Kategorie-Archiv: Schuppen aktuell

20.10.2025 – Archetypen

Eben noch diamantengleiche Lichtreflexe der gleißenden Nachmittagssonne im Meer

Ein paar Stunden später braune Weinblätter auf der Veranda, herabgerissen von wütenden Herbststürmen. Graue Trostlosigkeit, aufgemuntert nur durch farbtupfende Dipladenien.

Dipladenien, Horror des deutschen Schrebergärtners. Nicht heimisch! Zu nichts nütze, kein Bienenfutter.  Keine Funktion im doitschen Garten, gehört mit Stumpf und Stiel ausgerottet, siehe auch Sommerflieder, Hortensie etc. pp. Alles, was bunt, vielfältig, luxuriös aussieht, ist ihm, dem doitschen Schrebergärtner, ein Graus. Aber auch ihr. Martina van Wesel singt hier das Hohe Lied des doitschen Naturgartens . Eigentlich nett, sympathisch, mit viel Wahrem. Aber ach, es gibt auch beim Gärtner, gleich welcher Fraktion, ob Schreber, Natur oder Faulpelz so wie ich, kein wahres Leben im falschen. Und so finden sich bei van Wesel Sätze des verdeckten Grauens wie:
„ … Gegossen und wenn überhaupt mit Kompost gedüngt wird nur frisch Gepflanztes oder im Nutzgarten; was nicht-heimisch ist, wird nicht betüddelt. …. „

Gelobt sei, was hart macht. Nur die Harten bleiben im Garten. Ausländer raus.

Eine infame Unterstellung …. ? Vielleicht ist die Schreiberin sogar Mitglied bei der Grünen?

Ich weiß es nicht, ist mir auch Kompostscheißegal. Ich weiß nur, dass es Mentalitäten, Ideologien gibt, die an derartigen Sprachmustern kurz und jäh aufblitzen, die verräterischer sind als ökonomischer Status, Parteizugehörigkeit und ökobewusstes Auslecken von Joghurtbechern.

Diese Sprachmuster, respektive ihre Trägerinnen, sind andockbar an politisches Grauen. Scheint in dieser milden Form von Schrebergartenfaschismus, Luxusfeindlichkeit, Ablehnung allen Unnützlichens, doch Nationalismus, Survival-of-the fittest-Ideologie und komplett verblendetes, weil romantisches Naturbewusstsein durch.

Ach, das sei alles ganz harmlos, ich würde da was hochsterilisieren? Wie man’s nimmt. Das war die AfD auch mal, ganz harmlos. Und wenn wir uns bei der Analyse und Bekämpfung des wachsenden Faschismus krampfhaft nur aufs sozialpolitische, ökonomische ficksieren, und nicht auch Mentalitäten, psychische Dispositionen und emotionale Grundmuster berücksichtigen, werden wir weder die derzeitigen Entwicklungen zur Gänze verstehen, noch adäquate Gegenstrategien entwickeln können.

Es lohnt sich also, mal genauer zu gucken, was für strukturelle Grundmuster, Typen, Kategorien gibt es derzeit bei uns in der Gesellschaft, jenseits klassischer Klassenanalyse, also auch bei den Netten, Unverdächtigen. Wäre der Begriff des Archetypus nicht so verbrannt, läge der zwecks Oberbegriff nahe. Wir hätten dann also Ad 1 den Archetyp „Schrebergärtner“ ….

 (Archetypen nach C.G. Jung  sind universelle, angeborene psychische Strukturen im kollektiven Unbewussten, die als Urbilder von Erfahrungen und Verhaltensmustern dienen. Sie sind nicht erlernt, sondern werden vererbt und manifestieren sich in Mythen, Märchen, Träumen und in der Kunst, wie z.B. in den Konzepten der Mutter, des Helden oder des Schatten. Siehe Google KI.

Das ist unwissenschaftlicher Humbug, völlig beliebig, nicht verifizierbar, unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel – und ist andockbar an jede Ideologie. So nimmt es auch nicht Wunder, dass Jung ein übler Antisemit war, der nach arischen und jüdischen Archetypen unterschied.)

17.10.2025 – Einkommen, Bildung und depressive Symptome in Zeiten multipler Krisen. Eine RKI-Studie.

