27.10.2024 – Was wäre, wenn …?

Frankfurt, Skyline.

Eine der schönsten Fragen, die wir uns in Mußestunden stellen können, und die Thema zahlreicher Filme, Bücher etc. ist, lautet: Was wäre, wenn …?

Beim Flanieren durch Frankfurt (Dank für die vorzügliche Führung an Chris. War Welt!) ging mir durch den Kopf, was wohl aus Berlin geworden wären, wenn Frankfurt heute Hauptstadt wäre.

Dazu ein Blick in den Rückspiegel: Die Abstimmung zwischen diesem unsäglichen Provinzkaff Bonn und Berlin als Hauptstadt nach der Annexion der Ostzone war denkbar knapp, mit 338 zu 320 Stimmen für Berlin.

Ursprünglich sollte nach dem Krieg statt Bonn natürlich Frankfurt Hauptstadt der BRD werden. Berlin kam damals auf Grund des Viermächte-Status nicht in Frage. Frankfurt war zentral gelegen und hatte, was Bonn nicht hatte: Mit der Paulskirche das demokratische Symbol der BRD schlechthin, eine vielfältige Kultur- und Wirtschaftstradition und eine halbwegs funktionierende städtische Infrastruktur.

Da der damalige Bundeskanzler Adenauer aber keine Lust auf die weiten Reisen nach Frankfurt hatte (er wohnte in der Nähe von Bonn und war damals schon fast 100), wurde die vorhandene parlamentarische Mehrheit für Frankfurt durch Lügen, Intrigen und Bestechung umgedreht. An hundert Abgeordnete flossen insgesamt 2 Millionen DM. Sehr, sehr schön und regelrecht erhaben in seiner filigranen Dreistigkeit ist der Satz im Wikipedia-Eintrag dazu: „Wie das die Abstimmung tatsächlich beeinflusste, ist nicht bekannt.“

Dann ist ja alles gut. Was in der damaligen Ostzone zu jener Zeit der stalinistische Druck besorgte, regelte bei „uns“ in der BRD der diskrete Charme des Bestechungsgeldes. Weshalb unser System dem anderen überlegen war.

Im Eintrag des Bundestages über die Hauptstadtfrage findet sich zu dieser Angelegenheit übrigens kein Wort . Nichts gesagt ist auch gelogen.

Normalerweise wäre also Frankfurt Hauptstadt der BRD geworden. Und es auch geblieben. Mittlerweile war es eines der Finanzzentren der „freien“ Welt geworden, eine bunte Metropole, mit perfekter Infrastruktur, der größte Flughafen der BRD, immer noch zentral gelegen, und keinesfalls wie Berlin der drohende Vorposten eines möglichen Wiedererstarken des preußischen Militarismus, gegen den Osten. Soviel Bestechungsgeld hätten die paar Berliner Hanseln und Greteln gar nicht zahlen können, um die völlig verrotteten Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte und das Türkenghetto Kreuzberg zur Hauptstadt der Republik zu machen. Was ja auch mit einem gigantischen Kosten- und Bauaufwand verbunden wäre: Der Hauptbahnhof, der BER, das Regierungsviertel, die Unterkünfte für das politische Personal und jahrzehntelang müsste man die Mainstream-Kulturszene (Drei Opern!) pampern, damit die Hauptstadt der Welt etwas anderes zeigen kann als die verrottete Punk- und Tekknoszene der Nachkommen der Bundeswehrflüchtlinge.

Frankfurt also. Heute sicher eine Millionenstadt, urbanisiert bis in die Höhen des Taunus, noch unbezahlbarer als ohnehin, als Finanzzentrum noch vor London und eine gigantische Skyline am Main.

Und Berlin? Einfach wunderbar. Bezahlbare Mieten, überall noch Spuren des zweiten Weltkriegs, Brachland am Potsdamer Platz, das Regierungsviertel unbeseelt, Mitte, Prenzlau und Fuckhain dämmern vor sich hin, mein Bergmannstrassen-Kiez wäre eine halbwegs ruhige Chillzone für die Locals, und SO 36 würde nicht überflutet von saufenden, kotzenden Billigflieger-Prolls aus aller Welt.

