12.07.2023 – Parallelwelten

Henry-Ford-Gebäude, FU Berlin, Dahlem. Henry Ford, der legendäre Automogul, war Antisemit, Hitler-Verehrer und Nazi bis auf die morschen Knochen. Die FU Berlin war ein zentraler Ausgangspunkt des 68er Aufbruchs, Ort legendärer Diskussionen (Rudi Dutschke) und Kontroversen, Heimat vieler linker, geisteswissenschaftlicher Ikonen wie Johannes Agnoli und Peter Szondi, nach denen Institutsgebäude benannt sind. Kaum etwas steht bezeichnender für den Paradigmenwechsel der Republik nach dem Fall der Mauer, als die Tatsache, dass das zentrale Gebäude der FU nach seiner Wiedereröffnung 2007 unbehelligt so benannt werden konnte. Mühselig verbrämt von den neuen Antisemiten aus „unserer “ Elite mit der Lüge, dass ja der Bau nach Henry Ford II benannt sei. Steht nirgendwo und ist frech an den Haaren herbeigezogen.

Architektonisch ist das Gebäude eine Augenweide, wie überhaupt der ganze riesige Campus in Dahlem von Schönheit, Klarheit, Helligkeit geprägt ist, ein Ort des entspannten, heiteren Flanierens par excellence.

Wäre da für mich nicht diese dauernde, nagende Irritation gewesen. Die Studierenden alle so ordentlich, nett, proper, diese Sauberkeit allenthalben, keine Transparente, keine weggeworfenen Flugis oder Pamphlete , die der Wind über den Campus trieb. Und nicht ein gottverdammtes Graffiti! Wie kann es sein, dass an diesem Ort, an diesem Gebäude mit dem Namen eines Scheiss-Nazis nicht ein einziges Graffiti das thematisiert und dieser verlogenen Fassade aus vermeintlicher Schönheit einen Hauch der Aura von Dreck, Destruktion und Obstruktion verleiht.

Wenn diese Studierenden-Welt da, diese Jugend, unsere Zukunft ist, möchte ich lieber keine haben. Fluchend verliess ich mit meinem Klapprad diese Parallelwelt und quälte mich im Benzingestank des Feierabendverkehrs in brütender Hitze über den Hohenzollerndamm nach Kreuzberg zurück, dort, wo die Mühseligen und Beladenen dieser Welt vor dem türkischen Imbiss in unserem Haus, Hades genannt, Feierabendbiere verklappten. Endlich Zuhause.

11.07.2023 – Zeitreisen

Seeterrassen, Tegeler See, Berlin. Ikonische Scheusslichkeit der 70er. Der ganze Kiez am See, Alt-Tegel, atmet den Geist der 70er im Westen. Ich saß am See, schaute aufs Wasser, den Ausflugsdampfern und Tretbooten nach, eine sanfte Brise fächerte meiner schweissnassen Stirn Kühlung zu und ich spürte angesichts der Szene ein wehmütiges Ziehen in der Brust, eine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies jüngerer Jahre. Das es so nie gab, nur eine Imagination. Umso schlimmer.

Tags zuvor eine völlig andere Reise in die Vergangenheit

Gärten der Welt, Marzahn, Ostberlin. Futuristischer Geist der Achtziger, die Bühne gemahnt an einen Adler, der seine kühnen Schwingen ausbreitet, oder an ein Ufo, je nach Phantasie . Die Gärten der Welt sind ein ganz zauberhaftes Ensemble von chinesischen, japanischen, koreanischen, italienischen etc. Gärten aus aller Welt , mitsamt Bühnen für Konzerte, das die DDR Ende der 80er ihren Insassen mitten in die Hochhäuser von Marzahn stellte, ein Stück unerreichbare Aussenwelt zum probieren. Schwerer Fehler. Das undankbare Pack wollte alles, nicht nur schnuppern, und kurze Zeit später war die DDR Geschichte. Und die einzigartigen Gärten der Welt, sogar mit Seilbahn, kennt kaum ein Schwein mehr.

Man hat der Ostzone in letzter Zeit häufiger mangelnde Dankbarkeit vorgeworfen, nachdem die sich zunehmend der faschistischen Variante bürgerlicher Herrschaft zuwandte. Ein alberner Vorwurf. Als ob Dankbarkeit eine im Kapitalismus nützliche Tugend wäre, wo es nur um drei Dinge geht: Profit. Profit. Profit. Wofür sollen die Zonis dankbar sein? Bananen und Pornos? Schon eine Reise nach Mallorca können sich Leute aus dem Landkreis Sonneberg, die unlängst einen Faschisten zum Landrat wählten, nicht leisten, die zu 44 Prozent im Niedriglohnsektor arbeiten. Wofür soll eine arbeitslose Alleinerziehende drüben dankbar sein? Dass, anders als in der DDR, keine Infrastruktur zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf mehr existiert?

Ich werfe den Neonazis da drüben eine Menge vor, fast alles. Aber keine mangelde Dankbarkeit. Das ist eine vormoderne, höfische Tugend, wie Höflichkeit und andere. Die später, vom aufkommenden, auf Distinktion bedachten Bürgertum verfeinert wurden, um sich gegen den Pöbel abzusetzen. Aber was zum Teufel wollen Sie im Kapitalismus mit Dankbarkeit anfangen? Wer sowas vorwirft, verrät nur eines: mangelnde Bildung und Unfähigkeit zum dialektischen Denken.

