27.07.2023 – Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf

Politik & Kommunikation, Dezember 2008. Das Blatt aus Berlin für politische Entscheider*innen wurde natürlich auch auf den SCHUPPEN 68 aufmerksam. Das mit der Verstaatlichung während der Finanzkrise 2008 hat leider nicht geklappt.

Neue Presse, 15.12.2008, über die „Bürger helfen Banken“-Aktion des, Zitat „merkwürdigen SCHUPPEN 68“. Die Bürgerpresse war mitunter schlicht überfordert mit unseren Aktionen. Ein gutes Zeichen. Alles richtig gemacht. Es waltet der Geist nicht immer da, wo Druckerschwärze den Ton angibt.

Ein Ziel der ganzen Aktionen war und ist Schärfung der Wahrnehmung, was ist wie gemeint? Was Ironie, Satire, in welchem Verhältnis stehen Stil und Ziel zueinander? Ziel ist immer Aufklärung, der mündige Bürger. Da ist man bei der Bürgerpresse nicht immer an der richtigen Adresse. Die beste Aktion ist die, bei ich selber hinterher nicht weiß, wie ich das gemeint habe. Ganz zu schweigen von der Frage, warum ich das gemacht habe.

Mit Ironie ist das sowieso ein ganz eigenes Ding. Bei der Ironie (griech.: eironeía, Vortäuschung) sagt der Sprecher das Gegenteil dessen, was er meint, vertraut aber darauf, dass die Hörerin die geistige Reife besitzt, über das Gesagte nachzudenken, sich in ihn einzufühlen und so das Gemeinte zu erfassen. Das heißt, die Hörerin muss grundsätzlich die Möglichkeit haben, Ironie als solche zu erkennen, sonst verpufft der Effekt.  

Zum Erkennen von Ironie braucht es nicht nur Geist, sondern auch Empathie. Sehr schön sur le point gebracht ist das hier von Sven Michael Walter von der Uni Osnabrück.

Ironie ist die letzte kognitive (cognoscere = erkennen, wissen) Fähigkeit, die wir entwickeln, und bei vielen, den Meisten, klappt das gar nicht. Mit Ironie und Sarkasmus kann man bei 27 Prozent der Männer und nur 17 Prozent der Frauen punkten. 10 Prozent der Männer stehen auf schwarzem Humor – 4 Prozent Frauen. Witzeerzählen kommt nur bei 5 Prozent gut an. Deshalb wurde mein Witze-Verleih kein Erfolg, obwohl er der Einzige der Welt ist. Kein Problem, wie sagte Nestroy so richtig: Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf.

Ein Tipp zum Schluss: Sollten Sie jemals für ein Anliegen, beruflich oder privat, in der Öffentlichkeit, in den Medien werben, aufmerksam machen (müssen), mittels PM, Presseinfo, Flyer, was auch immer: NIEMALS Ironie. Grundkurs 1 PR: Keine Ironie.

Glauben Sie mir. Ich mein’s nur gut.

25.07.2023 – Mir ist alles Wurstbanane.

Plakat Performance 07.09.2008, Atelier Kunstbüro. Freibier und Erbsensuppe auf dem Marsch durch die Kulturinstitutionen. Daraus entwickelte sich die Zusammenarbeit mit dem Freund und Kollegen Hermann Sievers, Kunstbüro-Mitglied.

Hommage an Marcel Duchamps. HAZ, 04.10.2008. Wurstbanane. 10 Jahre später wurde eine mit Gaffa an die Wand geklebte Banane für 120.000 Dollar verkauft ….

Seit 2008 ist dieser Blog online (Dank an Mediamaster an dieser Stelle), für das digitale Zeitalter ist das eine Ewigkeit. 2008 kulminierten die vorangegangenen Einzelkrisen, wie Dotcom und 9/11, langsam in einen Dauerzustand, und erreichten in der Finanzkrise mit der Lehman-Pleite 2008 ihren ersten Höhepunkt. Weiters: Osterweiterung der EU mit 10 neuen Mitgliedern, als Höhepunkt die als Staaten getarnte organisierte Kriminalität in Form von Rumänien und Bulgarien, der rotgrüne Sozialraub Agenda 2010, die Bankenkrise 2010, jahrelange EU-Krise, Griechenland-Pleite, Flüchtlingskrise 2015, Brexit, Corona, Inflation, Kriege, Klima, wachsender Rechtspopulismus und Faschismus mit weltweitem Demokratieverlust, wieder Flüchtlinge … to be continued. Das Karussell dreht sich immer rasender und immer mehr Insassen fliegen runter.