 Und ich würde mit ein paar Gleichgesinnten im Hades, dem türkischen Imbiss in unserem Haus, radikale Alternativkultur aushecken.

Es ist, wie es ist. Was soll’s. Muss ja.

25.10.2024 – Anlageberatung für vermögende Leserinnen

SCHUPPEN 68-Aktion zum Ihmezentrum, seit Jahrzehnten Spekulationsobjekt diverser Gauner und Halunken, zuletzt von Lars Windhorst. Den Begriff Heuschrecke würde ich heute nicht mehr verwenden, da er als antisemitisch verstanden werden kann. Details zur damaligen Heuschreckendebatte hier.  Das Hausverbot damals wurde von finsteren Security-Schergen überwacht, die in mir jeden Anflug von zivilem Widerstand im Keim erstickten

Man lernt halt nie aus. Was aber lernt uns die derzeitige ökonomische Situation in Bezug auf ihre politischen Auswirkungen? Da bin ich etwas ratlos. Fangen wir mal normal an. Der Goldpreis schwingt sich von einem Allzeit-Hoch zum nächsten, allein im letzten Jahr hat er um 40 % zugelegt. . Normal, Gold ist eine Krisenanlage und wir leben im Zeitalter von Polykrisen, kein Ende abzusehen. Wenn Kriege, Seuchen, Katastrophen, Inflationen herrschen und Aktienkurse und Immobilienpreise einbrechen, flüchtet alle Welt (na ja, die, die Kohle hat) in Gold. Gold wird immer einen Wert haben, weil es einen Mythos hat, über den globale Übereinkunft herrscht, und es ist als materieller Wert nicht beliebig vermehrbar. Bisher galt eine Regel: Wenn die Wirtschaft brummt, steigen die Aktienkurse und der Goldpreis sinkt. Und umgekehrt. Diesem Gesetz zufolge müssten die Aktienkurse seit einem Jahr im Sinkflug sein. Und was macht der DAX, der Deutsche Aktien Index? Schwingt sich seit einem Jahr von einem Allzeit-Hoch zum nächsten. Hat allein im letzten Jahr um 30 % zugelegt. So ein Frechdax. Hält sich nicht an die Regeln.

Das ist eine blödsinnige Formulierung. Es gilt das oberste Gebot des Kapitalismus: Der Markt hat immer recht. Also folgt der DAX einer, wenn auch spekulativen, Gesetzmäßigkeit. Aber welcher? Die Wirtschaft ist im Keller, wir haben Rezession, Massenentlassungen, Firmen wandern ab, Auftragseingänge brechen ein, die Stimmung ist verheerend (nicht bei denen, die Gold besitzen!), die Politik ist in einem schrecklichen Zustand und die einzig realistische Perspektive, Zukunftsaussicht: Schlimmer geht immer. Da sich der DAX-Kurs nicht aus der gegenwärtigen oder gar vergangenen ökonomischen Situation ergibt, sondern immer aus den Zukunftsaussichten der Unternehmen, bin ich etwas ratlos. Weiß der DAX etwas, das ich nicht weiß?

Dem DAX geht es ausschließlich um die Gewinne der Konzerne, für die gesellschaftliche Situation ist er ebenso blind wie für die Konsequenzen am Arbeitsmarkt oder die Arbeitsbedingungen, hier oder weltweit. Wer es mit Moral hat, soll in die Kirche gehen.

Also ist die einzige Erklärung, die ich für den bisherigen Kurs des DAX habe: Der Markt schätzt die Profitaussichten der Konzerne trotz Krisenzeiten gut bis blendend ein. Digitalisierung, Rationalisierung, Senkung der Lohnkosten durch Massenentlassungen, erwartete Steuersenkungen, erhöhte staatliche Subventionen, Abbau von Sozialleistungen und Lohnnebenkosten und – über allem: verstärkter Einsatz von KI, ein vermutlich monströser Arbeitsplatz-Vernichter und extremer Profitbooster.  Das alles scheint (!) den DAX zu beflügeln.

