02.07.2024 – Eine Letalität von über 50 Prozent

Neulich auf meiner Veranda. In der Sonne herrschten 53,6 Grad. Unter dem Baldachin aus Wein kam bei mir griechisches Feeling auf. Fast wäre ich in meinen Teich gehechtet. Nur die Wassertiefe von einem Meter hielt mich ab. Aber seit Tagen wieder Regen und es wird immer kälter, trüber. Wo ist die Klimakatastrophe, wenn man sie mal braucht? Mal wieder Wetter, wie früher. Was die Leute so reden, früher war es doch auch schon heiß und es hat geregnet. Klima, wenn ich das schon höre, alles linksgrünversiffter Kommunistenquatsch, um freie Fahrt für freie Bürger zu verhindern. So wie dieses Faschismus-Gerede. Früher hatten wir doch auch schon mal Hitler. Und was ist? Heute geht’s uns doch blendend. Vom Ende her gesehen also alles Superbenzin. Und erst das Pandemiegefasel. In amerikanischen Kuhställen breitet sich ein Grippevirus aus, das eigentlich Vögel tötet, nun aber Katzen und Mäuse umbringt. Auch Menschen werden krank. Bislang scheitern die Behörden an der Aufklärung. Droht der Welt eine neue Seuche? So heißt es in der Eliten-Prawda, dem Spiegel.

Ich hab die Seuche im Portemonnaie! Das ist Seuche. Schwindsucht. Katzen und Mäuse, wenn ich das schon höre. Wer braucht schon Katzen und Mäuse. Ich nicht. Wenn bei mir ne Katze im Garten rumläuft, Luftgewehr her, Peng, Peng, und ab in die Tonne das Viech.

Zitat aus dem Artikel hinter Bezahlschranke:

„ Zu Beginn starben Hühner, dann Menschen, die jüngsten zuerst. Lam Hoi-ka, 3, litt an Fieber und Halsschmerzen, kam bald in das größte Krankenhaus von Hongkong, und eine Woche später war der Junge tot. Die Ursache war ein akutes Versagen der Lunge, der Nieren und der Leber. Im lebendigen Leib war sein Blut geronnen. Etwas Außerordentliches war geschehen, wie Wissenschaftler aus den Niederlanden wenig später herausfanden. Ein aus China stammendes Vogelgrippevirus, bekannt als H5N1, war wohl von einem Huhn auf Hoi-ka übergesprungen, ein Vorgang, der nie zuvor beschrieben worden war. Mindestens weitere 17 Menschen hatten sich angesteckt, fünf davon starben.“

Das war 1997 in Hongkong. Damals wurde der gesamte Geflügelbestand dort getötet. Hat nichts genutzt, das Virus H5N1 verbreitet sich seitdem ständig und verändert sich, immer schneller, in immer „unwahrscheinlichere“ und aggressivere Varianten. Es überspringt selbst Arten-Schranken, die vorher für unmöglich gehalten wurden, siehe Kühe. Noch gibt es keinen Beleg dafür, dass sich H5N1 von Mensch zu Mensch verbreiten kann.

Noch.

Wenn das passiert, und die Frage ist nicht ob, sondern wann auf Grund der bisherigen Entwicklungsgeschichte, können wir es angesichts einer Letalität von über 50 Prozent mit einem Pandemierisiko zu tun haben, gegen das Corona vergleichsweise ein Spaziergang war.

Zitat: „Viren bleiben unberechenbar …. Der Seuchenzug von H5N1 hinein in die menschliche Population könnte morgen beginnen, im nächsten Monat, in Jahren oder nie. Influenza-Erreger waren auch in der Vergangenheit für Überraschungen gut: Wegen der Schweinegrippe H1N1 hatte die WHO 2009 schon den Pandemiefall erklärt, letztlich aber erwies sich die Grippe als weit weniger tödlich als befürchtet. Die H1N1-Grippe von 1918/19 hingegen hatte niemand kommen sehen, sie tötete weltweit bis zu 50 Millionen Menschen, ein Vielfaches der Opferzahl aus dem Ersten Weltkrieg.“

Aktuell bleibt zu hoffen, dass im Ernstfall Wissenschaft und Vernunft ähnlich schnell reagieren wie bei der letzten Seuche, wo innerhalb kürzester Zeit ein extrem potenter Impfstoff bereit stand mit minimalen Nebenwirkungen.