Irgendwann beginnt für jedes gesellschaftliche System nach seinem Höhepunkt der Abstieg, es zerbröselt, oder implodiert, je nach Dynamik, an seinen Widersprüchen. Der Kapitalismus hatte in den 90ern weltweit gesiegt, ohne Konkurrenz. Und jetzt haben wir den Salat. Respektive die Wurstbanane. Freibier und Erbsensuppe für Alle? Isch over.

Wer gehofft hatte, seinen Kindern die Suppe zum Auslöffeln hinterlassen zu können, sieht sich getäuscht. Die meisten Menschen auf unserer Insel der Glückseligen leben nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Tempo 130? Autofreie Innenstädte? Verbot innerdeutscher Flüge? Alles ohne mich, ich bin der Ohnemichel. Nur kommt die Sintflut nicht nach Dir oder mir, sondern heute, rauscht heute oder morgen wieder durch das Ahrtal oder sonstwo durch. Oder verbrennt Südeuropa. Morgen Mitteleuropa.

Rhodos brennt? Dann flieg ich halt auf die Malediven. Wie? Die saufen gerade ab? Also Urlaub an der Ostsee? Die stirbt aber leider gerade . (Und mich persönlich kriegen freiwillig keine 10 Pferde in den Fascho-Osten.)

In die sauren Äpfel müssen wir also selbst beißen und unsere Nachkommen werden vielleicht mal froh sein, wenn es überhaupt noch saure Äpfel gibt.

Diese ewigen Kassandrarufe machen mich irgendwie fertig. Ich müsste mal raus, Urlaub machen. Flüge nach Korfu in der Nachsaison für 150 Euro, grad gecheckt. Super.

Da brennt’s? Nicht in meiner Gegend. Brennen tut es nebenan, bei den Touris …..

24.07.2023 – Burning down the house oder: Friedrich Merz, der Biedermann als Brandstifter.

SCHUPPEN 68 in den Medien: NP, 30.05.2008, Öffentliches Nachdenken über das Nichts.

Das Nichts ist das, wodurch sich das Sein offenbart. Laut Heidegger, Sartre und mir. Der Veranstalter des im Artikel erwähnten Philosophie-Festivals meldete sich nach den Medienberichten über die Aktion bei mir zwecks Zusammenarbeit. Ich hielt und halte es mit Marx und seinen Thesen zu Feuerbach , deren 11. lautet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern“ und unterbreitete dem guten Mann ein paar Vorschläge auf dieser Basis. Der meldete sich sofort, regelrecht panisch, am Telefon, weil er Angst um die Reputation seines Festivals gekriegt hatte, und insistierte darauf, dass doch jeder von uns in seinen Sphären bleiben möge.

SCHUPPEN 68 in den Medien: IG Metall-Zeitung, 08/2003. Satirekünstler zwischen Karl und Groucho Marx. Also mit der Zuschreibung kann ich leben. Damals fingen die Medien an, sich von sich aus bei mir zu melden, so auch die Metallzeitung (ich bin als Arbeiter der Faust Mitglied bei der IGM, aber nicht mehr lange, wenn die so weiter machen). Ich hatte mir schnell angewöhnt, allen halbwegs erträglichen Medien das zu erzählen, was sie hören wollten, siehe oben. Eine gute Geschichte ist immer mehr wert als die Realität und wird selber irgendwann Realität. Das kleine Foto in der Metallzeitung zeigt übrigens Teile des Kollektivs, leider ohne Frau Dr. Anna-Maria Kötnerholz, auf dem Höhepunkt unseres Schaffens Ende der 80er. Vor dem Hintergrund des gerade abgerissenen SCHUPPEN 68, siehe Graffiti-Schriftzug. Ein rares Zeitdokument.