Aber sicher bin ich mir da auch nicht. Ich bin ja nicht der Markt. Nur bei einem bin ich mir ziemlich sicher: Wenn sich die Anzeichen für eine Wiederkehr der Massenarbeitslosigkeit weiter verdichten, wird das ein massiver Treiber für Faschismus. Siehe 1929 bis 1933/45. Was dem Markt moralisch egal ist. Siehe Aktie der Waffenschmiede Rheinmetall, die sich in nur einem Jahr fast verdoppelt hat. Wer Rheinmetall im Portfolio hat, kann sich glücklich schätzen. Sonniges Wochenende, liebe Leserinnen und Portfoliobesitzerinnen.

24.10.2024 – Kriegstreiberei.

Rosen im Herbst.

In München steht ein Hofbräuhaus. Und in Rostock demnächst ein Nato-Hauptquartier. Während ersteres nur ein Verbrechen gegen den guten Geschmack darstellt, ist letzteres ein Bruch des Völkerrechts und ein Akt der Kriegstreiberei. Zu den Fakten: Der Zwei plus Vier-Vertrag vom 12. September 1990 regelte die deutsche Wiedervereinigung und stellte als Ersatz für einen Friedensvertag das Ende des 2. Weltkriegs dar. Dort heißt es in § 5 : „Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands (der ehemaligen DDR, d. A.) weder stationiert noch dorthin verlegt.“

Die Installation eines Nato-Hauptquartiers mit Angehörigen von Streitkräften der Nato-Mitglieder in Rostock verstößt eklatant gegen diesen Vertrag. Das ist ein Bruch des Völkerrechts durch die Nato, wie auch schon die Luftangriffe der Nato im Jugoslawienkrieg es waren.

Putin, man kann es nicht oft genug sagen, ist ein Imperialist und gehört vor ein Kriegsgericht, nach seinem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine. Aber so zu tun, wie es hier in breiten Teilen der veröffentlichten Meinung geschieht, als sei auf der Gegenseite die Nato eine Mischung aus Caritas und Greenpeace, mit einer Generalsekretärin Mutter Teresa und die Speerspitze der Friedensbewegung, ist eine Mischung aus Dummheit und Zynismus.

Je mehr ich von dieser Wagenknecht Truppe BSW, dieser Wiedergeburt leninistischer Kaderparteien, mitkriege, desto unsympathischer wird die mir. Aber in Sachen Frieden haben die recht. Seit dem Scheitern der Istanbul-Gespräche, mitverschuldet von Mitgliedern der Nato, vorneweg der unzurechnungsfähige Politclown Boris Johnson,  torpediert die Nato dringend notwendige Initiativen für einen Frieden in der Ukraine und forciert stattdessen die Konfrontation, siehe Rostock und die geplante Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland. Eine Stationierung hinter der Elbe wäre übrigens ein weiterer Bruch des Völkerrechts.

Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte. Es war nach der Wiedervereinigung völlig unstrittig, dass sich die Nato nicht nach Osten erweitern dürfe. Zitat:

„ … hat Genscher am 31. Januar 1990 in einer großen Rede bei der prominent besetzten Veranstaltung zur Zukunft der beiden Deutschlands, u. a. mit Willy Brandt und Günter Grass,[91] in der Evangelischen Akademie Tutzing beispielsweise von der NATO gefordert: „Sache der NATO ist es, eindeutig zu erklären: Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht zu einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen.“[92]

Seit Jahren nun aber steht die Nato, auch das ein Bruch völkerrechtlicher Verfahrensweisen, an den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion.

Man muss Putin nicht mögen, aber zumindest versuchen ihn zu verstehen, sollte man schon. Wer das nicht tut, muss sich fragen lassen, was für ein Interesse er vertritt. Fazit: Der Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist auch bei uns wieder ein Stück näher gerückt nach Rostock. Schritt für Schritt ….

