Es gäbe so viele Möglichkeiten und Mittel, Schüler*innen gegen sozialen Absturz fit zu machen, zum Beispiel eine so ausreichende materielle Ausstattung, sich auch mal schöne Kleider, was immer das sein mag, kaufen zu können. Kleidungsverbote sind eine derart erbärmliche Variante, dass in mir Reste des alten Rebellen aktiviert wurden und ich mir umgehend eine Jogginghose aus 120 Prozent Polyester zulegte.

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