Ich muss los. Mit dem Klapprad auf Zeitreise. Das ist eins von vielem Schönen an Berlin, hier können Sie dauernd auf Zeitreisen gehen – in einem Grosslaboratorium, in dem unsere Zukunft entworfen wird …

08.07.2023 – Wir sind in Zeiten von Kriegern und Schutzmann Schneidig.

Krisenprävention 1: Mein erster selbstgezogener Kohlrabi. Für mich von so makelloser, erhabener Schönheit, dass ich ihn ausgrub und tagelang in einem Wassergefäß wie einen Blumenstrauß hielt, mich jeden Morgen dran ergötzend. Auch im Geschmack ordentlich. Auf der Kostenseite, wenn ich Wasser, Arbeitszeit und Kaufpreis berechne, ein Vielfaches im Vergleich zu einem Biokohlrabi, aber an Symbolkraft nicht zu übertreffen: Ich kann autark. Krisen, welcher Natur auch immer, können kommen. Muss ja nicht gleich Krieg sein. Was nützt mir ein gegrillter Kohlrabi (übrigens extrem lecker!), wenn ich selber gleich mitgegrillt werde. Aber die Jungs da oben werden es schon richten. Fast alles Männer, die entscheiden. Wer kann aus dem Stegreif drei Frauen auf bundespolitscher Entscheidungsebene zitieren, außer Annalena Baerbock? Was auch auf der Ebene der Bilderrepräsentanz deutlich wird. Dauernd im medialen Bild die Drei (Warburg-Scholz, Vetternwirtschaft-Habeck und Sylthochzeit-Lindner) von der Zankstelle, Kabinett genannt, und der Schutzmann Schneidig aus Osnabrück, Boris Pistorius. Jede Zeit hat ihre Helden und das produziert natürlich auch Männerbilder und Geschlechterrollen.

Und dass das gerade in Krisenzeiten nach hinten, also rückwärts, losgeht, ist evident. Unlängst las ich in der hiesigen Schnarchpostille HAZ einen Artikel über ein Männercamp, in dem Dutzende verunsicherte Y-Chromosomträger unter Anleitung eines Coaches beim Tanz ihrer archaischen Männlichkeit freien Lauf ließen, mit Kriegsbemalung, Brusttrommeln und „Uaah, Uaah“ Geschrei. Ich Tarzan, Du Jane. Lehrer, Sozialpädagogen, Osteopathen, die handelsübliche Mischung von Weicheiern, die sich irgendwie von den Frauen kastriert fühlen, von der Moderne ihrer Männlichkeit beraubt und die eins eint: Feindseligkeit gegenüber Frauen und Überforderung durch die Moderne. Da hilft natürlich das Rollenbild des archaischen Kriegers weiter, was wesentlich einfacher ist als den Verstand und die Selbstreflexion zu bemühen. Und abends in die große Wichshütte, vulgo Schwitzhütte. Wenn man die Geschichten von denen gelesen hat, kann’s einen nur gruseln. Alles erbärmliche Waschlappen.

Ich bin auch deshalb so griffig, weil ich selber zu faul bin, derartigen betuchten Losern mittels solcher Seminare die Kohle aus dem Kreuz zu leiern. Dazu bräuchte ich noch nicht mal Zynismus, denn Männerbild und Geschlechterrollenverständnis dieser esoterischen Sandkastenkrieger hat natürlich eminent politische Wirksamkeit und ist strikt zu bekämpfen. Übersetzt heißt deren AfD-kompatible Einstellung Misogynie, Gewaltphantasien gegen Frauen, Frauen zurück an den Herd und raus aus dem Beruf, der Mann ist die Krone der Schöpfung.

Ist ja alles nichts neues, nur passt das natürlich wie Arsch auf Eimer in den allgemeinen politischen Rollback.

Die mediale Wirklichkeit liefert dazu mitunter per Montage Bilder, die die Geschichte mehr als 1000 Worte auf den Punkt bringen. Neulich schlaflos nachts beim Zappen: Erst Nachrichten, bei denen Schutzmann Schneidig forschen Schritts an einer Kompanie Soldaten vorbeimarschierte. Im nächsten Kanal: Alter Western, John Wayne eierte in seinem unnachahmlichen Gang auf einen Saloon zu, wahrscheinlich um mal wieder mit Fäusten und Revolvern einen Konflikt aus der Welt zu schießen. Jede Zeit hat ihre Helden. Western war nie mein Genre und anfangs hab ich Filme mit John Wayne nicht verstanden, weil ich dachte, da muss irgendwo ein Satire-Meta-Ebenen-Twist sein, den ich nicht verstehe. So wie der geht und verhält sich kein normaler Mann, höchstens mit extremem Kackreiz und gleichzeitiger Hodenentzündung. War aber kein Twist, alles ernst gemeint. John Waynes Männerbild war ein Rollenstereotyp, was damals weit verbreitet war, noch nachwirkt und auch in meiner (kritischen) Generation Verehrung genoss, und genießt. John Wayne galt bei vielen als cool, selbst Linke kamen aus seinen Filmen mit diesem albernen Eiergang raus.