Ein Song aus den 80ern ging mir heute durch den Kopf angesichts der Nachrichtenlage: Burning down the house, von den Talking Heads , extrem tanzbarer Stoff:

Here’s your ticket, pack your bags

Time for jumpin‘ overboard

Transportation is here

Close enough but not too far

Maybe you know where you are

Fightin‘ fire with fire

Wer denkt da nicht an die griechischen Inseln, die gerade brennen. In Verbindung mit der Aussage des Sauerlandrockers Friedrich Merz über eine Zusammenarbeit mit der AfD . Der Mann ist eine loose cannon, eine aus der Verankerung gerissene Kanone, die unkontrolliert über das Schiff donnert, ein wandelndes Pulverfass. Es brennt, an allen Ecken. Was man für platte Natur-Symbolik auf gesellschaftliche Zustände halten könnte, die brennenden Inseln, ist ein gesellschaftlicher Zustand, denn diese Situation ist menschengemacht. Und der vergesellschaftete CDU-Friedrich Merz ist auch in seinem rohen Naturzustand, er hat sich nicht unter Kontrolle. Nur geil auf Macht, koste es, was wolle, selbst mit Faschisten.

Passend daher auch die Frage der Talking Heads am Anfang des Videos ans Publikum: „Who’s got a match?“ Wer hat ein Streichholz?

Friedrich Merz. Und der hat auch gleich den Benzinkanister dabei. Wenn der Biedermann der Brandstifter ist, steht zu befürchten, dass die Mitglieder der Feuerwehr seine Spießgesellen sind.

23.07.2023 – Wer die Wahl hat, hat die Qual?

Medien über SCHUPPEN 68:  Aktion „Freibier und Erbsensuppe“, HAZ, 10.11.2007. Ich hab keine Ahnung mehr, was in den ganzen Berichten geschrieben wurde, der Gang ins Archiv ist eine feine Reise in die Vergangenheit mit jeder Menge Wiederentdeckungen. Und einem hohen Grinsfaktor. Ich bin gespannt, ob in einem der zahlreichen Berichte irgendwo mal steht, dass die ganzen Aktionen, Interventionen, Performances neben ihrem ästhetischen Eigenwert auch eine hochgradige Verarschung des zeitgenössischen Kunstbetriebes waren.

Medien über SCHUPPEN 68: Neue Presse, 03.03.2008. Aktion zur Produktions-Einstellung des lokalen Lindener Bieres. Kein Verlust, eine eklige Plörre. 11 Zuschauer*innen, immerhin. Ich hab Helge Schneider im hiesigen Veranstaltungsort „BAD“ vor vielen Jahren mal per Zufall gesehen, 5 Zuschauer*innen. Schaun mer mal ….

Aber hier bin ich einer Sternstunde meines dichterischen Schaffens wiederbegegnet: Der Umdichtung von „Hälfte des Lebens“ des Dichtergottes Friedrich Hölderlin:

„ …..

Und trunken von Küssen

Tunkt Ihr das Haupt

Ins heilignüchterne Bier.“

Also das in Verbindung mit dem profanen Prollgesöff Lindener Bier, das hat was. Heilnüchtern kann man angesichts der Perspektiven im Lande nicht werden, eher höllischbesoffen. Uns stehen Wahlen ins Haus und die werfen düstere Schatten voraus. 2023/24 Landtagswahlen in Bayern, Hessen, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und die Europawahl, jede Menge Kommunalwahlen und die Bundestagswahl in 2025, wofür sich die Kontrahenten jetzt schon in Stellung bringen. Der hessische MP Boris Rhein, CDU, gibt den Wahlkampf-Grundton vor: Grenzen dicht, die Nation muss sauber bleiben. Was von oben als ausgewogener Beitrag zur Migrationsdebatte verstanden werden will, kommt unten als Appell zum Heime-Anzünden an. Irgendwas gegen Ausländer*innen, das zieht immer. Der Rhein Vorgänger Roland Koch hatte schon vor 25 Jahren mit der Rassismuskarte Wahlen in Hessen gewonnen. „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Fragten damals die Einen. Während die Anderen nicht lange fackelten und Flüchtlingsheime abfackelten.  

Wenn das nicht reicht, wird eine Kampagne gegen Sozialschmarotzer via Bild losgetreten, antisemitisch sind „wir“ sowieso schon, Gewalt gegen Frauen nimmt zu, Toleranz gegen LGBTQ nimmt proportional ab. Minderheiten sollten sich warm anziehen, alles, was rechts ist und egal wie heiß die Sommer noch werden.

Die Einen haben die Wahl, die Anderen die Qual.

22.07.2023 – Auf dem Weg in die Räterepublik

Performance „Mitleid mit der SPD“ 2007, Neue Presse, 04.08.2007.

