03.05.2025 – Vorsicht Stufe

Humboldt-Universität, Berlin, Unter den Linden. Die 11. These über Feuerbach, in deren Gesamtfassung Marx den deutschen Idealismus vom Kopf auf die materialistischen Füße stellt . Es kommt eben auf die Praxis an und nicht auf das Wollen und Denken. Bemerkenswert allerdings in der ehrwürdigen Alma Mater (= nährende Mutter) fand ich die Tatsache, dass auf jeder Stufe „Vorsicht Stufe“ steht. Eine feine und von den damaligen DDR Behörden sicher nicht beabsichtigte Ironie: Das Wesen der Dialektik im Weg zur Erkenntnis liegt in drei Stufen: These, Antithese, Synthese. Man könnte also auch Schilder aufstellen mit der Aufschrift: Vorsicht Erkenntnis.
Und warum um Engels Willen ist da auf jeder Stufe ein Schild? Hätte nicht auch jede zweite gereicht? Oder, ganz kühn, unten nur eines? Liegt in diesem Schilder-Exzess vielleicht das Wesen des Scheiterns des DDR-Sozialismus, in der überfürsorglichen, allnährenden und den Individuen nichts zutrauenden, noch nicht einmal die Freiheit, Rolle des Staates?
Asche der Geschichte. Die DDR konnte damals gar nicht anders handeln. Die Mehrheit der DDR-Bevölkerung war nach dem Krieg immer noch komplett mit faschistischem Gedankengut und Ideologie verseucht, bis ins Mark antibolschewistisch infiziert. Wer an Details über den Nachkriegsalltag und das Denken und Fühlen der Menschen in der sowjetischen Besatzungszone interessiert ist, sollte sich den faszinierenden DLF-Podcast anhören über Viktor Klemperers Tagebücher . In seinen Tagebüchern beschreibt Victor Klemperer, wie er die großen Umbrüche erlebt – von der Weimarer Republik über die Nazi-Zeit bis zum ersten Jahrzehnt der DDR. Was seine Aufzeichnungen bis heute so spannend macht: Geschichte wird nicht von ihrem Ende her bewertet, sondern fortlaufend notiert.
Viktor Klemperer war nach dem ersten Weltkrieg Angehöriger des nationalkonservativen, akademischen, jüdischen Bürgertums, überlebte die Nazi-Diktatur nur knapp, weil seine nichtjüdische Frau zu ihm hielt und sich nicht scheiden ließ. Als Humanist reinsten Wassers und Intellektueller blieb ihm im Gang der Geschichte nach der Befreiung vom Faschismus durch die Sowjets nur eine ethische Wahl im „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“: Der Sozialismus. Bei allen Konflikten und negativen Entwicklungen blieb er parteiisch bis zum Lebensende. Wie er im Detail den immer noch vorhandenen alltäglichen Antisemitismus beschreibt, die „Russen“feindlichkeit, die Engpässe, den verlorenen materiellen Wettlauf mit den Westzonen, all das lässt nur den deprimierenden Schluss zu: Um die DDR, den Sozialismus, den Antifaschismus auf deutschem Boden am Leben zu erhalten, war mit dieser in großen Teilen niederträchtigen Bevölkerung kein demokratischer Staat zu machen. Was blieb, war der autoritär-obrigkeitsstaatliche Versuch der Umerziehung, der Vorschriften auf allen Wegen. Vorsicht Stufe! Auf Tritt und Schritt.
Es war die Wahl zwischen Scylla und Charybdis. Es musste scheitern.
Ich aber stand an der Treppe der Humboldt Universität und war vom Mantel der Geschichte gestreift, ergriffen. Wer von der prachtvollen Straße „Unter den Linden“ in die Alma Mater eintritt, vorbei an den Denkmälern der Humboldts, und nicht angerührt ist, dem ist nicht zu helfen. Und mit dem ist genau das nicht mehr zu machen, was schon damals, zu Klemperers Zeiten, nicht machbar war: Demokratischer Staat. Und genau danach sieht’s im Moment ja auch aus. Sonniges Wochenende, liebe Leserinnen, und zum etwas sinnlicheren Abschluss ein kurzes, erotisches Gedicht, das bei einem Besuch meines Lieblingskonditors entstand:

Wenn ich Deine Rosinenschnecke
lecke …

01.05.2025 – Der 1. Mai

Sitze gerade im IC nach Nienburg, wo ich kurzfristig als Mairedner bei der DGB Maifeier einspringen soll. Für begnadete Revolutionsrhetoriker gilt bei machtvollen Agitationen: Wer Manuskripte nutzt, ist feige. Nienburg kann sich freuen. Die City von Hannover ist voll, aber nicht in schwarz, vom autonomen Block sondern in lila. Kirchentag. Oben das Logo. Von Langnese Eis geklaut.