 Gegen die Stationierung amerikanischer Pershing 2 Raketen demonstrierten in der BRD in den Achtzigern Millionen. Ich bin gespannt, wie viele es dieses Mal werden, wenn es soweit ist. Ein paar Tausend vermutlich. Was tröstend bleibt, ist der Anblick und Geruch von Rosen, die immer noch üppig aufblühen. Ich glaube, die Menschwerdung war erst in dem Moment abgeschlossen, als der erste Mensch lernte, die Schönheit einer Rose zu genießen. Von da ging’s bergab….

22.10.2024 – Armut, Medien und Eitelkeiten

Kegel-Aktion gegen Sparpolitik, Landesarmutskonferenz Niedersachsen in der City von Hannover, zum Weltarmutstag am 17.10. Details hier in der dpa Meldung bei der Süddeutschen.

Die Aktion war gegen 14 Uhr beendet. Die Meldung ging via dpa bundesweit um 14.24 Uhr viral. Im Foto oben rechts ist der dpa Fotograf zu sehen, wie er während der Aktion seine Fotos per Handy an die dpa-Redaktion schickt. Der Text dort war auf Basis unserer PM vom 11.10.2024 vorformuliert. Text und Foto wurden dann noch während unserer Aktionen an alle Redaktionen bundesweit gemailt.

Die übernehmen das, je nach Interesse, direkt und unbearbeitet aus dem dpa-News-Kanal. Deshalb ist der Goldstandard einer Pressemitteilung, sie so zu formulieren, dass sie bei der dpa, der Deutschen Presse-Agentur, auf Interesse stößt. Gleiches gilt für den epd, den Evangelischen Presse-Dienst, der der Thematik der Landesarmutskonferenz mit am nächsten steht. Der hatte bereits am 11.10 auf die Aktion hingewiesen

Wenn andere Medien noch größeres Interesse haben und die Aktion nach guten Bildern und Erzählungen aussieht, schicken sie eigene Vertreter*innen, wie oben in der Bild-Mitte rtl und links SAT 1 mit ihren Kamerateams. Hier der Film. Wenn Sie, liebe, Leserinnen, also für ein Anliegen via Medien werben wollen und auf einen Schlag damit Millionen erreichen wollen, erzählen Sie eine gute Geschichten und produzieren starke Bilder, die Ihr Anliegen sofort auf den Punkt bringen. Ob das was nützt, ist eine andere Frage. Aber erfolgversprechender als ein Info-Tisch mit Hundert Büchern und Millionen Flugis ist es allemal.

Es war also alles wie üblich in den letzten Jahren am Weltarmutstag, Aktion, Medien, auch der Sozialminister war gezwungen, öffentlich Stellung zum Thema zu beziehen. Er war nach besten Kräften bemüht ….

Eins war anders

Ich war nur im Hintergrund. Das erste Mal war mein Nachfolger verantwortlich. Hat er excellent gemacht, er hat ja auch den besten Coach der Welt…. Ich war gespannt, wie sich das für mich anfühlen würde, das erste Mal, dass ein anderer bei sowas sein Gesicht in die Kameras der Welt hält. Ich schätze den Rummel mit Medien durchaus – und das ist noch untertrieben. Beruhigt stellte ich fest, dass sich meine Eitelkeit auf ein Normalmaß reduziert hat. Es war mir egal, dass ich nicht den Welterklärer spiele. Hauptsache, Fabian, mein Nachfolger, macht es gut. Und das macht er. Da spielt natürlich auch eine Rolle, dass wir befreundet sind und auch so zusammen abhängen, obwohl uns Jahrzehnte trennen. Ich vermute, einen Idioten hätte ich von der Kamera weg gemobbt, nach dem Motto: „Von Dir Loser lasse ich mir mein Lebenswerk nicht kaputtmachen“.