Angeregt durch das Sommerloch, stelle ich hier in loser Folge Medienberichte online über das verdiente „Polit-Satire-Anarcho-Netzwerk SCHUPPEN 68“ (Zitat Artikel NP).

Performance „Kopfnüsse gegen Wahlverdrossenheit“. Neue Presse, 26.01.2008.

Manches würde ich heute anders machen und auf jeden Fall anders formulieren, einiges ist schlicht gelogen, anderes falsch wiedergegeben, die grobe Richtung aber stimmt. Bis auf die Tatsache, dass ich heutzutage bestimmt nicht mehr für höhere Wahlbeteiligung mobilisieren würde. Die Wahlbeteiligung hat in den letzten Jahren oft zumindest nicht mehr abgenommen oder ist sogar wieder gestiegen und das ging zu wesentlichen Teilen auf das Konto der AfD. Große Wähler*innenströme gingen von den Nichtwählenden zur AfD und wenn das bei mehr Wahlbeteiligung rauskommt, bin ich strikt dagegen. Es kann nicht sein, dass die Demokratie ihren Henkern selber den Strick in die Hand gibt. Also hätte die nächste Intervention das Ziel, die Wahlbeteiligung zu reduzieren, vor allem da wo die AfD regelmäßig die größten Stimmenanteile einfährt, in den sozialen Brennpunkten. Man müsste über soziale Medien das Gerücht verbreiten, dass in den Wahllokalen in den Brennpunkten die Leute heimlich verstrahlt werden, von „denen da oben“, mit Zwangsimpfung, Gehirnwäsche und Unfruchtbarkeitsstrahlen.

Überall Handlungsbedarf. Jetzt sind wir langsam aber sicher auf dem Marsch in die Räterepublik: Bezirksräte, Betriebsräte, Studienräte und jetzt auch noch Bürgerräte als Instrument für mehr Bürgernähe oder gar Beteiligung. Was zum Teufel soll dabei herauskommen, bei der derzeitig rapiden Verrohung der Gesellschaft? Laut letzter Wahlumfrage haben zunehmend rechte, reaktionäre, faschistische, neoliberale Parteipositionen die deutliche absolute Mehrheit, CDU und AfD zusammen mit 48 Prozent die Mehrheit der Mandate, FDP 7 Prozent und von den 10 Prozent für die kleineren Parteien ist die Mehrzahl entweder faschistisch, wie der 3. Weg, oder die Basis, oder völlig durchgeknallt. Da sind wir schon bei über 60 Prozent Rohheitspotential. Und von denen, die nicht wählen gehen, würde wahrscheinlich die Mehrzahl ohne mit der Wimper zu zucken die AHP wählen, die Adolf Hitler Partei. Ein bisschen überpointiert vielleicht, aber trifft im Kern den derzeitigen gesellschaftliche Zustand und Prozess.

Auf dem Weg in die Räterepublik? Die hätte dann vermutlich das Motto: Für ein nationales und soziales Sowjetdeutschland.

21.07.2023 – Der Löwe in Berlin ist ein Fake

Bisher war ich der ungekrönte König aller Sommerlöcher. Hier eine – in aller Bescheidenheit -geniale Aktion von 2009, über die auch der Rolls-Royce-Standard der Medien, der Deutschlandfunk, berichtete, hörst Du hier . Genial deshalb, weil ich nicht irgendein dusseliges Plastikkrokodil in einen Tümpel geworfen und das Foto den Medien angedient habe, sondern das Sommerloch als solches in seiner dialektisch-medialen Beziehung auf einer Metaebene thematisiert habe.

Hier sind Sie nochmal über das Krokodil 2012 im Bild, dem Scheiße-Standard der Medien. Natürlich gelogen mit dem Satz, dass ich mit der Aktion niemanden erschrecken wollte. Im Gegenteil hätte ich mich königlich amüsiert, wenn der Mob in Panik geflüchtet wäre, schreiende Kinder vorweg.

Der Löwe in Berlin ist übrigens ein Fake, ursprünglich war es ein in einen Flokati gewickelter Bernhardiner, auf den die Polizei reinfiel. Da sie das nicht auf sich sitzen lassen wollte, lieh sie sich von einem privaten Löwenflüsterer ein perfekt dressiertes Exemplar aus, das sie jetzt ab und zu durch die undurchdringlichen Dschungel Südberlins scheucht, begleitet von Löwengebrüll vom Band. Clever gemacht, Metropolenpolizei eben. Ich aber ziehe in Anerkennung und Hochachtung vor dem Urheber des Fakes meinen Hut und muss mir keinen Kopf mehr machen, was aus der Werkstatt des SCHUPPEN 68 als nächstes Sommerloch kommt. Der Löwe ist nicht mehr zu toppen und die Offiziellen haben sich ja auch proaktiv drauf eingestellt.

