22.05.2020 – Meine Kultur mach ich mir selber


Fahrschule B-STANDEN. Gut, dass diese Fahrschule ihren Sitz in Berlin hat. Im Chamisso Kiez in Kreuzberg, dem Biotop für alternative, gediegene Kreativität schlechthin. Was da heute in ist, verseucht später die ganze Republik.
Für Augsburg wäre nur sowas wie A-UFFAHRUNFALL drin. Oder für Torgau-Oschatz (in der Ostzone) TO-TALSCHADEN.
Das war ein beliebter Sport, als ich noch Waldbauernbub war: Autokennzeichen sammeln. Aufschreiben, nicht abschrauben. Späterer Anarcho-Sport: Mercedes Sterne sammeln, reale allerdings.
Sowas hat mich nie interessiert und Kumpels, die Auto Kennzeichen sammelten und sich darüber austauschten, hab ich damals für bekloppt gehalten. Würde mich mal interessieren, was aus solchen Leuten geworden ist. Nee, eigentlich doch nicht, will ich gar nicht wissen.
Metropolen sind Petrischalen für Veränderungen, Kulturen finden hier idealen Nährboden, entwickeln sich mitunter explosionsartig. Die ländliche Idylle hat auch ihre Vorteile. Sie steht überwiegend für Kompostierung. Was zum Kreislauf dazu gehört. Man muss nur den Geruch mögen. Nach drei Tagen Natur kriege ich normalerweise Depressionen, zumindest in unseren Breitengraden. Aber auch im Süden, am Meer, bevorzuge ich am Strand deutliche Spuren von Zivilisation, wie eine gepflegte Bar mit gekühlten Getränken. Und im nahen Bergdorf einen Marktplatz mit zwei Restaurants, Konkurrenz belebt das Geschäft und erhöht die Wahrscheinlichkeit für halbwegs genießbare Nahrung. Einsame Strandidylle macht mich nervös, ich schiele dauernd zum Horizont, ob da nicht Piraten oder Kannibalen in Sicht sind. Im Ernst, in heutigen Zeiten entspricht die Idylle der Romantik: Sie ist das falsche Leben im Richtigen.
Der Quasi-Idylle-Zustand Berlins in Zeiten der Seuche kann eingefleischte Metropolen-Aficionados verunsichern. Beispiel S-Bahnhof Potsdamer Platz:

Gähnende Leere, wo sonst Fülle, Bewegung, Hektik das vorherrschende Bild ist. Ähnliche Bilder auch an anderen belebten Orten, am Hauptbahnhof, vor dem Reichstag. Über allem liegt eine einmalige Atmosphäre, ein Hauch von Entschleunigung, Entspannung gar, Ruhe, Innehalten. Und das alles vor einer mitunter grandiosen Kulisse von Urbanität, Dynamik, Leben, auch Rohheit und Gewalt, all den ambivalenten Kräften, die Metropolen eben auszeichnen.
Je nach Entwicklung der Seuche können das einmalige Bilder, Impressionen sein, die bald verschwinden und vom üblichen, flirrenden Alltag abgelöst werden. Das hoffe ich zumindest. Wenn das dauerhafte Bilder und Filme werden, ist unsere Gesellschaft eine andere, eine, vor der mich gruselt. Bis entschieden ist, wohin die Reise geht, genieße ich diese Atmosphären mit dem Gefühl, bewusster Zeitzeuge einer Ausnahmesituation zu sein.
Dieses Gefühl muss man sich allerdings leisten können. Müsste ich wie vor dem Krieg noch mit der einen oder anderen Kulturarbeit notwendige Taler für die oben beschriebenen Strand- und Bergdorfidyllen verdienen, würde ich diese Atmosphären sicher mit anderen Augen wahrnehmen. Kultur ist eben nicht systemrelevant. Das wünscht sich die vegane Bionade schlürfende Webdesignerin vom Chamissoplatz vielleicht. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert, sondern eine an den Interessen und Bedürfnissen des Kapitals ausgerichtete Veranstaltung, und da kommt Auto- und Fleischindustrie vor Kulturindustrie. Luftfahrtindustrie nicht zu vergessen.
Und das ist auch gut so, die sorgt nämlich für meine Urlaubsflüge.
Meine Kultur mach ich mir selber. Die ist wie Persil: Da weiß man, was man hat.
In dem Sinne: Bleiben Sie gesund, liebe Leserinnen.

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