 Dabei repräsentiert der Mann einen zutiefst psychopathischen Charakter: Unfähig sich selbst und seine Gefühle auszudrücken, kann er Konflikte nur mit Gewalt, Unterdrückung lösen, der Krieger eben. Frauen, die sozial unter ihm stehen, Huren und Barfrauen, verachtet er, Frauen aus dem Bürgertum, ehrbare Witwen oft, tritt er hilflos und überfordert gegenüber. Im realen Leben war Wayne ein Rassist und Faschist, da traten Rolle und Leben in fruchtbare, respektive furchtbare Wechselwirkung. Natürlich war er auch nicht cool sondern bestenfalls stoisch. Zur Coolness fehlte ihm alles, unter anderem lässige Eleganz, bei der der Dandy durchschimmert. Wirklich cool waren zum Beispiel Humphrey Bogart und Cary Grant. Aber das ist eine andere Geschichte aus anderen Zeiten. Wir sind in Zeiten von Kriegern und Schutzmann Schneidig.

Zeit, sich mit der Aufzucht von Kohlrabi vertraut zu machen.

06.07.2023 – Königin der Nacht

Zucchiniblüte, über Nacht aufgegangen. Ist nicht so mein Gemüse, aber die Blüten sind zauberhaft. In der Morgendämmerung von magischer Strahlkraft, von der auf Grund ihrer Intensität sogar eine gewissen Düsternis ausgeht. Königin der Nacht, ging mir durch den Kopf. So auch der Name jener Protagonistin aus der Zauberflöte mit der wohl berühmtesten Koloratur der Musikgeschichte: Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen .

Dramatischer wird’s aber nicht, prosaisch pflückte ich die Blüte, die essbar ist. Natürlich nicht frittieren, es ist ein verbreiteter Unsinn, Blüten zu frittieren. Wer sowas will, soll Pommes oder Calamari essen; der Geschmacksnerven Rache siedet in meiner Fritteuse. Einfach roh essen, am Salat.

Später, am PC, verflogen meine bildungsbürgerlichen Flausen und Reminiszenzen an die Haute Cuisine im Nu. Beim Spiegel-Interview des geschätzten Jenaer Soziologen Klaus Dörre, der auch dahin geht mit seinen Forschungen, wo es weh tut, nämlich in die Niederungen der Gewerkschaften. Dass Gewerkschaftsmitglieder überdurchschnittlich oft AfD wählen, ist bekannt. Dörre hat über rein statistische Erhebungen hinaus versucht, in Tiefeninterviews mit rechtsorientierten Gewerkschaftern und Funktionären in Betrieben in den neuen Bundesländern deren psychosoziale Dispositionen genauer zu verorten.

Die massive und nachhaltige Verhärtung rechtsextremer bis faschistoider Einstellungen bei nicht geringen Teilen dieser Klientel ist erschreckend und stürzt die ohnehin schwachen Gewerkschaften im Osten in ein fast unlösbares Dilemma. Zitat Dörre:“ …. Der antifaschistische Grundkonsens gehört quasi zur Geburtsurkunde der Gewerkschaften. Käme sie … Forderungen rechter Funktionäre nach, würde es sie zerreißen, massenhaft würden Linke und Mitglieder mit Migrationshintergrund austreten, nach wie vor ihre aktivsten Kerne.“

Auf der anderen Seite haben aber Positionen der faschistischen AfD zumindest in ländlichen Regionen des Ostens mittlerweile flächendeckend kulturelle Hegemonie erlangt, in die natürlich auch rechte Gewerkschafter eingebettet sind. Kulturelle Hegemonie ist nach Antonio Gramsci eine zentrale Voraussetzung für die Produktion von Macht im Staat. Die Gewerkschaften befinden sich also in einem derartig tiefen Dilemma, dass Dörres deprimierendes Fazit lautet:“ … ehrlicherweise kenne ich auch kein Patentrezept zur Eindämmung der AfD…“

Es gibt zwar keine Arbeiterbewegung mehr, aber natürlich noch massenhaft Arbeiter, die ohne Klassenbewusstsein in der Gesellschaft frei flottieren, einer Flipperkugel gleich. Sie finden aber im öffentlichen und medialen Diskurs nicht statt und sind nirgendwo auch nur annährend repräsentiert. Gewerkschaften wären die einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die sie erreichen könnten, das funktioniert aber immer weniger. Auch weil sich Gewerkschaften zunehmend entpolitisieren, zu reinen Tarifmaschinen für Kernbelegschaften in Schlüsselindustrien degenerieren.

Nachdem also das Prekariat, das Marxsche Lumpenproletariat, hauptsächlich in sozialen Brennpunkten verortet, schon in Massen AfD wählt, wenn es überhaupt noch wählt, wechseln jetzt in Scharen die vom sozialen Absturz bedrohten autoritär disponierten Facharbeiter mit fliegenden, braunen Fahnen in das andere Lager über. Erst flächendeckend im Osten, dann auch im Westen. Kein neuer Befund, auf diese fundamentale Schwachstelle im demokratischen Konzept haben schon der phänomenale Wilhelm Reich und nach ihm Erich Fromm hingewiesen. Adorno mit dem „autoritären Charakter“ in den 50ern war da nur Epigone. Der Mann ist überhaupt ein vollkommen überschätzter Schwatzhansel.