Ich konnte mich nie über die Medienberichterstattung beklagen, was mein Schaffen angeht. Durchaus wohlwollend, doch, doch. Mir fehlten nur ab und zu Zuschreibungen wie „Perfomance-Papst, Gott der Aktionskunst oder auch nur mal „genial“.“ Deshalb hole ich das hier selber nach, siehe oben.

20.07.2023 – Es muss ein Rechtsruck durch Deutschland gehen

Sommerfrische im Allgäu? Berlin, Marzahn, Seilbahn in den „Gärten der Welt“. Es gibt nichts, was es in Berlin nicht gibt. Jetzt laufen da auch noch Löwen frei rum. Auf nach Teltow, wenn ich das Vieh im Video kriege, explodieren meine Klickzahlen.

Irgendwie tut das Tier mir jetzt schon leid. Wenn es denn überhaupt existiert. Erst wird es von Millionen Idioten verrückt gemacht, die auf der Jagd nach einem Video die arme Natur da platttrampeln, und zum Schluss sicher abgeknallt. Das Wilde in der Natur muss abgetötet werden, unsere Gesellschaft wird ja schon mit ihrer eigenen Wildheit immer weniger fertig. Mich erinnert die Geschichte an meine Sichtung eines Krokodils im hiesigen Stadttümpel Maschsee, 2012, über die natürlich auch die Bild berichtetet.

Ich beschränke mich hier auf den Wunstorfer Anzeiger, der immerhin meine Lobeshymne auf meine Heimatstadt abdruckte: „Hannover, die Heimat von Lena und Fritz Haarmann, ist eine sehr lebenswerte Stadt.“ Aber statt dass mir hier mal die Ehrenwürgerbürde verliehen wird als genialer Imagepfleger, bezichtigte mich im Wunstorfer Anzeiger einer der dortigen Großwildjäger des Fakes, weil Krokodile niemals so hoch im Wasser liegen, da würde man nur die Augen und das große Maul sehen. Ein stabiles Genie, der Mann, fürwahr.

Wenden wir uns den hiesigen eingeborenen Wilden und Großmäulern zu, wie Carsten Nillemann, designierter CDU-Generalsekretär, Merz-Klon und Rechtsscheitelträger. Motto: Ab durch die Mitte und Kompanie, rechts um. Er fordert: Schnellverfahren gegen Gewalttäter (sind schon lange möglich), wer arbeiten kann und Bürgergeld bezieht, müsse auch eine Arbeit annehmen (ist schon immer so gewesen oder geht an der Realität so vorbei wie ein Krokodil am Sommerloch), Renteneintrittsalter von 72 (also flächendeckende Einführung von Altersarmut wegen Rentenkürzung, nichts anderes kommt bei dieser Forderung heraus).

Ich bin im Besitz des Redemanuskriptes für den nächsten CDU-Parteitag, vom Mofarocker aus dem Sauerland Friedrich Merz . Titel: Es muss ein Rechtsruck durch Deutschland gehen. Das greift auf die Ruck-Rede unter dem Motto „Es muss ein Rucksack durch Deutschland gehen“   des ehemaligen Bundespräsidenten und Schwatzhansel Roman Herzog zurück. Der bereitete 1997 inmitten einer der zyklischen Krisen des hiesigen Kapitalismus mit allerlei neoliberalem Geschwalle à la „Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen“ den rotgrünen Sozialraubzug genannt Agenda 2010 vor.

Jetzt, 2023, haben wir Multikrise und da lässt der reaktionäre Teil des Bürgertums schon mal die Charaktermaske fallen. Rechts um. Siehe auch die völkerrechtswidrige Forderung vom CDU-Geschäfts-Führer nach Abschaffung des individuellen Asylrechts .

Das kann der offen faschistische Teil des Bürgertums locker toppen. Da wurde ja schon über den Schusswaffengebrauch gegen Migrant*innen diskutiert. Von denen kommt auf jeden groben CDU-Klotz ein dreifach gröberer AfD-Keil. Original-Faschismus – nur bei uns!