Eigentlich wollte ich mich weiter der eskapistischen Freude an schönen Bildern, Erinnerungen oder gar höherem Blödsinn hingeben, aber die Verhältnisse sind nun mal nicht so. Pünktlich zum heutigen Weltarmutstag veröffentlicht das Deutsche Ärzteblatt eine RKI-Studie zu Einkommen, Bildung und depressiven Symptomen in Zeiten multipler Krisen wie Corona, Kriege, Inflation.

Fazit: Der Bevölkerungsanteil mit auffälliger Belastung durch depressive Symptome war in niedrigen Bildungs- und Einkommensgruppen durchgängig am höchsten. Der Anteil stieg insbesondere ab 2022 in den niedrigeren Bildungs- und Einkommensgruppen deutlich stärker als in den jeweils höheren sozioökonomischen Gruppen. Fast jede dritte Person litt an depressiven Symptomen. Die Spaltung der Gesellschaft nimmt also nicht nur ökonomisch zu, sondern auch mental und emotional. Wer arm ist, ist psychisch – physisch sowieso – kränker und stirbt früher

Die Ursachen der wachsenden seelischen Schere liegen tiefer als bloß in kurzfristigen Krisen. Gesundheit ist nicht nur eine Frage der individuellen Lebensführung, sondern Ausdruck kollektiver gesellschaftlicher Strukturen. Dem Kapitalismus und seiner Demokratie im Endstadium. (Das steht natürlich nicht so in der Studie!)

Demzufolge wenden sich die Armen immer häufiger von der Demokratie ab. Sie wählen, wenn wir Glück haben, gar nicht mehr oder gleich AfD. Insofern wäre die richtige Wahl-Kampagne in sozialen Brennpunkten eine, die von Wahlen, Engagement, abrät. Wahlen? Nein Danke!

Die Armen haben den alten Sponti-Spruch „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ besser verstanden als alle Altlinken, die beim Marsch durch die Institutionen sich derart das Rückgrat verbogen haben, dass sie kapitale Bandscheibenvorfälle erlitten und nichts mehr bewegen konnten. Und wollten.

Macht kaputt, was Euch kaputt macht. In unserem Fall die kapitalismusgrundierte Demokratie. Kapitalismus macht krank, zerstört die Demokratie und ist der Nährboden für Faschismus. Jedenfalls Kapitalismus im Endstadium. Das sagt die Studie natürlich nicht, siehe oben. Aber wer sie zu Ende denkt, kann kein anderes Fazit ziehen.

Man kann sich natürlich auch das Denken abgewöhnen. Wär auch ne Lösung. Aber dann kommt garantiert eine RKI-Studie um die Ecke zum Anstieg psychischer Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, als Folgen von Verdrängung.

16.10.2025 – Mehr Worte

Korfu 2025. Moped und Schiff befinden sich auf Mathraki, der kleinsten der diapontischen Inseln mit ca. 300 Einwohnerinnen.  

Falls Sie, liebe Leserinnen, so wie ich zur Gattung der fluchwürdigen Flugschweine gehören, die mit ihrem ökologischen Monsterfußabdruck die ohnehin kommende Klimakatastrophe noch beschleunigen, und also an den Flughafen-Förderbändern dieser Welt auf Ihren Trolley warten: Ist Ihnen da schon mal aufgefallen, dass es keine zwei gleichen Trolleys gibt? Achten Sie in Zukunft mal drauf. Ich tue das seit einiger Zeit und es ist ein Fakt, dass von den vermutlich über 400 Trolleys, die da pro Flug an einem vorbeidefilieren, definitiv keine zwei gleich sind. Das widerspricht eklatant den Regeln des Kapitalismus, dessen Erfolg unter anderem auf serieller Produktion von Massengütern basiert. Selbst wenn Sie beispielsweise durchs Alsterhaus in Hamburg mit seinen Luxustempeln wie Prada, Louis Vuitton, Dior etc. flanieren, sind dort doch bei aller vermeintlichen Originalität z. B. bei Handtaschen von mehreren tausend Euro etc. pp. allein aus Marketinggründen bestimmte serielle Signaturen vorhanden. Nicht aber bei Trolleys. Wieso? What the fuck steckt da dahinter? Ich bin da einer Riesensache auf der Spur. Hört sich zwar irgendwie nach einer verstrahlten Verschwörungserzählung an, ist aber ne irre Geschichte. Bleiben Sie daher auf jeden Fall dabei, wenn es auch Morgen wieder heißt: Mehr Worte!