Das Drama an der hier kurz skizzierten Situation ist aber, dass die hiesige (organisierte) Facharbeiterschaft einerseits schon lange moralisch korrumpiert ist, andererseits aber selbstbewusst über ein kollektives Bewusstsein ihrer Fähigkeiten, Organisationserfahrungen und immer noch vorhandenen Macht verfügt. Der Mythos der Besetzung der Brücke von Rheinhausen, und vieler anderer Streikaktionen, ist immer noch präsent

Es ist also eine nicht auszuschließende Horrorvorstellung, dass vom Absturz bedrohte und von Krisen überforderte Teile der Arbeiterschaft sich in wilden Streiks und Aktionen ihrer Organisationserfahrung bedienen und rechtsextremen, faschistischen Positionen professionell auf der Straße Ausdruck verleihen. Dann wäre die Demokratie im Zangengriff, auf parlamentarischer Eben die AfD, in der Fläche rechtsextreme, kulturelle Hegemonie und auf der Straße der Wille des Volkes. Fehlt nur noch eine charismatische Führerpersönlichkeit und wir haben den Kladderadatsch.

Dann wandere ich aus und werde Zucchinibauer.

04.07.2023 – Wir brauchen zwei Jahrzehnte der Rekommunalisierung

Blumen, Zen und grüne Gärten. Im Rahmen meiner morgendlichen Garten-Zen-Meditation spräche ich, wäre ich gläubig, regelmäßig ein Dankesgebet dafür, dass ich in einer WEG wohne, was keine erweiterte WG ist, wie Alt-Hippies glauben mögen, sondern das Kürzel für Wohnungs-Eigentümer*innen-Gemeinschaft. Wohin mich glückliche Umstände geführt haben. Es war weder Lebensziel von mir, Kanzler zu werden, Lokführer, Pilot oder gar Wohnungseigentümer. Hat sich so ergeben. Schwein gehabt angesichts der aktuellen Mietsituation. Die Geschichte ist für einen übergeordneten, politischen Kontext auch nur deshalb von Belang, weil sie prototypisch für den Paradigmenwechsel in den 90ern steht: Wie aus ehemaligen Hausbesetzern Hausbesitzer wurden. O tempora o mores. Dazu demnächst mehr.

Heute geht es um mögliche Lösungen der dramatischen Wohnsituation für alle die, die weder glückliche Umstände erfahren haben noch mit ausreichend Taler versehen sind, so dass ihnen die Wohnkostenentwicklung am Arsch lang gehen könnte. Was auf maximal ca. 30 Prozent der Bevölkerung zutrifft. 40 Prozent haben keinerlei Rücklagen oder gar Schulden, 60 Prozent müssen ihr gesamtes Einkommen für den Lebensunterhalt ausgeben.

Grundsätzlich brauchen wir zwei Jahrzehnte der Rekommunalisierung. Das heißt, die Sünden der vergangenen Jahrzehnte an Privatisierung von öffentlicher Daseinsfürsorge auf den Gebieten Gesundheit, Energie, Wohnen, Verkehr, Bildung, etc. müssen radikal und unumkehrbar rückgängig gemacht werden. Das ist sowohl sozialökologisch notwendig, der Markt richtet es eben nicht, als auch aus Gründen des Erhalts unserer Demokratie. Bis es soweit ist, hier ein paar ungeordnete Vorschläge zum Thema „Bezahlbares Wohnen“: 

– Aldi und Lidl überbauen, d. h. alles, was flach, eingeschossig gebaut ist in Cities, muss aufgestockt werden

– Ganze Straßenzüge überbauen, siehe https://berliner-abendblatt.de/service/berlin-spandau-welterbe-zum-anfassen-am-denkmaltag-id86493  Berlin Siemensstadt

– In die Tiefe bauen, Hochhäuser, die gen Himmel streben, können das auch in die andere Richtung

– Kooperation zwischen Landeswohnungsbaugesellschaft und kommunalen Genossenschaften, zum Ankauf von Vonovia etc. Liegenschaften

– Leerstandskataster in Ballungsräumen erstellen für leerstehende Büros und Industriebrachen, die zu Wohngebäuden umgebaut werden können

– Eine ganzheitliche Quartiersentwicklung, funktionierendes Quartiersmanagement, mit Betroffenenbeteiligung

– Gesundheitskioske in sozialen Brennpunkten, als Basis für niedrigschwellige Information, Aufklärung, Beratung

– Neue Wohngemeinnützigkeit

Housing first

– Matching Agentur Wohnen, die Menschen mit unterschiedlichen Wünschen zusammenbringt, z. B. Senior*innen, denen die Wohnung, das Einfamilienhaus zu groß geworden ist, mit Student*innen, die Zimmer suchen. Oder für Wohnraumtausch mit Familien, die zu kleine Wohnungen haben.

– Eine jährliche Wohnungsnotfallstatistik, wie in NRW und Berlin

– Keine Strom- und Gassperren, keine Zwangsräumungen

– Mobilisierung von Bauland für bezahlbaren Wohnraum durch die Anwendung von Erbbaurecht, Rekommunalisierung von Liegenschaften und Gründung eines öffentlichen Bodenfonds.

