03.02.2022 – Wo warst du am 27.01.2020?


27.01.2020, irgendwo an der Algarve. Die Mandeln waren voll erblüht.
Eine beliebte Frage: Was haben Sie eigentlich an historisch bedeutsamen Daten gemacht? 11. September 2001, World Trade Center? 9. November 1989, Annexion der Ostzone? 24.12.000, Geburt Jesus?
Am 27. Januar 2020 bestätigt das Münchner Tropeninstitut den ersten Corona-Fall in Deutschland.
Dieses Datum kam mir in den letzten Tagen des Öfteren unter die Augen. Ein Klick in meinem Blog und ich wusste, wo ich da war: Im Atlantik gebadet, schwarze iberische Schweine auf einer Wiese voller Schlüsselblumen bewundert und abends Schweinebäckchen in Rotwein an dreierlei Dünstgemüse.
Und wenn es nur zur Vergewisserung solcher Umstände wäre, so ist es das Blogschreiben wert. Wo war ich eigentlich, als alles begann, nicht mehr so zu sein, wie es war?
Wenn wir aufwachen, treten wir in das Reich der Notwendigkeit, des Zwangs ein. Morpheus und Hypnos entlassen uns mit leichten Armen in eine Welt, die zunehmend zu Mühe geworden ist.
Wenn ich dagegen beginne, diesen Blog zu schreiben, trete ich für Momente in das Reich der Freiheit ein, in eine Welt, die ich mir nach Belieben selbst schaffen kann, ohne Pflicht oder Abhängigkeit. Grenzen setzen höchstens Diskretion und Stil, das Strafgesetzbuch (aber auch nur begrenzt) und ein Rest Respekt vor der Sprache (nicht: vor dem Duden. Der ist was für Loser).
Eine Welt, die zunehmend zu Mühe geworden ist. Die gruselige alttestamentarische Drohung, die für einige ein paar Jahre von ihrem realen Schrecken etwas verloren hatte, schiebt sich düster wieder nach vorne: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.“
Mir kommt’s hoch, wenn ich sowas lese: „… wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen…“. Schlimmer geht preußisch-protestantische Kapitalismusethik nun wirklich nicht.
Lassen wir mal außen vor, dass für Millionen prekär Arbeitende das Leben tatsächlich eine Qual ist mit nichtexistenzsichernder, gesundheitszerstörender Arbeit, übertroffen nur noch von einem ohne Arbeit im Hartz-IV-Bezug, was deutlich lebensverkürzend ist. Nehmen wir uns mal die Mitte vor: Das alltägliche Leben ist zunehmend für die Mitte der Gesellschaft, die eh schon bedenklich schrumpft und vom Abstieg bedroht ist, unter Seuchenbedingungen zu Mühe geworden. Und ob da irgendwo Licht am Tunnel ist, weiß selbst der Obervirologe nicht. Wieviel Zeit bleibt uns noch für was, unter welchen Umständen? Das Leben rinnt wie Wasser durch die Finger. So wird auch die beklemmende biblische Prognose „ … denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon … “ bittere Realität.
Genug der Bibel Exegese, denn: Wer’s glaubt, wird selig. Und selig sind bekanntlich die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. Aber wer will schon mit den Doofen abhängen.
Und bei der Bibel und dem Glaubensgedöns ist man schnell bei Verschwörungserzählungen. Wem fielen in Seuchenzeiten nicht die apokalyptischen Reiter ein: Seuchen, Teuerung (5 %!), Krieg und Tod. Sehet, das Ende ist nahe?
Mag ja sein. Hauptsache, wir machen was draus.

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