An der Wissenschaft zweifele ich wenig, an der gesellschaftlichen Vernunft erheblich. Unsere Gesellschaft bewegt sich derart in einen pathologischen Zustand von Hysterie, Irrationalität, Fakten-Verdrängung, Aggression, dass uns vielleicht das nächste Virus nicht umbringt, aber der gesellschaftliche Umgang damit, die mangelnde Durchsetzbarkeit von Vernunft.

Wie sagt Romeos Julia doch so passend angesichts des nahen Endes:

I have a faint cold fear thrills through my veins …

Vorhang zu und alle Fragen offen.

01.07.2024 – Die Kulturszene in Frankreich weiß, was auf sie zukommt.

Gesehen in der Ausstellung „Public Viewing – Künstlerische Positionen zum Fußball“ zur EM im b-part im Park Gleisdreieck in Kreuzberg

Auf die Ausstellung bin ich per Zufall gestoßen, Gleisdreieck liegt bei mir vor der Tür. Ich habe mich vergeblich bemüht, im Bild oben satirische Elemente zu finden. Was für ein pubertierender Kitsch-Müll. Die ganze Ausstellung besteht fast ausschließlich aus Deko-Ware, nett anzuschauendes Gepinsel, das optische Gegenstück zu Kaufhaus-Dudelmusik oder Restaurant-Ohrtapeten. Auf meine Frage nach kritischen Positionen bedauerte die junge Kuratorin: „Da haben wir leider keine Einsendungen von den jungen Künstlerinnen zu erhalten.“ Und das in Berlin, an einem der hippsten Orte, Gleisdreieck. Wenn das die Kritik-Fallhöhe der zeitgenössischen Kunst ist, dann gute Nacht. (Eine Arbeit des genialen Ror Wolf war dabei , aber der ist jenseits aller Kategorien, und schon lange tot).

Je länger und intensiver ich den zeitgenössischen Kulturbetrieb betrachte, desto mehr steigt Grimm in mir auf und recht eigentlich, wenn es kein fulminantes Eigentor wäre, wünschte ich diesen unterkomplexen und strunzdummen Wichten mal ein paar Jahre strammes AfD-Regiment. Null Fördermittel, null Jobs, null Preisgelder, null Ankäufe durch den Staat, alle Strukturen gegen die Wand gefahren, so sieht eine Kulturlandschaft nach AfD-Art aus. Und da ist die Faschismus-Hardcore Variante der zweiten Phase der Machtübernahme noch nicht enthalten: Der Straßenterror. Erich Mühsam lässt grüßen….

Nicht nur ist der gemeine Kulturschaffende hierzulande und weltweit von einem veritablen Antisemitismus besessen, siehe Documenta und zahlreiche andere Gelegenheiten, sondern grundsätzlich derart fern aller relevanten gesellschaftlichen Konflikte (und damit meine ich nicht die Frage nach Diversität, Gender, sexueller Identität, Körpergrenzen, Fluidität und was dergleichen Gedöns mehr ist), dass man sich auch hier die alte DDR zurück wünscht mit dem Diktum: Geh auch Du, Genosse Künstler, in die Produktion.

VW hat gerade seinen dual Studierenden der Jahrgänge 2025 und 2026 nach dem Ende ihres Studiums ein, zwei Jahre Arbeit in der Produktion verordnet.

Der Betriebsrat ist entsetzt. Aber nicht, weil es nicht 5 Jahre sind, sondern weil das eine Zumutung sei. Was zum Teufel soll schlecht daran sein, wenn zukünftige Chefs am eigenen Leib erfahren, was es heißt, 7 Stunden am Tag mal für eine längere Zeit z. B. täglich 2000 Autoteile aus einer 100 Tonnen-Hydraulik-Presse zu stapeln, wenn ob des dröhnenden Lärms keine Unterhaltung möglich ist, die Maschine den rasenden Takt vorgibt und sich der Körper am Ende des Tages so anfühlt, als hätte er selbst in der Presse gelegen.

Und was sollte schlecht daran sein, wenn Kulturschaffende mal zwei Jahre lang Projekte in sozialen Brennpunkten mit bildungsfernen, migrantischen Kindern und Jugendlichen machen. Das würde zumindest die Gefahr reduzieren, die Tapeten dieser Welt mit derartigem Müll wie oben zu verunstalten.

Die Kulturszene in Frankreich weiß, was auf sie zukommt.

29.06.2024 – Dänen lügen nicht? Rache für 1864!