– Enteignungen von börsennotierten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Einheiten

– Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit in die Praxis umsetzen.

Blumen, Zen und grüne Gärten, siehe oben, ist übrigens eine Anspielung auf das Buch „Gammler, Zen und hohe Berge“ von Jack Kerouac, ohne den die 60er und alles was danach kam, nicht möglich gewesen wäre, und ohne den ich später nicht durch Europa getrampt wäre. Na ja, halb Europa.

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03.07.2023 – Mit Sozialpolitik gewinnt man keine Wahlen. Ohne Sozialpolitik verlieren wir die Demokratie

Meine neueste Errungenschaft.

Ich hatte im letzten Blog Inhalte zum Thema „Wohnen, Mangel an bezahlbarem Wohnraum “ versprochen. Also: Jeder dritte Mieter*inhaushalt, 7 Millionen, ist stark belastet, mit mehr als 30 Prozent vom Nettoeinkommen Mietbelastung für Warmmiete. 30 Prozent gelten als zumutbar. 15 Prozent aller Haushalte sind überlastet mit mehr als 40 Prozent. Die Heizkosten haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt. Immer mehr Menschen werden vor die Wahl gestellt: Heizen oder Essen. Die Angst vor dem Wohnungsverlust ist schlimmer noch als die Angst vor dem Jobverlust. Wohnungsverlust kann Wohnungslosigkeit bedeuten, schlimmstenfalls Obdachlosigkeit, das ist die Vernichtung der bürgerlichen Existenz. Eine tödliche Bedrohung. Angst ist Nähr- und Treibstoff des Kapitalismus. Ohne kollektive Ängste kein Kapitalismus. Angst ist der Treiber für die Wahlerfolge der Faschisten, ein Ende ist nicht abzusehen. Wie konnte die Wohnsituation so weit eskalieren? Es gibt zahlreiche Gründe, die sich oft gegenseitig bedingen und aufladen. Beispiele:

– Langjährige falsche demographische Prognosen: Unsere Bevölkerungsentwicklung ist positiv (Migration) entgegen allen Prognosen

– Unzureichender Wohnungsbau (Hintergrund: Inflation, Zinsentwicklung, Facharbeitermangel, Lieferengpässe, Bürokratie)

– Privatisierung, Spekulation, deregulierte Märkte: Bespiel Nds. 2005 Privatisierung der Wohnbau-Gesellschaft NILEG mit ca. 30.000 Einheiten für einen lächerlichen Preis, dadurch Marktdominanz von Börsennotierten Unternehmen wie Vonovia.  Wohnraum in Deutschland ist nach wie vor relativ billig für internationale Spekulanten

– Binnenwanderung, Landflucht

– Rückgang des Sozialwohnungsbestandes. 1987 noch ca. 5 Millionen Sozialwohnungen in der BRD, heute 1 Million. Jedes Jahr fallen 100.000 bundesweit aus der Mietpreisbindung. Ende des Jahrzehnts wird in Niedersachsen, wenn es so weitergeht, in der letzten Sozialwohnung das Licht ausgemacht.

– 1990 Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit , eine Art Atombombe für den sozialen Wohnungsbau

– Zu komplexe Baustandards und Genehmigungsverfahren, Mangel an modularen, standardisierten Bauverfahren

– Trend zu Singlehaushalten und immer größerer Wohnfläche pro Kopf

 – Zweckentfremdung von Wohnraum

– Lobbyismus, Ideologie, Rechtsprechung: Der Markt richtet angeblich alles. Propagierung und Förderung der Eigenheimideologie. Gießkannenprinzip bei Fördermitteln, wovon auch Reiche profitieren, statt zielgerichteter Förderung für Einkommensschwache. Ideologische Rechtsprechung, die unter anderem Mietendeckel verbietet.

Soll erstmal reichen. Zu jedem Punkt könnte man Seitenlang ausführen, das schenke ich mir.

Fakt ist, die Bautätigkeit ist drastisch eingebrochen, bezahlbare Wohnungen in Ballungsräumen gibt es nicht, der Markt funktioniert nur im Hochpreissegment, die Situation ist dramatisch und wird sich verschlimmern. Wenn die Politik nicht nachhaltig und massiv gegensteuert, ist das Demokratiegefährdend. Die Inflation wird irgendwann sinken, im Ukrainekrieg wird es zumindest einen Waffenstillstand geben, Seuchen werden wir, zumindest mittelfristig, beherrschen können, die Klimakatastrophe wird schlimmer, hat aber schleichenden Charakter, sie hinterlässt in weiten Teilen noch keine Angst, und nicht diese akut würgende wie drohender Wohnungsverlust. Die Wohnungskrise aber bleibt uns absehbar erhalten und ist akuter sozialer Sprengstoff. Bezahlbare Wohnungen zu bauen ist Sozialpolitik und umgekehrt. Es gibt einen klassischen Schnack, der jeder Sozialpolitikerin schon mal um die Ohren gewedelt wurde: Mit Sozialpolitik gewinnt man keine Wahlen. Mag sein. Aber: Ohne Sozialpolitik verlieren wir die Demokratie

So weit die Diagnose. Zur Therapie mehr demnächst.