05.10.2025 – Pornos waren früher illegal

Bergdorf Korfu …. Vorher noch auf dem hiesigen Markt gewesen. Irgendwas an Gemüse war nicht mehr da. Ich fragte: „Ist das jetzt Bückware?“. Die beiden jungen Verkäufer*innen blinkten mich verständnislos an. Ich erklärte: „In der ehemaligen DDR herrschte Mangelwirtschaft, bestimmte Waren gab es oft nicht oder nur begrenzt. Die lagen nicht in der Auslage, sondern quasi nur unter der Ladentheke und wurden von dort lediglich an ausgesuchte Kundinnen verkauft, das Personal musste sich also danach bücken.“ Ich wollte diesen Makel aber nicht nur auf der DDR alleine sitzen lassen: „Auch bei uns gab es früher Bückware. Pornos wurden damals auch nur unter der Ladentheke verkauft. Die waren ja illegal.“ Der Jugend klappte förmlich der Unterkiefer runter, großes Erstaunen in ihren Augen: „Pornos waren früher illegal? Wieso das denn …. ?“

Verdamp lang her, ich musste einen Moment überlegen. Illegal waren die ja nicht, weil sie frauenfeindlich sind. Sondern weil sie in den Augen der hiesigen konservativen Tugendwächter eine Gefahr für Sitte und Anstand bildeten, der moralischen Verwahrlosung Vorschub leisteten. Es wurde explizit mit dem Untergang des Abendlandes argumentiert und dass Pornos vom Weltkommunismus hier eingeschleust würden, um uns zu verderben und reif für die Übernahme zu machen.

Ich hoffe, dass die jungen Leute meine Erzählung hinterher gegoogelt haben, was das dann bestätigen würde. Ihre Gesichter sahen nach meinen Ausführungen jedenfalls nicht 100% überzeugt drein.

Solche kleinen Alltagsgeschichten übertünchen kurz den Gang der Welt.

Am Wochenende weltweit Gaza-Demonstrationen, mit Millionen Teilnehmenden. Übermorgen ist der zweite Jahrestag des Terrorüberfalls der faschistischen Hamas auf Israel. Werden dann auch Millionen auf den Straßen dieser Welt demonstrieren, für das Existenzrecht Israels, gegen jeden Antisemitismus, mit einer radikalen Absage an die Hamas-Faschisten?

Die Frage ist ebenso albern wie rhetorisch, aber notwendig, um die Maßverhältnisse zurecht zu rücken. Ich hoffe inständig, dass die Trump Initiative Erfolg hat und wenn schon nicht Frieden, so doch Waffenruhe in der Region herrscht. Der Glaube daran fällt mir allerdings schwer. Lassen wir mal beiseite, dass die Hamas als Verhandlungspartner a priori untauglich ist, weil sie eine Terrororganisation ist und das Wesen des Terrors ja die Nichtakzeptanz von Regeln, Gesetzen, Moral, Verträgen etc. ist. Ein Blick auf palästinensische Verhältnisse lässt erhebliche Zweifel am Funktionieren eines Waffenstillstandes aufkommen. Der Dachverband von dortigen Gruppierungen ist die PLO, die Palästinensische Befreiungsorganisation. Mitglieder dort sind unter anderem (!)

  • die Fatah
  • die Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas (Democratic Front for the Liberation of Palestine – DFLP)
  • die Palästinensische Befreiungsfront (PLF)
  • die Arabische Befreiungsfront (ALF)
  • die Palästinensische Volkskampffront (Popular Struggle Front – PSF)
  • Die Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC)

Dann gibt es noch die Hamas, die Hisbollah, den Islamische Dschihad. Das toppt Monty Python um Längen ....