Tools der Titanen. Ich hab mal reingeblättert und bin vor Neid erbleicht. Damit verdient der Mann echtes Geld. Mit einer Aneinanderreihung von Kalendersprüchen, Binsenweisheiten und hohlen Phrasen auf niedrigstem Sprachniveau. Was mache ich bloß falsch? Ich sollte hier doch Werbung schalten. Aber erst, wenn König Fußball nicht mehr die Welt regiert

Und wieder rollt das runde Leder,

daran erfreut sich fast ein jeder.

Ich hingegen lachte mich halb scheckig,

wär das Leder eckig.

Soviel zur Bewahrung des Begriffs „sich scheckiglachen“.

Und immer wieder grätscht die böse Politik dazwischen. Nicht in Erinnerung (wegen Schland gegen Dänemark heute Abend) an den Deutsch- Dänischen Krieg von 1864 . Dessen Folgen waren verheerend genug, war er doch – und keinesfalls der Sieg der Ostgoten über den Franzmann 1870/71, der war nur der Auslöser – die Initialzündung zur Gründung des deutschen Reiches von 1871. Und so mit verantwortlich für die darauffolgenden Weltkriege. Insofern hoffe ich aus tiefster Seele, dass dem Dänen heute Abend die Revanche für 1864 gelingt!

Nein, die böse Politik grätscht in Form der schrecklichen Biden-Bilder vom Duell mit Trump gestern dazwischen. Ein Tattergreis, im Bereich zwischen Senilität und Debilität, ich konnte selbst Ausschnitte nicht ertragen. Von was für Lemuren werden wir regiert. In Italien eine faschistische Mussolini-Verehrerin, in Frankreich ein unzurechnungsfähiger Egomane mit mangelhafter Impulskontrolle, in England ein abgehobener Milliardär, umgeben von einer Horde intriganter Narren und schlecht frisierter Halbidioten, da ist ja eine politische Nulllösung wie Olaf Scholz noch eine Lichtgestalt! Und das waren nur die noch (!) halbwegs stabilen Demokratien. Im Rest der Welt vollendete oder habituelle Faschisten und Diktatoren.

Man möchte nur weg, in eine andere Welt. Die von nüchternen Naturwissenschaftlerinnen regiert wird. Den besseren Menschen. Ich sehne mich immer noch nach ihr. Angela Merkel. Scheißpolitik, aber tolle Frau. Der musste ein Drosten die Pandemie und deren Folgen damals nicht erklären. Und wie die eiskalt alle Machos um sich abserviert und in den Staub getreten hat. Was hat Merz unter ihr gelitten. So schön. Das hat Shakespearesche Dimensionen.

Neulich sah ich sie in ihrem Stammlokal, dem Cassambalis in der Grolmannstrasse. Ein Grieche! Im tiefsten Westen von Berlin, am Kudamm. Fernab von all den Schickimicki-Edelitalienern in Berlin-Mitte oder Prenzlau, wo die eitle Berlin-Posse rumstolziert. Ein grauenhaftes Pack, so absolut inferior und unter meinem Niveau.

Mein Herz entbrannte an jenem lauen Abend in jäher Zuneigung zu Angela und für einen Moment überlegte ich, sie um ein Date zu bitten. War mir dann doch zu blöd. Man soll sich seine Illusionen nicht durch die Realität zerstören lassen

25.06.2024 – Mit den Mitteln des Rechtsstaates die Demokratie beerdigen

Aus der SCHUPPEN 68-Serie „Praktisch & Patriotisch“: Toilettenpapier, schwarz rot gold, mit aufgedrucktem Fußballsymbol, in jedem gutsortierten Fanartikelgeschäft erhältlich.

Neues nicht nur für die Fanmeile sondern auch vom Rechtsstaat:

Nazi-Parolen zu „L’Amour toujours“ in Vorpommern nicht strafbar. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ in der Öffentlichkeit mit mehreren Leuten zu singen, ist laut Staatsanwaltschaft Neubrandenburg von Meinungsfreiheit gedeckt.

 Abgesehen davon, dass das Gegröhle strafbare Volksverhetzung ist, verstößt die Staatsanwaltschaft damit gegen den Gedanken der Generalprävention bei Strafzumessung. Strafe soll andere abhalten, gleiches zu tun. Stattdessen werden jetzt Nazis ermutigt, weiter zu machen, die Grenzen noch weiter auszudehnen, Ausländer*innen noch mehr in Angst und Schrecken versetzt und antifaschistische Initiativen entmutigt. Im Osten geben immer mehr Initiativen gegen Rechts auf, weil der Nazidruck zu groß wird, der Staat sie im Stich lässt und die restliche Zivilgesellschaft versagt.