Der Kulturblock trifft sich um 9 Uhr in Hannover. Das hätt ich mir angeguckt. Der Ort passt: Debakel. Ich ahne, wer dahinter steckt. Guter Mann. Ich drücke die Daumen. Auf meinem Manuskript für Nienburg steht jetzt:“ Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen…“

Das wird nix. Noch ein Schluck aus meinem Reiseflachmann. Am Horizont leuchtet Nienhagen. Nienstedt? … Das wird ein Desaster. Und die Lokalpresse ist dabei. Ich meld mich wieder.

Hier verkehrte schon Amy Winehouse. Oh, Nienburg, Du graue Stadt am Meer. Als ich am Festplatz ankam, war ich schon leicht angeknetert. Und enthusiasmiert.

Es war mit Abstand das entzückendste Ambiente für eine Maifeier, das ich je erlebt habe. Im Biedermeiergarten eines Museums. Der Genius Loci fuhr in mich und ich redete in Zungen. Das ist biblisch und meint, dass der HERR aus mir sprach. Erleuchtet. Es soll laut Aussagen von Anwesenden sehr lebendig gewesen sein.

Jetzt ist es 14.14 Uhr ich sitze im Zug zurück und bin stocksauer, dass niemand von der Weltpresse da war. Resignierende Aussage des Veranstalters: Die Lokalzeitung gehört jetzt zum Madsackkonzern und seitdem gibt es keine Berichte mehr über sowas. Nicht, dass ich irgendwie eitel wäre und mich auf irgendwelchen Titelseiten sehen muss. Es geht mir immer nur um die Sache….🤣Aber das ist Zensur. Die Bourgeoisie will mich mit aller Macht unterdrücken. Das ist doch schon fast Faschismus… Und der Tag ist noch nicht zuende.

27.04.2025 – Den Kapitalismus retten, um die Demokratie vor dem Faschismus zu retten?

Haus Lindenberg, Kreuzberg, Bergmann-Kiez. Leerstand seit Jahren. Sobald das besetzt würde, erfolgt Ruckzuck-Räumung. Mit allen Mitteln. Berliner Linie seit Jahren. Berliner Antwort auf die katastrophale Entwicklung des Wohnungsmarktes.
Kann man machen, wenn man den Kapitalismus vor der Not seiner Bewohner*innen schützen will. Mittlerweile stellen sich langsam, aber sicher wie das Amen in jener Kirche, in der demnächst ein ultrareaktionärer Papst gewählt wird, ganz andere Fragen. Dazu folgendes Zitat vom der Kapitalismusfeindschaft eher unverdächtigen Chef der Allianzversicherung Thallinger, aus Spiegel online unter der Überschrift: Wie Trump den Kapitalismus bedroht  : Ab einem bestimmten Punkt (der Klimakrise, d. A.), so Thallinger, funktioniere die mathematische Logik der Versicherungen nicht mehr: »Die erforderlichen Prämien sind höher als das, was Menschen oder Firmen noch bezahlen können. Das ist bereits im Gang. Ganze Regionen werden unversicherbar.« Das sieht man bereits, etwa in Kalifornien und Florida. Auch Staaten wären bald überfordert, diese Lücken mit Steuergeldern auszugleichen. Der Immobilienwert ganzer Regionen werde wegen Unversicherbarkeit »aus den Kassenbüchern verschwinden«, und dieser Prozess werde »schnell und brutal« verlaufen, so Thallinger. Auch »Anpassung« an Hitze sei in vielen Fällen eine vergebliche Hoffnung. Es gehe nicht darum, »den Planeten zu retten«, so Thallinger. »Es geht darum, die Bedingungen zu retten, unter denen Märkte, Finanzmärkte und die Zivilisation an sich weiterhin funktionieren können.« Die Klimakrise sei eine »existenzielle Bedrohung« – für den Kapitalismus.“

Da der Kapitalismus aber pfiffig ist, anpassungsfähig, lernbereit, hat er auch für diese Bedrohung eine (Zwischen?)-Lösung: Die extremste Form der bürgerlichen Herrschaft, deren Wesen ja der Kapitalismus ist. Faschismus.