Eine krude Mischung aus Leninisten, Maoisten, Islamisten, untereinander teilweise spinnefeind und vermutlich bereit, jederzeit übereinander herzufallen, und ebenfalls bereit, da wo die Hamas eventuell aus taktischen Gründen eine Atempause herausverhandelt, sofort mit Terror einzuspringen.

Ich hoffe sehr, dass ich unrecht habe, wie so oft. Am 7.10 jedenfalls werde ich versuchen, Digital Detox einzuhalten. Könnte mir leichter fallen als sonst üblich ….

04.10.2025 – Rendezvous der Träume

Max Ernst. Der Hausengel. 1937

Andre Masson. Portrait des Dichters Heinrich von Kleist. 1939.

Philipp Otto Runge. Mutter Erde mit ihren Kindern. 1803.

Mit RENDEZVOUS DER TRÄUME präsentiert die Hamburger Kunsthalle eine umfassende Ausstellung zum internationalen Surrealismus anlässlich des 100. Jubiläums der Gründung dieser Bewegung, und spürt dabei der deutschen Romantik als einer der wichtigsten Geistesverwandtschaften des Surrealismus nach.

Der alles zerstampfende mörderische Hausengel von 1937 ist eine direkte Reaktion von Ernst auf den Sieg des Faschismus in Spanien und das Portrait von Heinrich von Kleist von 1939 dürfte nicht nur die innere Zerrissenheit des Dichters widerspiegeln.

Ganz anders, überaus entzückend, das Bild des Frühromantikers Runge, den ich noch vor seinem wesentlich bekannteren Zeitgenossen Caspar David Friedrich schätze. Nicht zufällig war Runge mit seiner Idee des Gesamtkunstwerkes ein Zeitgenosse von Friedrich Hölderlin, der der Kunst eine überragende gesellschaftliche Funktion und Rolle zuschrieb. Also nicht der notorische Antisemit Richard Wagner war der Ergründer der Idee des Gesamtkunstwerkes, sondern Runge. Diese Idee schimmert auch in der inszenatorischen Pracht, fast einem Bühnenbild gleich, des Bildes oben durch, bei dem man sich im Hintergrund auch durchaus Klänge von Beethoven vorstellen kann.

Auch wenn da zu viele Bilder hängen, man wird ganz wirr im Kopf, das ganze Setting eher unübersichtlich ist, und die Zuschauerinnenfülle grenzwertig, ist die Ausstellung Labsal für Augen und Seele. Prädikat: Empfehlenswert.

Der Ansatz der Romantik, zwischen Materie und Geist zu vermitteln, als Reaktion auf den rein am Verstand sich orientierenden Rationalismus, ist aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung für aktuelle Versuche, antifaschistisch und aufklärerisch zu arbeiten. Wir müssen akzeptieren, dass dabei die Kraft des reinen Argumentes überfordert ist, dass wir die Wirkmächtigkeit von Gefühlen, Mentalitäten, Narrativen, Bildern, Mythen im politischen Raum völlig unterschätzt haben. Der Gegner hat das verstanden und obsiegt damit zurzeit. Dass die Romantik von den Faschisten für deren düstere, irrationale Zwecke missbraucht und missverstanden wurde, haftet ihr bis heute an.

Missbrauchen und bewusst missverstehen ist ein probates Mittel auch der aktuellen Politik, zu „bewundern“ natürlich auch am gestrigen Einheiztag. Rauf und runter dekliniert wurde die Spaltung zwischen Ost und West. Natürlich gibt es die. Und ich betrachte die Annexion der Ostzone als überaus überflüssig und hätte liebend gerne den antifaschistischen Schutzwall wieder. Aber ich hätte auch gerne eine eigene TV-Talkshow und ewiges Leben. Das Leben ist nun mal kein Ponyhof und so sollten sich geneigte Benutzerinnen des Verstandes nicht vom Unisono-Chor der Medien zum 3.10 hinter die Fichte führen lassen. DAS zentrale Problem in unserer Gesellschaft ist nicht die durchaus vorhandene Spaltung zwischen Ost und West, Rost und Rest. Sondern die zwischen Arm und Reich. Das andere ist ein sogenannter Nebenwiderspruch, mit dem die wahren Klassenverhältnisse im Interesse des Kapitals zugekleistert werden. Gekleistert. Wg. Kleist. Siehe oben.