Die Verrohung des Bürgertums schreitet voran. Dagegen sind temporäre Gewaltexzesse in Freibädern Peanuts und die wahren, wilden Löwen laufen frei rechtsdrehend in den Medien-Manegen rum.

18.07.2023 – Man überlässt den Arschlöchern nicht kampflos das Feld.

Imbiss vor unserem Haus in Kreuzberg. Natürlich türkisch, ist ja Kreuzberg. WG-intern nennen wir ihn Hades, nach dem Ort der griechischen Unterwelt. Unser Hades ist ein sehr niedrigschwelliger, preisgünstiger Treffpunkt für die Mühseligen und Beladenen aus dem Haus und der nahen Umgebung, die sich in den mehr oder weniger schicken Straßencafés im gentrifizierten Bergmannkiez um die Ecke die teuren Latte Macchiato nicht leisten können. Und selbst wenn sie könnten, nicht leisten wollten, hegen sie doch eine instinktive und wohlbegründete Abneigung gegen die einheimischen Hipster dort oder gegen die Myriaden aufgeregt-aufgetakelter Touristinnen, sind jene doch äußere Erscheinung des Gentrifizierungsdrucks auf die ganze Gegend. Und auch sonst meistens nicht ganz dicht in der Birne. Latte Macchiato heißt übrigens „gefleckte Milch“, was irgendwie passt, kann ja mal passieren, wenn man in der Frühe verschlafen bei so einem Morgen-Latte nicht aufpasst.

Der Hades ist Ort der Kommunikation, der Information, der Nachbarschaftshilfe. Hier finden auch Menschen mit sehr wenig Geld, Bürgergeld, Grundsicherung, mies bezahlten Prekärjobs, das, was ihnen von der Gesellschaft verweigert wird, was aber den Kern ihrer Menschenwürde ausmacht: Gesellschaftliche Teilhabe.

Unser Haus wurde unlängst an einen Investor verkauft. Das bedeutet absehbar Unsicherheit für alle im Haus. Was passiert? Umwandlung in Eigentumswohnungen? Modernisierung und Umlegung der Kosten auf Mieter*innen? Wie hoch, wie unbezahlbar werden die Mieten? Das, ein möglicher Wohnungsverlust, kann zu einer existentiellen Katastrophe für manche werden. Aussage eines Anwohners: „Lebendig kriegen die mich hier nicht raus.“

Für Gewerberäume wie den Hades gelten andere Regeln als für Wohnungen. Dort kann das Ende schnell kommen. Das wäre ein soziales Desaster für die Mühseligen und Beladenen. Es gibt zwar jede Menge Spätis in der Gegend, aber die sind kein Ersatz. Mit einer Bierpulle und Chips vor einem Späti abzuhängen ist eine andere Nummer, als gepflegt vor dem Hades zu sitzen und als Krönung der Woche sogar auf eine Pizza für 8,50 Euro zu warten. Nach dem Späti kommt nur noch die Parkbank, der Hades lässt alle Optionen offen.

Jetzt hat der Hades erstmal zu. Der Besitzer fährt den Sommer über mit seiner Familie in das türkische Heimatdorf. Oje. Ein Leben ohne Hades ist machbar, aber nicht wünschenswert. Da meine zweite Natur die Inszenierung ist, hatte ich umgehend eine Eingebung. Eine soziale Plastik, ein sozioästhetischer Eingriff in die Stadtöffentlichkeit, Kunst am Bau, und zwar an unserem Haus: Zwei Bistrotische vor die Tür, ein paar Stühle, eine Kiste Bier und eine mit Cola als Starthilfe daneben, Wasser trinkt da niemand, eine Sammelbox für Kohle und einen Aufsteller, auf dem sinngemäß steht: „Der Hades hat zu. Wir machen unseren eigenen Hades. Jeder nimmt sich, was er will, jeder zahlt, was er kann und trägt sich in die Liste für das Organisationsteam ein, das saubermacht, die Sachen wegräumt und neu einkauft. Am Wochenende gibt es Kabarett und Performance aus Hannover (meint mich).“

Eigentlich eine von zehn Ideen am Tag, die mir bekifft schon mal durch die Birne vagabundieren und wo ich mir sage, nee, ich nicht mehr, sollen die Anderen mal machen. Aber diese hier materialisiert sich immer mehr. Das Eingreifen, die direkte Aktion habe ich immer für die zentrale politische Kategorie der Selbstorganisation gehalten; der Schreibtisch, die Bücher, Theorie, all das ist nützlich, aber Veränderung findet auf der Straße statt oder gar nicht. Ganz zu schweigen vom Adrenalin, das dabei frei wird.