Diesen Prozess des Übergangs erleben wir gerade in den USA. Der Kampf zweier Fraktionen: Hie Faschisten in Reinkultur, militante Kämpfer um die kulturelle Hegemonie in der Gesellschaft, wie J. D. Vance, Steve Bannon etc. pp. Da (Dada?) die Ökonomisten wie Musk, die ihre Gewinne geschmälert sehen. An der Demokratie liegt ihnen nichts, aber am Profit liegt ihnen alles. Auf den Ausgang dieses Konfliktes werden noch Wetten angenommen.

Ich würde ja gerne in Eskapismus machen und irgendwohin retirieren. Aber sowas wie ein günstiges Exil in düsteren Zeiten wie früher, bei den Nazis, wird es wohl zukünftig, siehe oben, kaum noch geben. Mein Favorit wäre der Garten Eden, hier:

Haus Lindenberg, Garten. Paradiesische Zustände.  An der Straße bin ich jahrelang dutzendfach vorbei gegangen, bevor ich das Haus Lindenberg zufällig entdeckt habe

25.04.2025 – Der 1. Mai steht vor der Tür.

Mir sträuben sich mitunter die Haare, angesichts der wankenden Gestalten und Politzombies da.

Politzombies. Antisemitische Trotzkisten, die China gegen Imperialismus verteidigen wollen. Da kann man auch gleich den Wolf zum Hütehund der Schafherde machen. Beim 1. Mai in Berlin kommen Untote aus ihren Gräbern und feiern fröhlich Mao, Lenin und Stalin. Politkarneval vom schrägsten

Liegt da die Hoffnung? Autonome Schülerinnen.

Was aber bleibt am Ende jenes Tages, an dem das Phrasenschwein wieder ordentlich Futter kriegte, ist die endlose Weite der autobefreiten Karl-Marx-Alle, der schönsten Straße der Welt. Diese Blicke sind jene Momente von Transzendenz, die Tage wie diesen den glänzenden Goldlack gelungener Größe geben. Beachten Sie bitte die „5 G“ Alliteration.

Das Ärgerliche an den fast niedlich-schrulligen Politzombies ist die Tatsache, dass ihre Existenz und der Blödsinn, den sie verzapfen, Legitimation liefern für eine grundsätzliche Desavouierung aller sozialistischen Gedanken, auch von Klassikern wie Lenins Imperialismustheorie. Die Theorie in Kürze:

– der Kapitalismus führt zu einer Phase der Konzentration von Kapital und Produktion in den Händen einiger weniger Monopole. Diese Monopole üben Macht über den Markt, die Wirtschaft und Staaten aus, was Lenin als den Imperialismus bezeichnet

–  die Fusion von Bank- und Industriekapital ist eine wichtige Triebkraft des Imperialismus.

– Das Finanzkapital ermöglicht es den Monopolen, in Kolonien zu investieren und sie wirtschaftlich zu unterdrücken.

– der Bedeutungszuwachs des Kapitalexports im Verhältnis zum Warenexport

– letztlich erfolgt die vollständige territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte. Im digitalen, postindustriellen Zeitalter müssen sie die Territorien nicht notwendig materiell besetzen. Insofern ist Trumps Griff nach Grönland und Panama ein Anachronismus.

Aber sonst passt Lenins Theorie im Groben (!) nach über 100 Jahren immer noch. Die USA und Russland teilen gerade ihre Einflusssphären auf: Gib Du mir die Ukraine, lass ich Dir Panama und Grönland. To be continued. China passt auf, dass es nicht zu kurz kommt und die EU rüstet massiv auf, um mitpokern zu können. Deutschlands Interessen wurden früher schon laut SPD-Peter Struck am Hindukusch verteidigt.

Was bei der Aufteilung des globalen Kuchens am Ende rauskommen kann, zeigt ein Blick in die Geschichte: Nazi-Deutschland und die Stalin-Sowjetunion teilten sich Polen und die baltischen Staaten. Das Ende ist bekannt, 55 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg. Da können Sie in einem Dritten locker eine Null dranhängen, wenn es ganz dicke kommt, zwei Nullen.