Ich wünsche allen Leserinnen ein romantisches Wochenende.

03.10.2025 – Über Eskapismus

Speisekarte Kreuzfahrt MS Berlin, 24.04.1986, Alexandria

Programm Kreuzfahrt MS Berlin, 25.04.2025, Haifa.

Aus dem Papier-Fotoalbum von W. Z. Eine faszinierende Individual-Geschichte des Bürgertums der BRD in Bildern, Postkarten, Listen und Kopien. Viel mehr über die Kulturgeschichte der BRD aussagend als zig Essays.

Ich sah mich selber schon, Cary Grant alike, beim Shuffleboard auf dem Promenadendeck, entrückt aller irdenen Schwere. Fakt ist immerhin: Ich werde demnächst, so die Drohnen in unserem Luftraum es wollen, an Ioniens Gestaden weilen. Die unverhüllte Rohheit und Dummheit des globalen Antisemitismus, sein Vernichtungsfuror, die fast flächendeckende antisemitische Durchseuchung hiesiger, früher fortschrittlich genannter Sektoren des UnGeistesleben ermatten zunehmend mein Gemüt. Einfach mal raus hier.

Der Sonne, dem Himmel, dem Nichts entgegen. Höchstens noch der nächsten Taverne entgegen, zwecks Verklappung notwendiger Atzung und diverser Feuchtgetränke.

Definition Eskapismus, auch Realitätsflucht, Wirklichkeitsflucht oder Weltflucht: Bezeichnet die Flucht aus oder vor der realen Welt und das Meiden derselben mit ihren Anforderungen zugunsten einer Scheinwirklichkeit, d. h. imaginären oder möglichen besseren Wirklichkeit.

Eine imaginäre andere, ob bessere, sei dahingestellt, Wirklichkeit ist die Vorstellung, dass der Russe käme, nachdem ein paar lächerliche Drohnen, Anschläge auf Pipelines und Zuginfrastruktur sowie Digitalattacken die komplette BRD lahmgelegt haben werden. Immerhin hatte die Bundesregierung es noch fertiggebracht, einen Koordinierungsausschuss zur Bündelung von Kompetenzen der Drohnenabwehr im Krisenfall zu installieren. Kurz nachdem dessen erste Arbeitsergebnisse einer dauer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurden, hatte der Russe den Atlantikwall erreicht, aber von hinten, und die Einnahme Dünkirchens vermeldet. Die Meldung davon erreichte mich im nächsten Frühjahr, in einer Taverne an Ioniens Gestaden. Der Kellner, ein russischer Gastarbeiter, wird mir daraufhin als einzigem Gast, es wird früh im Jahr sein, einen Ouzo nach dem anderen ausgegeben haben, so dass ich das Ende des Liedes unter dem Tisch liegend erleben werde.

Ich sollte wirklich etwas mehr Resilienz-Training machen. Das alles ist der erst der Anfang. Vom Ende. Beckenbodengymnastik ist ja ganz nett, aber nicht alles. Eigentlich wollte ich was zum  Einheiz-Tag schreiben. Die Tatsache, dass mir dazu nix mehr einfällt, wäre kein Hinderungsgrund. Das Nichtvorhandensein substantieller Gedanken muss ja kein Schreibhinderungsgrund sein. Aber alles dazu Gesagte und zu Sagende ist öd, fad, deshalb brechen wir hier

30.09.2025 – Den Possenreißern dieser Welt ist alles zuzutrauen

Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Mein Lieblingsort, magische Terrassen-Konzerte in lauen Sommernächten, mit Blick auf die Spree und das Kanzleramt, ein Kultur- und Kunstangebot, das seinesgleichen sucht, die ikonische Architektur, und mit dem Klappi bin ich in 20 Minuten da, durch Tiergarten und Park Gleisdreieck, den irrsinnigen Verkehr umfahrend. Wenn es einen postmodernen Locus amoenus gibt, dann ist er hier.