Die kulturelle Hegemonie von Nazis ist zumindest im Osten erreicht, die Wahlen der nächsten Jahre werden den Rest erledigen.

Ein weiteres frisches Signal vom Rechtsstaat: Das Verfahren gegen den Cum ex-Banker Olearius wird eingestellt, wegen seines Gesundheitszustandes. Der Mann ist laut Augenschein im Gerichtssaal so munter, wie es ein über 80jähriger nur sein kann und er wird ab nächster Woche sicherlich wieder auf den hanseatischen Golfplätzen anzutreffen sein. Er darf sein ergaunertes Vermögen behalten und muss keine Aussage zur Rolle von Kanzler Scholz mehr machen bei der möglichen Beihilfe zur Hinterziehung von 280 Mio. Steuern in Hamburg nur in diesem Fall

. Insgesamt geht es um zig Milliarden im Cum-ex Skandal. Eine derart riesige Gang von Verbrechern ist dort involviert, dass ein extra Gerichtsgebäude dafür gebaut werden muss. Dort wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu Tode ermittelt und zwar zu Tode der Angeklagten, die irgendwann friedlich an Altersschwäche sterben, und des Verfahrens, hochbezahlte Spezialisten-Gangs von Winkeladvokaten und korrupten Ärzten werden dafür sorgen.

Das Signal, dass der Rechtsstaat hier aussendet, ist verheerend und ein weiterer Sargnagel für die Demokratie: wer genug Geld hat, kann sich aus allem rauskaufen mit Verfahrenstricks und Gefälligkeitsgutachten, und Mitschuldige in der Politik bleiben unbehelligt. Das fördert den Hass des faschistischen Mobs auf die Eliten, die da oben, auf die Demokratie grundsätzlich, erodiert den Rechtsstaat und sendet Signale an Nachfolgetäter: wir kommen mit allem durch.

Das Verfahren zeigt aber auch, wie fließend die Grenze zwischen illegaler Ausplünderung des Staates ist, siehe cum ex, und legaler Ausplünderung, bei der mittels neoliberaler Steuerpolitik der Sozialstaat ausgeraubt wird und die Reichen noch reicher gemacht werden. Und da glauben die Narren im Mainstreamschiff von Politik, Medien und Gesellschaft allen Ernstes, die Demokratie sei irgendwie noch retten. Hat was von Karneval, was gerade abgeht. Und nach dem Rausch kommt der Kater.

23.06.2024 – Profitopolis oder der Zustand der Stadt

Modell der Großwohnsiedlung Kottbusser Tor, Kreuzberg. Ausstellung im Museum der Dinge, Werkbund Archiv, in Berlin: Profitopolis oder der Zustand der Stadt . Hinter den Fenstern laufen kleine Videoanimationen ….

Hervorgehoben werden zwei im Kontext des Werkbunds entstandene „Profitopolis“-Ausstellungen aus den 1970er Jahren. Sie veranschaulichen, dass das Gestalten von Stadt politisch ist. Sie rufen zur Bürgerinitiative auf und kritisieren Bodenspekulation ebenso wie die autogerechte Stadt und den rücksichtslosen Umgang mit historischer Bausubstanz und Stadtnatur.

Wie relevant diese Kritik noch heute ist, offenbart der Blick auf den Stadtraum zwischen altem und neuem Museumsstandort: Die Ausstellung unternimmt einen kritischen Streifzug zwischen Kottbusser Tor und Spittelmarkt und verortet Diskurse, Initiativen und künstlerische Positionen zur gegenwärtigen Stadt. Aus dem alten Standort in der Oranienstr., dem Zentrum von SO 36, wurde das Museum der Dinge von einem Investor gekündigt

Für Zustand und Zukunft einer Gesellschaft lebenswichtig: Die Wohnfrage.  Das verbindet diese sehenswerte Ausstellung mit der im Kunstraum Bethanien „Aus der Krankheit eine Waffe machen“ (siehe letzter Blog): Beide thematisieren mit ästhetischen Mitteln politische Fragen menschenwürdiger Existenz. Beide sind parteiisch, sie stehen auf der Seite der Betroffenen, beide greifen auf Erfahrungen und Ästhetiken der 70er zurück, beide finden nicht zufällig in Kreuzberg statt und beide rufen über die rein ästhetisch-abbildende, museale Funktion ihrer Ausstellungen hinaus zum Handeln, Eingreifen, Gegenwehr auf. Sowas kann bei entsprechenden politischen und gesellschaftlichen Konstellationen auf Grund der Abhängigkeit von Fördermitteln auch schon mal ans Eingemachte gehen. Über das Bethanien fegte angesichts der Ausstellung „Werbepause – the art of subvertising“ 2022 ein politischer und medialer Shitstorm, weil in bestimmten Ausstellungsobjekten zu illegalen Handlungen aufgerufen wurde (Politisches Umkleben von Werbung im öffentlichen Raum).