02.07.2023 – Wie mache ich politische Karriere?

Was stimmt an der DB-Anzeigetafel im Berliner Hauptbahnhof nicht? Innerhalb einer halben Stunde nicht eine einzige Verspätung. Stimmte dann doch wieder, mein Zug nach Hannover fuhr entgegen der Anzeige mit einer halben Stunde Verspätung ab. Und hatte die Wagonnummerierung war mal wieder verpeilt, so dass alle Platzreservierungen hinfällig waren. Ich habe die DB jahrelang gegen wachsende Kritik verteidigt, Bahnfahren ist entspannter und sicherer als Autofahren. Ich hab noch kein Auto gesehen, wo ein Bistro drin ist, in dem man fröhlich ein Glas Wein in sich schütten kann. Und sozialökologisch 10x sinnvoller wäre eine günstige, gut ausgebaute Bahn auf jeden Fall. Aber der Ist-Zustand ist mittlerweile so ätzend, dass ich überlege, auf Flixtrain umzusteigen. Direktflüge nach Berlin gibt’s ja leider nicht mehr (die DB macht einen zum Zyniker). In Hannover angekommen, war ich als Experte zum Thema bezahlbares Wohnen für den Sozialgipfel des SPD-Unterbezirk Region Hannover geladen . Und geladen war ich wirklich bis zur Halskrause, lief zum gleichen Zeitpunkt doch direkt vor meiner Haustür in Berlin das Kreuzberg-Festival. Nix dolles, keine Avantgarde-Veranstaltung wie sie im Haus der Kulturen der Welt laufen, oder Alternative Feierlichkeiten im Dunstkreis von SO 36, also Geschichten, an denen man auf Grund des Inkubator-Charakters von Berlin ablesen kann, wohin sich der kulturelle Zug im Rest der Republik demnächst bewegen wird. Ein paar Bühnen und Buden zu Füßen des Kreuzberger Wasserfalls, eine festliche Flaniermeile, Kommerz, durchaus, aber schon mal mit gegrillten Insekten und georgische Weinen, also der Duft der großen, weiten Welt weht zum eigenen Fenster rein. Und die Aura des Live-Erlebnisses ist eh durch nichts zu ersetzen. Stattdessen also SPD.

Krasser kann eine kulturell-habituelle Fallhöhe kaum sein. Und das machte die Sache dann doch schon fast spanend. Zumal aus inhaltlicher Sicht jede Veranstaltung, in der auch nur mal der Begriff „Armut“ fällt, eine sinnvolle ist. Anderen wollte ich die Teilnahme nicht an die Backe hängen und im Moment laufen auch die abschließenden Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2024/25, in denen es auch immer um Fördermittel und Projekte geht. Also sollte man neben inhaltlichen Notwendigkeitsaspekten auch die Gepflogenheiten des Betriebes ernst nehmen. Nämlich Flagge zu zeigen.

Das wichtigste Organ für politische Karrieren (und das gilt in ähnlicher Form auch für das Erreichen politischer Ziele, die Durchsetzung von Inhalten abseits individueller Ziele) ist nicht das Hirn, und schon gar nicht das Herz. Es ist der Arsch. Auf ihm sitzend werden Karrieren gemacht: Anwesenheit bei endlos langen Delegiertenversammlungen, Ortsvereinstagungen, Parteitagen, Fachveranstaltungen etc. pp.  Allein aus dem Grund, um zu verhindern, dass hinter dem abwesenden, eigenen Arsch schlecht über einen geredet wird und man stattdessen lustvoll schlecht über abwesende andere Ärsche herzieht. Das Gleiche Arsch-Anwesenheitsprinzip gilt auch für alle Vorfeldorganisationen der jeweiligen Parteien, seien es Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Vollversammlungen von Kaninchenzüchtervereinen (gibt’s die noch?), Karnevalssitzungen, Kirche, Sportvereine etc. pp. Wenn bei derlei Veranstaltungen in der ersten Reihe ein Reserviert-Schild mit Ihrem Namen liegt, wissen Sie: Sie haben es noch nicht geschafft, aber sind nahe dran. Nach zwei Jahren dieser Ochsentour stellen Sie fest: Sie haben 10 Pfund zugenommen und Ihre Leberwerte sind explodiert, weil es überall Büffet und was zu saufen gibt (merke: neben Arsch sind Magen und Leber weitere essentielle Organe für das Erreichen von Zielen. Ellbogen auch, aber das ist kein Organ). Außerdem ist Ihre Beziehung in die Brüche gegangen, weil Sie nie Zuhause sind, und Ihr Freundeskreis besteht nur noch aus Gleichgesinnten aus diesen Zusammenhängen, die ähnlich dummes Zeug wie Sie selber faseln. Irgendwann sind Sie dann Landtagsabgeordneter und dürfen sich als „Lohn“ für diese Ochsentour von Zynikern mit Spott überkübeln lassen.