Wenn der Hades endgültig schließt, mach ich das. Wie ich überhaupt und grundsätzlich dem Hades ein Denkmal setzen muss.

Es ist ja auch eine Frage des Stils: Man überlässt den Arschlöchern nicht kampflos das Feld.

17.07.2023 – Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten.

Skulptur „Der Befreier“ von Jewgeni Wutschetitsch im sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park, Gedenkstätte und zugleich Soldatenfriedhof von 1949 in Berlin. Über 7000 der in der Schlacht um Berlin gefallenen Soldaten sind hier bestattet. Die zum Monument gehörende Skulptur ist mit Hügel und Sockel insgesamt 30 Meter hoch. Sechzehn weiße Sarkophage aus Kalkstein stehen entlang der äußeren Begrenzung dieses Feldes. Sie sind auf den beiden Längsseiten mit Reliefs aus der Geschichte des Großen Vaterländischen Kriegen der Sowjetvölker versehen

Sie tragen auf der dem zentralen Feld zugewandten Schmalseite Zitate von Stalin.

Die Ästhetik der Anlage ist gekennzeichnet durch Größe, Pathos, Naturalismus im Stil des sozialistischen Realismus, sie setzt auf Überwältigung und ähnelt darin strukturell dem Hollywood-Blockbuster. Anders als bei diesem stehen die ästhetischen Mittel dieser Anlage aber in einem Verhältnis zu ihrem Sinn und Ziel: Dem Gedenken der Gefallenen und der klaren Aussage: Nie wieder Faschismus.

Der Hollywood-Blockbuster kennt nur ein Ziel: Soviel Profit wie möglich, und eine Botschaft ist ihm nicht zu eigen. Ich gucke mir sowas nicht an, beim Zappen mal ein paar Minuten, dann langweilt das, es sei denn, es ist durch Witz und Selbstironie gezeichnet.

Natürlich würde man Denkmäler und Anlagen heute anders bauen, das Zeitalter von Denkmälern ist eigentlich vorbei. Aber eine ästhetische und damit politische Kritik an der Anlage verbietet sich grundsätzlich, kommt sie doch aus einem Zusammenhang, der unsere Vorstellung und damit Kritikfähigkeit übersteigt: Der von Deutschen entfesselte Zweite Weltkrieg, der allein in der Sowjetunion über 20 Millionen Menschen das Leben kostete, der singuläre Holocaust und die rassistische Barbarei der Deutschen in ganz Europa vor dem Hintergrund eines völkischen Chauvinismus.

Tatsächlich ist mir auch keine Diskussion bekannt, die eine Entfernung der Stalinschen Zitate fordert oder eine kommentierende Einordnung durch Tafeln etc., obwohl Stalin zu Recht allgemein als Tyrann und Menschheits-Verbrecher gilt und von Teilen der Wissenschaft mit Hitler gleichgesetzt wird. Zumindest von Anhängerinnen der Totalitarismus-Theorie, die Kommunismus und Faschismus gleichsetzen. Das ist aus mehreren Gründen unhaltbar: die Gleichsetzung ebnet die Singularität des Holocaust ein und sie verkennt die Ziel-Mittel-Relation dieser beiden Ideologien. Der Faschismus hatte – hat – kein Ziel außer Unterwerfung, Terror, Vernichtung und das fällt mit seinen Mitteln von Herrschaft zusammen. Auch Mittel des praktizierten Kommunismus waren terroristisch, barbarisch und man kann darüber streiten, ob die Anwendung seiner Mittel strukturell zumindest teilweise in seiner Ideologie verankert sind. Ich bin nicht dieser Ansicht, kann aber verstehen, wenn das so gesehen wird.