Beide Museen und ihre Projekte also hochpolitisch, ästhetisch auf der Höhe der Zeit und unbequem. Zusammen mit vielen anderen Kulturorten in Berlin also eine vollkommen andere Situation als in einer Provinz wie Hannover, die sich durch eine entpolitisierte, verschnarchte, ästhetisch verstaubte und abgehängte Kulturszene auszeichnet.

Dazu passt folgende aktuelle Meldung: „Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sieht bei der Kulturszene eine Mitschuld am Wahlerfolg der rechten Parteien. Das schreibt er im Vorwort zur neuen Ausgabe der Zeitung „Politik & Kultur“, die der Kulturrat in regelmäßigem Abstand herausgibt. Zum einen würden viele Kulturorte nicht die Breite der Bevölkerung erreichen. Zum anderen sei der Kulturbereich zu sehr mit sich und seinen eigenen Befindlichkeiten beschäftigt. Olaf Zimmermann fordert einen stärkeren Fokus auf politische Themen. Anstatt sich mit der Frage zu befassen, wie man sich aktuell fühle, sollte es darum gehen, was gerade warum in unserer Gesellschaft passiert.

Dem kann ich aus eigener Erfahrung und Beobachtung zu 115 Prozent zustimmen. Die Kulturszene sieht ungefähr so aus: Selbstmitleidiges Jammern, Symbolästhetik, ständiges Kreisen um Identitätsdiskurse wie Diversität, Gender, Dekolonisierung, Körper etc., in Begleittexten ein vollkommen abgehobenes Blabla und Geschwafel, eine reine Eitelkeitsspielwiese für eine Vernissagen-Schickeria, die qua Amt und Einfluss dafür sorgt, dass derartige Alltagsverschönerungsfassadenkunst mit gigantischen Fördermitteln gepampert wird.

Während draußen, im realen Leben, der Faschismus auf dem Vormarsch ist und die Gesellschaft außerhalb privilegierter Provinzen wie Hannover und Kulturbolschewisten-Biotopen wie Berlin-Mitte oder Prenzlau allmählich zerbricht.

Wenn sich die Kulturbolschewisten da mal nicht täuschen und das Dienstleistungsprekariat, das jetzt noch ihnen den Arsch abwischt und auf Vernissagen die Messer vorlegt, nicht jene mal zu einem anderen Zwecke nutzt als dem Zerteilen von Fingerfood. Zum Beispiel, weil besagtes Prekariat sich keine Krankenversicherung oder selbst die Miete in sozialen Brennpunkten nicht mehr leisten kann.

Wenn die Kultur nicht zum Prekariat geht, zu deren Orten, mit deren Themen, Partei ergreift, sich engagiert, Widerstand auch auf der Straße mitorganisiert, dann kommt das Prekariat eines Tages zur Kultur. Und wenn die Glück hat, geht es im ersten Ansatz nur darum geht, dass die AfD dort, wo sie die Macht und kulturelle Hegemonie erringt, die Fördermittel streicht und für den Verlust von Jobs und Einkommen sorgt.

Für das, was danach kommt, empfehle ich die Anstrengung des wichtigsten Kulturrohstoffes: Phantasie.

20.06.2024 – Aus der Krankheit eine Waffe machen

Im Kunstraum Kreuzberg

im Bethanien am Mariannenplatz läuft die sehr feine Ausstellung „Aus der Krankheit eine Waffe machen“, mit tollen Objekten und Installationen. Sie basiert auf dem gleichnamigen Buch des Sozialistischen Patientenkollektivs SPK von 1972, mit einem Vorwort von Jean-Paul Sartre.

Als Reaktion auf diskriminierende Strukturen des Gesundheitssystems wollte das Sozialistische Patientenkollektiv im Jahr 1972 die Krankheit zur Waffe machen. Der Gruppe ging es darum, Krankheit nicht als etwas Individuelles, allein zu Bewältigendes darzustellen, sondern den komplexen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Missständen und strukturellen Ungleichheiten aufzuzeigen.