Daher war ich erleichtert, dass Jan Böhmermann das Konzert dort im Rahmen seines Ausstellungsprojektes mit einem antisemitischen Rapper namens Chefket abgesagt hat. Sonst hätte ich dieses Projekt sicher nicht besucht. Ich habe nie viel von den Hofnarren des Betriebes von Harald Schmidt über Joko und Klaas bis Böhmermann gehalten. Aber bei dem Konzerttermin ist mir dann doch der Quark aus der Kanzel gefallen, ausgerechnet am Jahrestag des Terrorüberfalls der Hamas, am 7.10. Wie dumm und unprofessionell oder aber eben auch wahnhaft, also die Vernunft ausblendend, antisemitisch kann man sein, um zu glauben, dass das nicht wenigstens noch auf offizieller Ebene in Deutschland auf massiven Widerspruch stoßen würde. Also wird ihm der von mir überhaupt nicht geschätzte Kulturstaatsminister Weimer vollkommen zu Recht einen Einlauf verpasst haben, der sinngemäß so gelautet haben dürfte:

„Mein lieber Böhmermann, Sie können rumkaspern, wo und wie Sie wollen, aber bestimmt nicht mit derartigen antisemitischen Signalen in einer Institution, die dem deutschen Staat gehört. Wenn Sie das Konzert nicht absagen, ist der Chef des HKW die längste Zeit in seinem Amt gewesen. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Zensur. Antisemitismus hat nichts mit Kunst und Meinungsfreiheit zu tun, sondern ist bei uns ein Straftatbestand und wenn Sie glauben, Sie können sowas in staatlichen Institutionen durchziehen, dann haben Sie nicht alle Tassen im Schrank.“

Weimer wird es höflicher formuliert haben, als Angehöriger der bürgerlichen Eliten legt er sicher Wert auf Umgangsformen und Contenance.

Ob Böhmermann „eingeknickt“ ist, wie sich die linksliberalen Quarkblättchen in völligem Missverständnis von Freiheit der Kunst in ihre Morgenschlagzeilen erbrechen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ist mir auch jene Wurst, die Böhmermann als Logo über seinem sonst interessanten Projekt prangen hat.

Fakt ist, dass mir schon wieder der Morgen angedorben ist, was die Vorstufe von verdorben ist. Ich habe eigentlich keine Lust mehr, mich mit diesem Scheißthema Antisemitismus zu befassen. Es verfinstert mein Gemüt. Aber Schweigen heißt die Dinge so akzeptieren, wie sie nun mal laufen, auch wider bessere Einsicht. Das wäre Feigheit vor dem Feinde und da Deutschsein stark sein heißt, mutig und allzeit breit, ist Schweigen keine Option.

Das ist jetzt schon mehr als Zynismus ….

Beim Anblick der vermutlich 100.000 Demonstrierenden bei der Gazademo neulich in Berlin habe ich mal die Demos der letzten Jahre in Berlin Revue passieren lassen. Es gibt so viele Themen von existentieller Bedeutung für die Mehrheit im Lande: Armut, prekäre Beschäftigung, mies bezahlte Arbeit, Arbeitslosigkeit, Mietenwahnsinn, keine Kitaplätze, miserable Pflegebedingungen, Alterselend, Wohnungslosigkeit, schlechte Gesundheitsversorgung etc. pp. Von Kleinigkeiten wie Klimakatastrophe und aufkommendem Faschismus im Lande ganz zu schweigen. Also alles Themen, die aus direkter eigener Betroffenheit und moralischer Notwendigkeit permanent Hunderttausende, Millionen auf die Straßen trieben müssten.

Was aber den kleinsten gemeinsamen Ideologie-Nenner bildet und die größte Zahl der letzten Jahre auf die Straße treibt, ist Antisemitismus.

Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.

Was mir gerade einfällt: Kann natürlich auch sein, dass Böhmermann diesen Skandal bewusst provoziert hat. Den Possenreißern dieser Welt ist alles zuzutrauen.

29.09.2025 – Deutscher Herbst

Schlachtfeld Deutschland. Katharina Sieverking. 1977. Neue Nationalgalerie, Berlin. Ausstellung „Zerreißprobe“.