Lenins Theorie ging übrigens vom notwendigen weltweiten Sieg des Sozialismus aus, weil sich die Imperialisten gegenseitig zerfleischen würden und die revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse die Massen erfolgreich mobilisieren könnte. Da kommen beim Anblick der wankenden Politzombie-Gestalten am 1. Mai doch Zweifel auf. Wenn das die Avantgarde ist, dann gute Nacht, Wladimir.

25.04.2025 – Wir haben eine Päpstin

Denn siehe, ich bin der Erleuchtete, aus mir spricht der Herr. Blödsinn, Lötzinn, natürlich die FRAU. Und daher werden wir eine Päpstin haben. Am 35. Mai.

Dieser sakrale Kitsch, der im Moment anlässlich des Papst-Todes aus allen Volksempfängern dringt, ist kaum zu ertragen. Ernsthaft mit sowas auseinandersetzen würde ich mich nur, wenn es nach einer Papstwahl heißt: „Wir haben eine Päpstin.“ (Habemus mamam?) Und der Rauch, der dabei emporsteigt, deutlich nach Marihuana riecht. Aber selbst die Wahl einer schwarzen Lesbe zur Päpstin würde nicht sicher verhindern, dass da wieder nur dummes, reaktionäres Zeug aus dem Vatikan quillt. Frauen, Schwarze, Lesben haben genauso das Recht auf dummes, reaktionäres Zeug wie weiße, alte Männer. Wie Kardinal Woelki, der Schutzheilige aller sakralen Kinderficker, der jahrelang über deren Schandtaten seine Soutane deckte. Wer weiß, was darunter noch so alles passierte. Woelki darf den Papst mitwählen. Das ist ungefähr so witzig, als ob Putin an der Spitze einer Osterfriedensdemo mitmarschieren würde. Hohoho. Da kriegt der vollständige lateinische Spruch nach erfolgter Papstwahl seine tiefere Bedeutung: „Annuntio vobis gaudium magnum: Habemus papam“ Ich verkünde euch eine große Freude: Wir haben einen Papst). Gaudium magnum, eine Mordsgaudi. Schenkelklopfen allenthalben. Da der christliche Aberglauben immer noch nicht zu unterschätzenden Einfluss und Macht in unserer Gesellschaft hat, positionieren sich entlang dessen Ideologie zurzeit rechte Mitglieder der CDU-Stahlhelmfraktion wie Julia Klöckner. Mit Aussagen, dass die Kirchen sich mit politischen Aussagen zurückhalten und sich lieber um das Seelenheil des Mobs kümmern sollten. Angesichts der Tatsache, dass gerade die katholische Kirche jahrzehntelang auch von den Kanzeln herab gegen jeden Fortschritt im Lande agitierte, von der Abtreibung über Gleichberechtigung bis hin zur Schwulenehe, eine berechtigte Forderung. Einfach mal die Fresse halten.

So meinte es Klöckner natürlich nicht. Sie meinte, die Kirchen sollten nix zu Tempobegrenzung und Klimagedöns sagen. Diese Aussage ist so grotesk dämlich und verlogen, dass ihr sogar liberale Christengenossen dazwischen grätschten. Ob Klöckner bei ihrer Aussage als ehemalige deutsche Weinkönigin von 1995 immer noch vom edlen Riesling dauerbenebelt war, wissen wir nicht. Eins ist sicher: Sie positioniert sich damit neben Spahn, Frei und anderen deutschnationalen Herrenreiterinnen klar am rechten Rand, für eine zukünftige CDU/AfD-Koalition. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die SPD-Mitglieder ihrem Postengeilen Spitzenpersonal die Gefolgschaft in den Untergang in einer Regierungskoalition verweigern und die CDU ihre schwarzbraune Suppe in einer Minderheits (leider nicht: Minderheiten)-Regierung auslöffeln muss. Profitieren wird so oder so die AfD.

Was bleibt, ist Riesling.

18.04.2025 – Ins eigene Knie gefickt

Kreuzberg 1, Graefekiez. 33 qm, 1.390 Euro.