Der Nierenstein als Waffe, so hätte meine Installation für die Ausstellung ausgesehen. Aber sie ist auch so sehenswert. Und für lau. Für Nachgeborene lesen sich solche Geschichte vermutlich wie Peterchens Mondfahrt. Umso verdienstvoller, dass sie im archivarischen Teil der Ausstellung dokumentiert ist. Ob je wieder an eine, bei allen Irrungen und Wirrungen, derartig emanzipatorische gesellschaftliche Entwicklungen angeknüpft werden kann, bleibt zu hoffen, steht aber in den Sternen. Womit ich nicht den Astrologie-Hokuspokus meine, sondern die Fortführung jenes Star Wars , den Ronald Reagan in den 80ern losgetreten hatte, um die Sowjetunion totzurüsten. Was ja dann auch geklappt hat.

Aktuell sieht der Rüstungswettlauf so aus: Insgesamt werden die derzeit 32 NATO-Staaten nach jüngsten Schätzungen im Jahr 2024 rund 1,5 Billionen US-Dollar (etwa 1,4 Billionen Euro) für Verteidigung ausgeben. Die Inflation und Wechselkursschwankungen herausgerechnet, würde dies im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg um 10,9 Prozent entsprechen. Die europäischen Alliierten und Kanada allein würden den Angaben zufolge sogar auf ein Plus von 17,9 Prozent kommen.

Das Ganze ist ein dynamischer Prozess, die Ausgaben werden extrem steigen. So wie die Aktienkurse der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Hensoldt, der von Rheinmetall ist in den letzten 3 Jahren um fast 500 Prozent „explodiert“.

Wie das finanziert wird, ist klar wie Kloßbrühe: Kürzungen im Sozialbereich. Bei Flüchtlingen wird zur Zeit das durchexerziert, was später an den eingeborenen Kartoffel-Volksgenossen exekutiert wird: Gnadenlose Härte, Kürzungen, Entrechtung, Abschiebungen auch dahin, wo der Tod droht. Der Grieche macht an der EU-Außengrenze schon jetzt kurzen Prozess und schmeißt Flüchtlinge einfach ins Meer.

 Aus dem Irrglauben, dass das Kapital und seine Agenten ihn verschonen werden, wenn er nur bindungslos „Ausländer raus“ brüllt, wird der Angehörige des hiesigen Prekariats und AfD-Wähler spätestens nach der nächsten Bundestagswahl böse erwachen.

Aber wie gesagt: Schöne Ausstellung, sollten Sie, liebe Leserinnen, sich unbedingt anschauen, zumal hier auch feministische Aspekte deutlich vertreten sind.

SCHOKOFABRIK, Frauenzentrum, Originalschild aus den 70ern

Widersprüche: Kinderklinik vs. Künstlerzentrum.

Und der ganze Esoterikquark, der sich aus der gescheiterten emanzipatorischen Post68-Bewegung entwickelte, ist da auch schon als Anti-Medizinansatz vertreten. Bei Vollmond mit Quark einschmieren und so Zeug.

19.06.2024 – Mehr Waffen. Kürzen bei den Armen.

Großwohnsiedlung High-Deck, Berlin-Neukölln, Sonnenstraße. Aus der Siedlung stammt das medial weit verbreitete Bild des brennenden Busses nach Sylvesterkrawallen. Menschen sind in der Siedlung auf die hier sichtbare zweite Ebene verbannt, die erste ist für Autos, damit die schnell rein und rauskommen. Ein Bau aus den 70ern, als Viergeschosser ein Nachfolgekonzept der gescheiterten Hochhauskonstruktionen wie Märkisches Viertel, Gropiusstadt, Ihmezentrum in Hannover, in jeder Großstadt zu finden. Auch dieses High-Deck Konzept gilt als gescheitert. Hoher Migrationsanteil, die Hälfte im Transferleistungsbezug, mangelhafte Infrastruktur, den Mythos High-Deck im Kopf habend, fühlte ich mich bei meiner Exkursion da unbehaglich, beklommen. Ich bekam die ganze Zeit nicht eine Menschenseele zu Gesicht, über allem lag ein gespenstisches Schweigen. Flanieren, Stadtexcursionen, all das hat immer auch über das reine Gehen hinaus eine körperlich-sinnliche Dimension. Was tun mit dem Beton, und den Menschen? Umsiedeln, in Einfamilienhäuschen, Beton sprengen und Park dahin?