Ein düsterer Blick aus dem RAF-geprägten Deutschen Herbst 1977 . Der Deutsche Herbst gilt als eine der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er war mit seinem „nicht-erklärten Ausnahmezustand“ der endgültige Schlussstrich unter den demokratischen Aufbruch in der BRD und ging in die bleiernen 80er über. Ab den 90ern kam mit dem Wegfall der sozialistischen Systemkonkurrenz und dem Siegeszug des Neoliberalismus derart frischer Wind in die Bude, dass uns im Rückblick der Deutsche Herbst im Vergleich zu Heute wie ein strahlend-heller Frühling erscheint. Wuchs sich doch der frische Wind in der Realität zu einem orkanartigen Sturm aus, der die Demokratien der Welt eine nach der anderen um – und wegblies. Der Kapitalismus befreit sich von seiner lästigen Schwester, der Demokratie. Beide waren ungefähr zur gleichen Zeit groß geworden, was manche Schlichtdenker zu dem Trugschluss verleitete, dass der eine ohne die andere nicht überlebensfähig sei. Kapitalismus und Wohlstand funktioniere nur in einer Demokratie.

 Werch ein Illtum. Die Erzählung vom Wohlstand für alle im Kapitalismus – wenigstens im globalen Norden, also auf Kosten vom Rest der Welt – war von Anfang eine derartig dummdreiste Lüge, dass sie von den helleren Köpfen nie geglaubt wurde. Mittlerweile müssen selbst bei uns so viele Menschen im Dreck wühlen, um zu überleben, dass auch die Dümmsten und vor allem die Ärmsten die Lüge vom Wohlstand für alle nicht mehr glauben und sich dann folgerichtig sagen: Wenn der Kapitalismus sein Versprechen nicht hält, warum sollen wir uns dann weiter mit seiner Zwillingsschwester, der Demokratie, rumärgern, die uns nur volllügt?

Wohlstand für alle.

Herr Dr. Wehrenkamp (Ukon Verlag) überreicht Dr. Ludwig Erhard sein Buch „Wohlstand für Alle“

Wohlstand für alle, Ludwig Erhard, 1957. (Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F004204-0003 / Adrian, Doris / CC-BY-SA 3.0)

Buch-Neuauflage 2020. Allerdings nicht als Satireshow, sondern real bei der Ludwig-Erhard-Stiftung

Der dummdreiste Zynismus solcher Veranstaltungen sei nicht zu überbieten? Von wegen. Das schafft die SPD aus dem Stand: Es sei nicht mehr zeitgemäß, das Retten weggeworfener Lebensmittel zu kriminalisieren, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Limbacher der „Rheinischen Post“. Das Containern sei ein wertvoller Beitrag zur Ressourcenschonung und zur sozialen Gerechtigkeit. Bisher ist das Containern, also das Wühlen im Müll von Großmärkten nach Lebensmitteln, um überleben zu können, strafbar. Wühlen im Müll als Beitrag zur Ressourcenschonung und sozialen Gerechtigkeit?

Ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit wäre es z. B., die Krisen-Übergewinne der Lebensmittelkonzerne durch Steuern abzuschöpfen und das Bürgergeld und die Mindestlöhne so zu erhöhen, dass die Menschen in einem der reichsten Länder der Welt nicht gezwungen sind, im Müll zu wühlen, um zu überleben.

Bisher habe ich gehofft, dass die SPD doch irgendwie röchelnd überlebt, weil sie noch Teile der Facharbeiterschaft bindet und vom Wechsel zur AfD abhält. Aber einer Partei der Arbeiterbewegung, die mittlerweile derartig zynisch redet, rufe ich fröhlich winkend hinterher im Absturz: Fahr zur Hölle.

Ich arbeite derweil weiter an meinem Bilderzyklus: Deutscher Winter.

28.09.2025 – Über meine Fähigkeit, Glühlampen zu wechseln.

Ort der deutschen Teilung. Friedrichstr., Tränenpalast. Ich komme da öfter vorbei und vergieße jedes Mal Tränen. Weil es die Teilung nicht mehr gibt.