Kreuzberg 2. Herrengedeck 3,50 Euro. Eine Flasche Kindl und ein Korn. Bei mir umme Ecke, drei Minuten zu Fuß.
Den Graefekiez trennen von der Herrengedeck-Kneipe „Gaststätte am Kreuzberg“ mit dem Radl 12 Minuten. Und Welten. Die Menschen, die in der untergehenden Sonne beim Herrengedeck auf den zauberhaften Viktoriapark schauen, haben im Normalfall keinen Zugang zur Lebenswelt von Menschen in Wohnungen im Graefekiez mit einem Quadratmeterpreis von 42 Euro. Sie alle leben aber in einer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die gegen derart perverse Mietauswüchse seit Jahren keine nachhaltige Handhabe findet.
Da die perversen Mietauswüchse aber wie ein Krebsgeschwür langsam und unaufhaltsam vom Graefekiez in Richtung Herrengedeck wuchern, kommen beide Parteien doch zusammen. Ohne es zu wissen, hinter ihrem Rücken. Die, denen irgendwann ihr Herrengedeck aus der Hand geschlagen wird, weil die „Gaststätte am Kreuzberg“ die Miete nicht mehr zahlen kann und einem Sternerestaurant weichen muss, von denen es in Berlin so viele wie nirgendwo in der Republik gibt, wehren sich ja jetzt schon auf ihre Art. Sie wählen die AfD.
Und die wird irgendwann mit den Kindern der gutsituierten Grünen-Wähler*innen, die sich locker mal ein paar Monate Party in Berlin für 1.390,- Miete im Monat leisten können, einen ganz anderen Tanz aufführen, als jenen, den es auf dem Karneval der Kulturen oder in den Clubs wie Gretchen, Wilde Renate etc. gibt. Die Vorlage für dieses Drehbuch gibt es schon lange, seit ca. 100 Jahren. Dort existierte in der Zossener Straße, 10 Minuten zu Fuß vom Herrengedeck, eine der Subkulturen der Weimarer Republik, Huren, Dichter, Schwulenlokale. Die Zossener Straße bildete eine Inspiration für das Drehbuch zum Film „Cabaret“ , auf der Basis der Romane von Christopher Isherwood. Die Protagonist*innen der Zossener Straße landeten später in den Lagern der Nationalsozialisten und wurden dort nicht selten zu Tode geprügelt.
Ich habe keine Glaskugel und es ist vielleicht zu dialektisch um drei Ecken gedacht. Aber auszuschließen ist es nicht, dass sich die Protagonist*innen des Graefekiezes mit ihren 42 Euro pro Quadratmeter, sei es als Mieter oder Vermieterin, ganz gewaltig ins eigene Knie ficken.
Ich müsste aber lügen, wenn ich behaupte, das mir derartige Gedanken in der Abendsonne beim Genuss eines Herrengedecks durch den Kopf gehen… Die sind eher Kopfgeburten am Tag nach der Nacht. Sozusagen intellektueller Kater.

17.04.2025 – Alles scheissegal

Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Regierungsviertel Berlin. Unter anderem Sitz der Parlamentsbibliothek. Großartige Architektur, luftig, filigran, freundlich, offen. Stellt mit der Brücke über die Spree zum Paul-Löbe-Haus symbolisch die Überwindung der Ost-West Spaltung dar. Hier verlief die Grenze. Das mit der Überwindung der Spaltung hat in Berlin prima geklappt, im Rest der Republik ist das voll in die Hose gegangen.

Auch der Anspruch der Architektur im Regierungsviertel, eine demokratische zu sein, ist nur ein ideologischer. Ihr Anspruch, ihre Behauptung wird gerade von der Realität überrollt. Es sind keine Braunhemden mehr, die sich im Reichstag breitmachen, sondern gutbürgerliche schwarze Anzüge, aber der Geist, der in ihnen steckt, ist genau der gleichdreckige, niederträchtige. Und diesen Kohorten des Ungeistes wollen die von historischer Blindheit Geschlagenen der CDU Ausschussvorsitze zubilligen. Was glauben diese Demokratie-Irren wohl, was sie damit erreichen bei den Faschisten? Wohlverhalten? Mäßigung? Kooperationswilligkeit? Was für eine selbstmörderische Dummheit. Das wird die Schwarzanzüge nur noch radikaler, brutaler und siegessicher machen. Manchmal denke ich, bei diesen gnadenlosen Opportunisten der Demokratie , die da in den Reichstag eingezogen sind auf die Regierungsbänke, macht sich umgehend nach dem Einsortieren an den Fleischtöpfen der Macht ein Gefühl breit von „Alles scheissegal „.

Wenn man mal in Berlin gelebt hat, kann man in keiner anderen westdeutschen Großstadt mehr leben. Dieser Dreck hier, die Atmosphäre von „ Nicht arbeiten“, dieses „Alles scheissegal“ Gefühl, der Hauch von Freiheit und Abenteuer, all das gibt es in keiner anderen Großstadt.