Das sind Gepflogenheiten des Betriebes und eher hört die Schwerkraft auf zu wirken als dass sich das ändert. Kann man beklagen, verwerflich finden. Dann sollte man als Entwicklungshelfer nach Afrika gehen. Leider wird man spätestens bei der Beschaffung von Fördermitteln für ein lokales Brunnenprojekt auf ganz ähnliche Mechanismen stoßen

Ach so, liebe Leserinnen, Sie wollen wissen, was da inhaltlich ablief beim Sozialgipfel? Eigentlich liegt mir jetzt eine ganz böse, zynische Antwort auf der Tastatur, aber da ich mich jetzt genug abreagiert habe, was eine zentrale Funktion dieses Blogs ist, verspreche ich Ihnen, das gibt’s im nächsten Eintrag.

29.06.2023 – Hilflos

Gesehen am Parteibüro der Satirepartei „Die Partei“. Putziges Plakat, aber die ganze Ausrichtung der Partei steht für den grundsätzlichen Umgang unserer bürgerlichen Gesellschaft mit dem Phänomen eines erstarkenden Faschismus: Hilflos. Komplett überfordert.

Das fängt ja schon mit dem Begriff Faschismus an. Da eiert und lullert fast die ganze Journaille rum wie der Teufel um das Weihwasser, um bloss nicht mit dem Begriff in Kontakt zu kommen. Die AfD ist für die, und die nehmen wir mal pars pro toto für den gesamten Bürgerladen hier, alles mögliche: reaktionär, nationalistisch, rechtspopulistisch, Minderheitenfeindlich, gestrig, antisemitisch, etc. pp. Alles schön und teilrichtig. Aber das Kind beim Namen zu nennen? Faschismus? Gottseibeiuns. Dann müsste man ja auch konsequent das Gegenmittel positiv besetzen, nämlich den Antifaschismus. Und da hat man in weiten Teilen des Bürgertums den Eindruck, dass ihm ein gepflegter, nicht ganz so rüpelhafter Faschismus allemal lieber ist als Antifaschismus. Antifa, igitt.

Wenn es aber schon auf der Ebene der Begrifflichkeit hapert, wie soll man da je auf eine hilfreiche Diagnose und Therapie kommen. Die im übrigen nur lauten kann, und jetzt wird es sehr kurz und gerafft: Der Faschismus ist ein Produkt des Kapitalismus, die extreme Sonderform bürgerlicher Herrschaft und als solcher ein Phänomen wachsender Krisen. Das Prinzip Faschismus kann nur überwunden werden im Prozess der Überwindung bürgerlicher Herrschaft, letztlich der Abschaffung des Kapitalismus. Eher geht aber die Welt unter. Zumindest die uns bekannte.

Also logisch, dass Sie nur in Ausnahmefällen im Zusammenhang mit der AfD den Begriff Faschismus explizit lesen. Die sind halt irgendwie rechtsextrem. Was sich in der Häufung irgendwie beruhigend anhört. Wer weiss denn schon genau, was rechtsextrem zum Beispiel von rechtsradikal unterscheidet. Faschismus dagegen hört sich schon konkreter an. Mord, Totschlag, Folter. Blut. Liegt in der Luft.

Das Parteibüro der obigen Kasper-Partei liegt übrigens am Chamissoplatz, das ist im hipsten Schicki-Micki-Kreuzberg die hipste Schicki-Micki-Gegend. Wer da wohnt, hat es geschafft, ist oben angekommen.

Diese Partei ist obsolet, witzlos, man liest auch kaum noch was von denen. Ist irgendwie so ein Männerding, wenn es ernst wird, ziehen sie den Schwanz ein und flüchten sich in Satire und Ironie.

28.06.2023 – Können Wasserfälle überflutet werden?

Der Wasserfall in Kreuzberg, ohnehin eine Art Weltwunder der Moderne, konnte. Hier nach dem letzten Unwetter, bei dem die Temperaturen binnen einer Stunde um 12 Grad absackten und Berlin mal wieder nach dem folgenden Gewitter Land unter war. Lebensmüde wurden dabei gesichtet, wie sie in Kanalschächten badeten. Die Wassermassen hatten die Gullideckel weggesprengt.

So sieht der normalerweise aus. Von der Spitze des Kreuzberges haben die Eingeborenen früher Schlachten beobachtet, die vor den Toren der Stadt stattfanden. Heute kann man im Schatten des Denkmals, das an die Befreiungskriege gegen Napoleon erinnert, über die Metropole blicken. Sieht nicht so beeindruckend aus, da macht Frankfurt mehr her. Der Wert Berlins spielt sich in den Straßen ab, spiegelt sich nicht in prunkender Silhouette wider.

Die Urgewalten der Natur hatten den Menschen kurz, das Unwetter dauerte keine Stunde, ihre Begrenztheit vorgeführt. Das beeindruckende Schauspiel sollte einen nicht dazu verführen, politische Prozesse mit Naturmetaphern zu belegen. Wie ich es angesichts des AfD-Landratswahldebakel mit „Faschismus “ tat, den ich als Seuche bezeichnete. Faschismus ist das Produkt eines politischen, also menschengemachten, Prozesses, und muss ebenso politisch bekämpft werden. Seuchenprävention wie Masken, Impfungen und Isolierungen (Internierungslager…) hilft da nicht weiter. Insofern ist hier Naturmetaphorik nicht nur unwissenschaftlich sondern kontraproduktiv. Aber doch schön plakativ und bei meiner Idee mit dem Wiederaufbau der Mauer am 13. August, Betonung auf der ersten Silbe, bleibe ich. Das hat ja auch einen ästhetischen Eigenwert und Ästhetik und Politik sind dialektisch untrennbar verknüpft.