Das Problem bei allen Konzepten des Städtebaus: Hier trifft das Grundrecht auf menschenwürdiges, bezahlbares Wohnen auf Profitinteresse des Kapitals. Das ist ein unauflösbarer Widerspruch, wie wir an der Entwicklung des Wohnens der letzten Jahre sehen. Das Scheitern liegt in der Struktur.

Scheitern ist relativ, da tobt kein Bürgerkrieg. Die Menschen dort fühlen sich wohl, wollen kaum weg, Zitat: „ …. Insgesamt sind die Konflikte eher im Bereich weicher Faktoren angesiedelt und nicht im Bereich krimineller Delikte, von einer sichtbaren Ghettoisierung kann nach Haberle keine Rede sein. Vandalismus oder Graffiti waren 2002 nicht sichtbar und zumindest tagsüber herrschte unter den Bewohnern kein vordergründiges Unsicherheitsgefühl…“

Das fällt mir in Berlin extrem auf: Milliarden Graffiti in Kreuzberg und Friedrichshain, zur Peripherie hin kaum was bis teilweise nichts, da, wo es nötig und angebracht wäre.

Mitglieder aus dem Widerstand gegen das Märkische Viertel landeten übrigens in den 70ern bei der RAF. Der Wohnfrage wohnt immer existentielles, extremes inne.

Meine private Excursion im High-Deck steht im Schnittpunkt mit den aktuellen Haushaltsberatungen (kleiner mach ich es nicht). Lindner sagt ganz klar: Mehr Waffen, kürzen bei den Armen, im Sozialbereich. Das hat mehrere praktische Dimensionen: Die Rüstungsindustrie boomt, das sind zusätzliche Anlagemöglichkeiten für Reiche, neben denen bei Staatsanleihen. Die Armen werden diszipliniert und als Kanonenfutter rekrutiert, wer arm ist, nimmt zur Not auch Jobs mit tödlichem Risiko wie beim Bund. Und Aufrüstung nach Außen kann auch nach Innen instrumentalisiert werden, falls den Armen doch mal die Geduld reißt und Riots auch hier zunehmen.

Also All-in bei Waffen. Die Nato hat 2023 1.341 Milliarden US-Dollar für Waffen ausgegeben, das Zwölffache von Russland mit 109 Milliarden. Das Nato-Konzept des Todrüstens des Gegners hat ja schon mal erfolgreich funktioniert, als das böse Reich im Osten 89 mit einem Wimmern implodierte. Es hätte auch mit einem Bang explodieren können, darüber wurden damals keine Wetten angenommen.

Aber vielleicht klappt das mit dem Bang ja beim zweiten Versuch des Todrüstens

15.06.2024 – Das perfekte Timing der EM

Japanische Volksmusik. Konzert gestern vor dem Leydicke. Das Banjoähnliche Instrument ist ein japanisches Shamisen. Das Leydicke ist eine Berliner Kneipenlegende, Weinbrennerei seit 1877. Der jetzige Inhaber Raimon, die vierte Generation, ist gelernter Destillateur und brennt den besten Himbeergeist des Universums.

Raimon, der Herr im Jürgen von der Lippe-Shirt rechts, ist ein Entertainer von hohen Gnaden und speziell… Unter seinem Patronat tagt die DKP-Ortsgruppe Schöneberg im Leydicke, er richtet um die Ecke einen Nachbarschaftsgarten ein, veranstaltet Konzerte mit Musikerinnen aus aller Frauen Länder und Russland hat in ihm einen sehr treuen Freund. Wenn die Rede auf den Ukraine Krieg kommt, können einem schon mal die Ohren bluten. Im Leydicke zu sitzen ist eine melancholische Zeitreise in die 70er und 80er, auf allen Ebenen. Wermut und Wehmut, gepaart mit Lebensfreude und edelsten Bränden, in einer überaus charmanten Gegend mit schmucken Altbauten und Graffiti-übersäten ehemals besetzten Häusern, aus denen sich mitunter Jungrevolluzer im Leydicke einfinden zum Schnack mit Ernst Thälmann-Lederbejackten Altgenossinnen von der DKP.

Dieser Rückblick versöhnt mich mit meiner gestern geplatzten EM Wette. Von wegen die Ostgoten fliegen in der Vorrunde raus. Die werden eher Europameister… Hat auch was Gutes, so kann ich mich auf die soziokulturellen Aspekte des Ledergetretes konzentrieren.