Nicht streiten aber kann man über die Tatsache, dass die Ziele des Kommunismus eine klassische Utopie waren, den Kern von Emanzipation in sich trugen: Die Befreiung des Menschen von Herrschaft, die Gleichheit Aller, egal welcher Herkunft, welchen Geschlechts. Ziel übrigens auch das Absterben des Nationalstaates und damit des Nationalismus.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Aufzählung der „Völker der Sowjetunion“ inklusive Ukraine im obigen Zitat von Stalin interessant und sinnhaft. Die Russifizierung der Sowjetunion, auf die sich der Putinsche Imperialismus beruft, wenn er behauptet, die Ukraine habe als Nation gar kein Existenzrecht, weil es sie als solche nie gab, war kein einheitlicher Prozess.

Nicht umsonst haben sich Legionen der edelsten Geister in früheren Generationen an der Utopie Sozialismus als Übergang zum Kommunismus abgearbeitet, sich mit ihr identifiziert, sie weiterentwickelt. Mit der Dystopie Faschismus identifizieren sich nur Psychopathen.

Ein Indiz dafür, dass den Teilen der bürgerlichen Gesellschaft, die der Totalitarismus-Theorie anhängen, nicht ganz wohl bei ihrer Ideologie ist, ist die Tatsache der Existenz der Stalin-Zitate im öffentlichen Raum der Treptower Gedenkstätte: Ein unkommentiertes Zitat von Hitler im öffentlichen Raum ist nicht vorstellbar. Zitate von Stalin, siehe oben, so schwer erträglich diese historische Figur auch sein mag, sind es.

Mein Lieblings-Zitat aber der letzten Wochen: „Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten.“ Mathias Döpfner, Springer-Chef.  

14.07.2023 – Wasserstadt und systemische Grenzen

Spandau, Havelbrücke zur Insel Eiswerder. Die Havel kommt dort regelrecht majestätisch breit daher, die Szenerie erinnert an Elbhamburg. Spandau ist eine Wasserstadt, umgeben von Seen, durchzogen von Kanälen, eine Gartenkolonie trägt den Namen „Klein-Venedig“. Die Altstadt dort ist überaus charmant. Jeder der 12 Bezirke in Berlin ist eine Großstadt für sich mit eigenem Charakter und Spandau ist das Spiel mit dem mythologischen Element Wasser. Nichts zieht mich so an wie Wasser, selbst der winzige Teich in meinem Garten hat für mich magische Anziehungskraft.

Ganz andere Auswirkungen hat das Element Wasser zur Zeit in Berlin, in den Freibädern. Dort eskaliert die Gewalt derart, dass das Neuköllner Freibad Columbia auf absehbare Zeit geschlossen wurde. Auslöser sind migrantische junge Männer, die oft homophob und frauenfeindlich agieren. Duschräume und Umkleidekabinen werden laut Berliner Medien zugeschissen, Windeln überall hingeworfen, Papierkörbe ignoriert, Polizisten mitunter von hunderten Jugendlichen angegriffen. Sicherheitskräfte sind überfordert. Alle Akteure hilflos. Wohlmeinende Sozialarbeiter, mit Migrationshintergrund, fordern, die Eltern der Delinquenten aufzusuchen, weil die angeblich von nichts wüssten, und die Politik fordert mehr Polizei. Technokratische Lösungsvorschläge gehen in Richtung personenbezogene Einlasskontrollen, Video-Überwachung und Hausverbote. Dieses Dilemma zwischen hanebüchener Einfältigkeit und Überwachungs-Allmachtsphantasien macht eins deutlich: unser System kommt an Grenzen. Auch hier, im Freibad.

Wenn eine Gesellschaft in ihren zentralen systemstabilisierenden Funktionen Kontrollieren, Überwachen, Strafen an und über ihre Grenzen kommt, gleicht das dem sagenhaften Menetekel. Die DDR könnte ein Lied davon singen, sänge sie noch.

Schwanengesang Teil 2: Nebenan in Brandenburg verlassen zwei Lehrer*innen ihre Schule, an der sie mit einem Brandbrief auf zunehmend faschistische Umtriebe aufmerksam gemacht hatten. Daraufhin wurden sie sofort massiv von den Faschisten in der Region bedroht. Staat und Gesellschaft haben es nicht geschafft, Kontrolle, Überwachung und Strafe so zu organisieren, dass die Beiden unbehelligt weiter leben und arbeiten konnten. Systemisches Versagen, an immer mehr Fronten.

Wir aber schwelgten abends beim Bier vor unserem türkischen Imbiss „Hades“ in Untergangsphantasien, wie berittene Polizei mit gezogenem Säbel die Freibäder der Republik stürmt. Freiheit für alle Freibäder. Und Freibier für Alle!