So weit, so witzig. Wesentlich weniger witzig ging es ein paar Meter weiter bei der Gaza Demo am Wochenende zu, bei der sich die Linke zu nützlichen Idioten der Antisemiten hatte machen lassen. Linken-Chefin Schwerdtner wird bei ihrer Rede zu Beginn abgedrängt von einer Gruppe arabisch sprechender Frauen. Sie rufen »Kindermörder Israel« und »Tod Israel«. Es verbreitet sich das Gerücht, Schwerdtner sei Israelin. Es dauert Minuten, bis Sicherheitskräfte es schaffen, der Linken-Vorsitzenden den Weg zu bahnen. . Sonst haben Frauen in der arabischen Community nichts zu melden, „dürfen“ meist getrennt im Block hintendrein marschieren. Aber wenn es passt, werden sie, Behinderte in Rollstühlen und Kinder nach vorne geschoben. Eines der ekelhafttesten Bilder habe ich bei einer Demo auf dem Mehringdamm in Kreuzberg erlebt, wo ein arabischstämmiger Pöks von vielleicht 10,11 Jahren auf den Schultern eines Demonstranten an der Spitze des Zuges hysterische Hassparolen in ein Megafon skandierte. Diese „Kultur“ des nicht integrierbaren Neuköllner Mobs wird kritiklos von den zehntausenden Demonstrantinnen vom Wochenende legitimiert und stabilisiert.

Falls Sie, liebe Leserinnen sich wundern, warum ich hier nicht die Politik Israels und seiner rechtsextremen Regierung des Gauners und Rassisten Netanyahu kritisiere: Das entnehmen Sie bitte dem gesamten hiesigen Blätterwald von links über liberal bis Mitte und rechts. Ich muss hier ganz bestimmt nicht Eulen nach Athen tragen und mit redundantem Zeug Ihre und vor allem meine Zeit vergeuden. Mainstream und Selbstverständliches gibt’s an jenen Kiosken, die mangels Relevanz und auf Grund anschwellender Mob-Verblödung immer seltener Gedrucktes verhökern. Was ich hier mache, ist der verzweifelte (ok, das ist jetzt ein bisschen dicke, verzweifelt bin ich im Leben nur, wenn ich eine Glühlampe wechseln muss) Versuch, ein bisschen origineller als der Rest auf die Welt zu gucken, nicht im Chor der antisemitischen Schafe mit zu blöken.

Hysterisierung, Hass, Erregung ist sicher die derzeit vorherrschende psychische Stimmung, die mit Urgewalt die Demokratien von der politischen Landschaft schwemmt. Faschismus lebt von der der Dauererregung der Massen. Da er kein Ziel, keine Utopie, kein konsistentes Programm – außer Ausschluss und Vernichtung – hat, muss er seine Anhänger in ständiger Erregung mobilisieren und seine Gegner mit permanenter Angst überrollen. Und diese Prozesse müssen, um Abstumpfung, Gewöhnung zu vermeiden und Wirkung zu zeigen, ständig die Dosis erhöhen. Das werden die geneigten Alkis und sonstige Drogenabhängige unter Ihnen sicher kennen. Irgendwann fängt man schon morgens an zu saufen und nicht mehr nur ein Likörchen, hicks.

Man muss ja dem Ami regelrecht dankbar sein, dass er den faschistischen Marsch in eine Theokratie gerade wie aus dem Lehrbuch durchexerziert, für spätere, bessere Zeiten. Wenn es die nochmal gibt. Ständig neue Feinde, neuer Hass, neue Gewaltphantasien, die mit Gott vor Nichts zurückschrecken, und jeden Tag an immer mehr Minderheiten in die Praxis umgesetzt werden. Es fing harmlos an mit dem Buch des schrägen Gotteskrieger Pete Hegseth, US-Verteidigungsminister:  »Unser amerikanischer Kreuzzug findet nicht mit tatsächlichen Schwertern statt, und unser Kampf ist keiner mit Schusswaffen. Noch nicht.«

Und endet noch lange nicht auf der Müllhalde der Zivilisation. Der Journalist Jesse Watter vom rechten und Trump-nahen Fernsehsender Fox News in seinen Kommentar nach dem Besuch von US-Präsident Donald Trump am Dienstag im Uno-Gebäude am New Yorker East, als dort seine Rolltreppe stehen blieb:

»Das ist ein Aufstand, und wir müssen entweder die Uno verlassen oder sie bombardieren. Aber sie ist in New York, oder? Vielleicht gibt es da Kollateralschäden. Vielleicht vergasen?«