Die EM hat ja ein perfektes Timing. Sie übertüncht das gerade stattgefundene Demokratiedesaster der EU Wahl und leitet direkt in die sedierende Sommerpause über. Die mit dem Paukenschlag eines faschistischen Wahlerfolges bei den Wahlen im September beendet wird.

14.06.2024 – Ein paar Kroaten und Spanier, die sich vor dem Adlon warmgrölen

Ich sitze gerade in der Akademie der Künste, mit direktem Blick auf das Brandenburger Tor. Ich sitze hier, weil es draußen regnet und mein Rucksack hier im Schließfach ist, mit der Regenjacke. Rucksäcke sind auf der Fanmeile verboten. Ich bin vielleicht blöd, aber weiß mir zu helfen und deshalb hock ich jetzt hier. Der Regen dauert noch ne Stunde , bei dem Wetter geh ich nicht auf die Fanmeile, da kann ich genauso gut Blog schreiben. Und mich korrigieren, was gestern angeht, wo ich geschrieben habe, die Nation sei jetzt zur EM im Ausnahmezustand. Das ist natürlich Blödsinn, reine Projektion, hat nichts mit Wahrnehmung und Realität zu tun. Kein Mensch glaubt an ein Sommermärchen 2.0, niemand flippt hier aus, bis auf ein paar Kroaten und Spanier, die sich vor dem Adlon warmgrölen. Ein paar Schotten im Rock; und die beiden Kumpels oben musste ich schon suchen. Außerhalb der Zonen um Reichstag und Brandenburger Tor kriegt man von dem blöden Ledergetrete nichts mit. Es ist Krise, Dauerkrise, und die Leute haben anderes im Kopf als ein medial zwanghaft konstruiertes Sommermärchen zu hampeln. Ich geh jetzt n Wein an der Bar hier saufen und hoffe, dass nachher vor dem Reichstag keine Woodstock Schlammschlacht herrscht.

13.06.2024 – Neues aus der Fanzone

Der Kunstrasen vor dem Brandenburger Tor in der Fanzone

Man kann die Fussball EM herbeisehnen, sie ignorieren oder für überflüssig halten, so wie ich, aber eins kann man nicht: Leugnen, dass das ein gesellschaftliches Grossereignis ist, wie es nur alle Jubeljahre stattfindet. Milliarden Umsätze, Millionen Menschen, Hunderttausende in den Fanzonen, ganze Städte werden ummöbliert, die Republik ist für einen Monat im Ausnahme Zustand und ihre Hauptstadt ganz besonders.

Natürlich ist das alles ätzend, die Preise auf der Fanmeile grotesk, Currywurst mit Pommes 11 Euro und die zu erwartenden Gröhl-, Kotz- und Prügelorgien spotten jedem kulturellen Mindestmaß. Fussball, Sport der einfachen Leute? Ach, wenn die Leute den einfach mal ignorieren würden, wäre der Spuk im Handumdrehen erledigt und die Currywurst gäbe es für zweifummsich.

Aber dieses Grossereignis einfach zu ignorieren, wäre naiv und fahrlässig und daher treibe ich mich gerade auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor rum und döse auf dem Moosweichen, Strandwarmen Kunstrasen. Ein herrliches Gefühl, es ist leer hier und ein einzigartiger Anblick

Es ist der utopische Blick, den dieses Objekt in eine bessere Welt wirft, in eine Stadt, die von Autos befreit ist. Eine Stadt, die der Ruhe, der Entschleunigung, der Muße, der Begegnung dient, also dem Individuum und nicht dem Auto. Hier, wo sonst zehntausende stinkende Blechlawinen jeden Tag die Stadt zu einem Unort machen, wird für einen Moment ein Blick in eine Utopie jenseits des Kapitalismus aufgemacht.

Deshalb hat ein Dummkopf wie Jens Spahn ausnahmsweise mal was begriffen, als er dieses Environment kritisierte, und auf das Tempelhofer Feld wünschte. Er ahnt, dass sowas ein Sehnen, ein gefährliches Begehren in den Menschen freisetzen kann.

Und genau aus diesen Zusammenhängen halte ich diese Installation, hier in der Wärme der Fanmeile, für bedeutsamer als die Christo Verhüllung des Reichstages. Sie ist ein erfahrungsgesättigter Ermöglichungsraum.

Aber gefährlich ist sie nicht, da braucht der Dummkopf keine Angst zu haben, da ist die Currywurst vor. Anschläge sind hier allerdings leicht umsetzbar. Ich mach mich dann mal vom Acker und halte Sie auf dem Laufenden.