Dieser Mythos, zitiert nach meinem Kreuzberger WG-Genossen, und etwas anderes als ein Mythos ist es nicht mehr, hängt Berlin immer noch in den immer schicker werdenden Kleidern.

Wie lange noch?

14.04.2025 – Was sich derzeit auf der politischen Bühne abspielt, ist so erbärmlich und lächerlich

Und am Horizont liegt das Meer. Glück kann man nicht nachfühlen. Logisch, dann wäre es ja kein Glück mehr, weil Glücksmomente unplanbar, kurz, flüchtig sind. Man kann sich höchstens an Situationen von Glück erinnern. Für mich sind Glücksmomente unter anderem die der ersten Annäherung an das Meer, nach einer langen, vielleicht anstrengenden Anreise, Planung, Stress, dann im Zimmer alles liegen lassen, die Vorfreude baut sich langsam auf, wenn man über Sand stapft, die Schuhe abstreift, die Nase für den Geruch des Salzes weitet und irgendwann, vielleicht wenn man das Meer hört, füllt das die Brust mit dem, was im letzten Grunde unsagbar ist: Glück.
In Zeiten wie diesen kostbarer denn je. Also Reisen planen. Ob dann am Ende des Regenbogens ein Topf Glück liegt, wird sich weisen. Was dagegen hierzulande am Ende der Koalitionsverhandlungen liegt, riecht mitunter eher nach brauner Scheiße.
Jens Spahn, CDU-Rechtsausleger und Kanzleraspirant für 2029, bringt sich in Stellung und normalisiert schon mal vorab den zukünftigen Koalitionspartner, die Faschisten von der AfD. Zitat laut Blöd: „Mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den Verfahren und Abläufen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch.“ Also dann auch bei einem Verfahren wie einer Regierungsbildung und Kanzlerwahl
Die wahren Täter in diesem Schmierenstück sind übrigens laut Blöd die Grünen, denn sie „wüten“ gegen Spahn. Spahn hingegen wird vom Zentralorgan des Mobs in Schutz genommenn, siehe letzter Absatz, das gibt schon mal den Takt des Boulevards für eine Regierungsbildung mit Faschisten vor. Es ist der Takt des Badenweiler Marsches, rechts, zwo, drei, vier, Hitlers Lieblingsmarsch.
Die Stahlhelm Fraktion in der CDU macht also wieder mobil. Die Stahlhelmer waren als militante Frontsoldaten des ersten Weltkriegs Demokratiefeinde und Wegbereiter der Nazis . Nach dem Krieg wurde so der äußerste rechte Rand der CDU bezeichnet. Nun also Spahn, der die AfD normalisiert, wie viele andere in der CDU. Diese hanebüchene Vorstellung, man könne Faschisten einbinden, entzaubern ist ein selbstmörderischer Trugschluss der Bürgerlichen seit 100 Jahren. Siehe unter anderem Franz von Papen, ein Wegbereiter der Nazis, der das nur durch Glück überlebt hat .
Das erbärmliche Abbild der sich anbahnenden CDU/SPD-Koalition ist ein Booster ohnegleichen für die AfD. Bevor sie überhaupt im Koalitionsbett liegen, kriegen die sich schon wie die Kesselflicker in die Wolle. Und in ihrem Programm ist nichts, was den prekären Massen und der abstiegsbedrohten Mitte der Gesellschaft jenen Treibstoff nehmen könnte, der den Turbo für die Faschisten bildet: Angst. Was sich derzeit auf der politischen Bühne abspielt, ist so erbärmlich und lächerlich, dass das Stück eindeutig Genre-mäßig zuzuordnen ist: Groteske.
Wo wir schon mal bei Parallelen und historischen Vergleichen sind: Ich empfehle Jens Spahn den Blick in den Rückspiegel: Ernst Röhm ..
Unfassbar, dass in heutigen Zeiten ein Schwuler wie Jens Spahn denjenigen Avancen macht, die ihn später mal ohne zu zögern … ja, was? Ins Lager stecken? Die auf jeden Fall heutzutage schon mal Menschen totschlagen, die sich jenseits heteronormativer Orientierung bewegen.
Kein Wunder, dass ich in meinen Phantasien privatisiere, ins individuelle Glück der Meere eintauche. Aber es geht auch anders. Dazu demnächst mehr.