Fazit: So sicher wie das nächste Unwetter kommt auch der nächste Wahlerfolg der Faschisten hierzulande. Das kann ja heiter werden…

26.06.2023 – Ohne Mauern keine Zivilisation

Ein Mittel, sich auf die Klima-Katastrophe einzustellen, ist Begrünung. Im Stadtraum, aber auch individuell, wo möglich. Grün, wo immer möglich. Spendet Schatten, hält Feuchtigkeit, ist Isolierung, Refugium für Insekten, Tiere grundsätzlich, ist aber natürlich auch ästhetischer Gegenpol zur Unwirtlichkeit der Städte, Raum für Inszenierung, Gestaltung, Erholung usw. usf. Grün war immer schon in der Moderne und wird immer mehr Distinktionsmittel. Nichts ist mittlerweile peinlicher als die Anschaffung eines Mercedes oder die Erwähnung eines Fluges in die Ferne, sozial geadelt hingegen wird man durch die locker hingeworfene Bemerkung, man besitze jetzt ein mit Grün bewachsenes Dach, in dem schon Meisen brüten. Da ist zwar der Dachschaden nicht fern, aber jeder Photosynthesemotor hilft. Mein Nachbar im ersten Stock ist absolute Avantgarde. Er lässt seine Wohnung völlig zuwachsen, siehe oben.
Ein beliebtes Topos der Kunst ist Metamorphose, in der Postmoderne speziell die von Menschen in andere Spezies, siehe der Horrorklassiker „Die Fliege“, aber auch in Pflanzen. Vielleicht kommt mir mein Nachbar demnächst als Sonnenblume entgegen oder ist er gar schon ein Baum? Hab ihn länger nicht gesehen.
Empfinden wir Mauern also in Zeiten der Klimakatastrophe als bedrohlich, müssen wir doch akzeptieren, dass Mauern Grundbedingung der Entwicklung von Zivilisation sind. Ohne Mauern keine Häuser, keine Burgen, kein Schutz, keine Fabriken, Krankenhäuser, Schulen etc. pp. Ohne Mauer hätte es die DDR schon viel früher nicht gegeben; Wenn sie nicht in einem Akt der Notwehr am 13. August 1961 den von ihr so genannten „Antifaschistischen Schutzwall“ errichtet hätte, um ihre Bürger*innen am Verlassen ihres Staatsgebietes, vulgo Flucht, zu hindern. Prävention, Gefahrenabwehr. Das, und vor allem den mörderischen Schießbefehl, kann man ethisch verurteilen, es ist aber das völkerrechtlich verbriefte Privileg eines souveränen Staates. So wie es das völkerrechtlich verbriefte Privileg souveräner Staaten ist, Menschen anderer Staatszugehörigkeit am Betreten des eigenen Territoriums zu hindern. Wie es die EU zurzeit flächendeckend in Europa und darüber hinaus praktiziert, um Migration zu verhindern. Mit dem Ergebnis, dass binnen kürzester Zeit ein Vielhundertfaches an Toten zu beklagen ist, als es in den knapp 30 Jahren Existenz der Mauer zu beklagen war. Auch das kann man ethisch verurteilen. Aus struktureller, nämlich völkerrechtlicher Sicht, gibt’s da nix dran zu rütteln. Prävention, Gefahrenabwehr. Justitiabel sind höchstens die Mittel, nicht aber das Prinzip.
Es wird Sie, liebe Leserinnen, also sicher nicht überraschen, dass ich auf Grundlage meiner Ausführungen nach der ersten Wahl gestern eines Faschisten zum Landrat im Landkreis Sonneberg, der eher Finsterwalde heißen sollte, also auf dem Gebiet der ehemaligen Ostzone, beabsichtige, die Mauer wieder aufzubauen, höher als je zuvor. Gefahrenabwehr, Prävention. Mit einem Sonderstatus für Berlin und freiem Zugang dort für Westbürger, zumindest für mich. Baubeginn ist am 13. August. Über Unterstützung freue ich mich. Bitte bringen Sie Mörtel und Steine mit.
Wir haben gegenüber den Insassen der ehemaligen Ostzone nach der Annexion der DDR mit allen Mitteln versucht, Demokratieähnliche Wesen aus ihnen zu machen, mit Bananen, Mallorca-Reisen, unglaublich viel Bimbes und viel zu viel guten Worten. Es hat nichts genützt. Du kriegst aus dem Mob den Nazi nicht raus. Es wird immer schlimmer. Die Politik, die Gesellschaft ist völlig hilflos, überfordert mit der Gefahrenabwehr. Nur Phrasen, Gestammel.
Und die Seuche breitet sich auch bei uns immer weiter aus. Daher darf keiner von drüben das Virus des Faschismus bei uns verbreiten.

Ovid hatte recht: Principiis obsta, sero medicina paratur. Tritt den Anfängen entgegen sonst kommt das Heilmittel zu spät.

Ohne Mauern keine Zivilisation. Wir sehen uns am 13. August.