11.04.2025 – Sobald man an der Fassade kratzt, kommt die hässliche Fratze der Klassenverhältnisse zum Vorschein.

Endlose Weiten auf Juist, der Insel der Immobilien-Millionäre.
Seminar in einer Bildungsstätte auf Juist, für Menschen mit wenig Geld. Es geht um Selbstermächtigung, Teilhabe, vor dem Hintergrund von konkreten Projekten, wie Formate für Bürgerfunk, Social Media und, in meinem Workshop, um öffentliche Aktionen, Interventionen. Mein Workshop entwickelte die Idee, auf der Insel eine Aktion zu Bürgergeld durchzuführen und die Presse dazu einzuladen, um auf die völlig unzureichende Ernährungssituation im Bürgergeld hinzuweisen: 6,50 Euro pro Tag. Auf Juist kostet ein Aperol schon 10 Euro. In der PM wurde auch die Frage nach der Situation der Saisonarbeitskräfte auf der Insel gestellt. Saisonarbeitskräfte werden oft ausgebeutet, was Lohn, Arbeitszeit, Unterbringung angeht. Auf den Nordseeinseln kommt dazu: Lebensmittel sind wegen der Transportkosten mit Fähren zwischen 30 bis 50 Prozent teurer.
Auf den deutschen Nordseeinseln dürfte das tausende von Saisonarbeitskräfte betreffen, oft aus Osteuropa. Im Internet fanden wir darüber: Nichts. Außer dass die Inseln solche Kräfte suchen. (Hinweis an die Insulaner: Im Kapitalismus wird der Markt über Angebot und Nachfrage geregelt. Wenn Saisonarbeitskräfte gut bezahlt werden, sagen wir mal, auf Niveau Studienrat, hat sich das Problem innerhalb einer Saison erledigt. Dann überleg ich mir sogar, ob ich da arbeite. Vielleicht als Eintänzer im Grandhotel ….)

Bei der Aktion sollten Beutel mit Nahrungsmitteln, die den erbärmlichen Bürgergeld-Tagessatz abbilden, verteilt und an einem zentralen Insel-Platz in der Nähe der Fähre ausgelegt werden. Ob das die erste Aktion dieser Art dort war, entzog sich unserer Kenntnis. Sie hatte aber „zündende“ Wirkung vorab. Am nächsten Tag, kurz vor Versand der PM, fand ein Krisengespräch zwischen den Seminar-Verantwortlichen auf unserer Seite statt und denen der dortigen Bildungsstätte. Fazit: Wenn die Aktion (mit Presse…?) stattfindet, gefährdet das Arbeitsplätze und Fördermittel der Bildungsstätte. Begründung, und da wurde es nebulös: Das Verhältnis zwischen Bildungsstätte und Gemeinde Juist sei angespannt und könnte die beschriebenen Konsequenzen nach sich ziehen. Da wir das in der Kürze der Zeit nicht hinterfragen konnten, haben wir natürlich die Aktion nicht durchgeführt. (Stattdessen wird eine ähnliche im Sommer vor dem Bundeskanzleramt stattfinden. Details demnächst.)
Es blieben Fragen … Wieviel Angst herrscht auf dieser Insel vor, was die „Störung“ des jahrelang ungestörten Ablaufs des Betriebes angeht? Was für ein Verständnis von Öffentlichkeit, Teilhabe und Demokratie herrscht dort vor? Was für Binnenverhältnisse herrschen auf dieser Insel, auf allen Nordseeinseln? Inseln sind relativ hermetische, abgeschottete Orte, wo man (Gewerkschaften, Medien, Kirchen) nicht mal eben recherchieren und intervenieren kann. Nur nach Sylt fährt die DB. Wo ab und zu Punker die Insel mal aufmischen und bei Einheimischen die Sehnsucht nach Adolf Hitler hervorrufen.
Statement eines TN aus dem Workshop: Die da oben wollen immer, dass wir Angst haben sollen.
Dass da nicht mal einer auf die Idee kommt, in einer Nacht- und Nebelaktion Plakate zu kleben mit dem Hinweis: Hier werden Saisonarbeitskräfte ausgebeutet. Ud das dann den Medien steckt….

Häuserzeile Juist, mit Seeblick.
Es ist immer so in der bürgerlichen Gesellschaft: Sobald man an der Fassade kratzt, kommt die hässliche Fratze der Klassenverhältnisse zum Vorschein.
Was bleibt, ist die Frage an alle Immobilienbesitzerinnen, Aktieninhaber und Portfolioverwalter angesichts des extremen DAX-Gewinnes heute Morgen: Sie haben doch hoffentlich antizyklisch gestern Aktien gekauft? Niemals mit der Meute rennen….
Wir sehen uns. Auf Juist oder wo auch immer ….

06.04.2025 – Rot Front, Genosse Großbauer!

Gras-Sorte Black Domina im Freiland-Versuch unter Bedingungen des Klimawandels. Allgemein wird seit Jahrzehnten empfohlen, Graspflanzen nicht vor den Eisheiligen, also Mitte Mai, ins Freie zu pflanzen. Die Klima-Zeiten haben sich geändert und das teste ich zurzeit anhand Black Domina. Stand 06.04.2025: Black Domina überlebt auch bei Temperaturen um 0 Grad, wie letzte Nacht. Das frühere Auspflanzen verlängert die Vegetationsphase und erhöht damit den Ertrag. Die Angaben in der „Fach“literatur – soweit man bei Werken, die von auf Grund von Dauerkonsum verblödeten Kiffern verfasst werden, davon überhaupt sprechen kann – müssen also aktualisiert werden.
Wir werden das Thema Selbstversorgung im Auge behalten. Die Zeiten werden härter und wohl dem, der angesichts dramatisch steigender Zölle selber Handelsware besitzt und sei es auch nur für den Naturaltausch. Wer also Obst und Gemüse im Bio-Eigenanbau anzubieten hat, kann sich gerne bei mir melden. Aktueller Kurs: 2 kg heimische Bio-Äpfel gegen 1 Gramm Black Domina. Soll ja bekanntlich demütig machen ….
Zum hiesigen Geschrei über Trumps Zölle: Es sei daran erinnert, was Trump mit Zöllen veranstaltet, macht die EU, die BRD, mit Subventionen. Jeder Bauer wird hierzulande mit 48.000 Euro subventioniert . Im Durchschnitt, die agrarisch-industriellen Großbetriebe natürlich entsprechend mehr. Daher sind Nahrungsmittel bei uns extrem günstig und die Bauern produzieren und exportieren auf Teufel komm raus. Jahrzehntelang hatten wir gigantische Butterberge und Milchseen auf Halde, die schmelzen zyklisch ab und schwellen wieder an. Die EU setzt unter anderem über die Welthandelsorganisation WTO , Hand in Hand mit multinationalen Konzernen, ihre Terms of Trade durch. Heißt: Sie zwingt Staaten des globalen Südens, ihre Grenzen zu EU-Bedingungen zu öffnen, überflutet die Märkte dort mit hochsubventioniertem EU-Dreck, der die einheimischen Märkt kaputt macht, die dortige Fauna und Flora nachhaltig verändert und die Kultur in westliche Kategorien presst. Siehe Hähnchen Export nach Afrika . (Nach dem gleichen Schema wurde in Afrika das einheimische Schneiderhandwerk kaputt konkurriert durch subventionierten Export von hiesigen Altkleider-Klamotten).
Unter normalen Markt-Bedingungen gäbe es hierzulande seit Jahren keine klassische Landwirtschaft mehr. Im Übrigen würde dadurch auch der Migrationsdruck gemildert. Logischerweise kommen die durch die EU in die Armut Getriebenen zu „uns“, in die EU, koste es, was es wolle. Es ist also ein völlig irrsinniges System und kein Politiker hierzulande hat das Recht, sich über Trumps Zölle das Maul zu zerreißen, wenn er nicht im gleichen Atemzug auf die Schweinereien der EU hinweist.
Das Einzige, was mich an dieser Causa erfreut: Dass wir in weiten Teilen unserer Wirtschaft, nicht nur der Landwirtschaft, seit Jahren ein funktionierendes System haben, dass der Kapitalismus eigentlich vor 35 Jahren vom Markt konkurriert hatte, mit allen desaströsen Folge-Erscheinungen wie aktuell die Wiederkehr des Faschismus. Das System hieß Sozialismus und was in der Landwirtschaft zur Zeit praktiziert wird, ist nichts anderes als Sozialismus. Der Staat hält eine spezifische Art der Produktion am Leben und externalisiert die Risiken.
Rot Front, Genosse Großbauer. Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.
Ich muss wieder in den Garten, weiter an der Grundlage für Handel und Wohlstand arbeiten. Sonnigen Sonntag, liebe Genossinnen.