Bei aller Egowahrnehmung aus gegebenem Anlass hatte ich aber vor Ort den Blick nach außen nicht ausgeschaltet. Wir stehen dort immer am gleichen Ort, direkt neben einem Abfallbehälter. Früher kamen während einer Aktion immer zwei, drei Leute vorbei und durchsuchten den. Mittlerweile ist das ein steter Strom, einer nach der anderen …. Vielleicht sollte sich der Sozialminister mal ein, zwei Stunden dazu stellen.  Auch an den Abfallbehältern entscheidet sich die Entwicklung der Demokratie…        

19.10.2024 – Über das Prekariat oder: Wie der Schriftsteller Clemens Meyer einmal den Mond anheulte

Der sehr erdnahe Mond leuchtete neulich den Garten hell aus, fast unheimlich.

Fast unheimlich ist auch die Existenz eines riesigen Prekariats in Deutschland, einem der reichsten Länder Erde. Ein einziger Mensch, der Unternehmer Kühne, besitzt so viel Vermögen wie der gesamte Etat des Landes Niedersachsen für 2025, 44 Mrd. Euro. Wahrscheinlich hat er noch viel mehr. Nichts ist so schlecht ausgeleuchtet wie die Vermögensverhältnisse der Superreichen. Fast genauso schlecht ausgeleuchtet in Deutschland sind die Lebensbedingungen des Prekariats, das an die Stelle der Arbeiterklasse getreten ist. Mit allen politischen Konsequenzen, die auf der Tagesordnung stehen.

Rund sieben Millionen Erwerbstätige arbeiten in Deutschland in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, also zum Beispiel nicht in Vollzeit oder unbefristeter Anstellung. Das sind 20,9 Prozent der insgesamt 33,4 Millionen abhängig Beschäftigten, die in Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs, Befristung arbeiten. Und oft arm trotz Job sind. Dazu kommen noch kleine Selbstständige, die an der Armutsgrenze lavieren, und Hunderttausende Scheinselbstständige bei Lieferdiensten oder in der Fleischindustrie. Die Fleischindustrie, Schwerpunkt Schweinegürtel in Niedersachsen, gleicht einer Mafia. Dort werden die Menschen, mehrheitlich osteuropäische Arbeitssklaven, bis aufs Blut ausgebeutet (von den Tieren ganz zu schweigen) und wer dagegen seine Stimme erhebt, wird beschimpft und bedroht. Hier erreicht die „christliche“ Union noch zuverlässig absolute Mehrheiten, zum Wohle der Schweinebarone dort. Böse Zungen behaupten, in den Schlachthöfen der Gegend würden die falschen Schweine zerlegt. Nicht gerade christlich formuliert, aber der Zynismus liegt mehr in der Realität dort vor Ort als in solchen Worten.

Zum Prekariat müssen wir noch die klassischen Armen, Arbeitslose rechnen, und jene, die ein Normalarbeitsverhältnis haben und mit ihrem Niedriglohn trotzdem am Ende des Monats einen leeren Kühlschrank haben. So dass es nicht Wunder nimmt, dass ca. 40 Prozent aller Haushalte in Deutschland keine Rücklagen für eine Notsituation haben, nicht mal eine Woche überbrücken können. Zustände, von denen weder die politische Klasse noch die gutverdienenden Eliten und Funktionsträger eine Vorstellung haben. Und auch keine wollen.

Das Prekariat besitzt kein Klassenbewusstsein wie die Arbeiterklasse früher, keine politische Organisation wie z. b. eine Partei oder Interessenvertretung wie Gewerkschaften, keinen medialen Einfluss, natürlich keine Führungspersönlichkeiten, wie z. b. Klimabewegungen sie haben, keine Bündnispartner in der Zivilgesellschaft. Das, was das Prekariat hat, ist Hoffnungslosigkeit, Angst, Verzweiflung, Wut. Preisfrage: Was kommt bei einem derartigen Cocktail wohl politisch am Ende hinten raus? Mit Sicherheit nichts Grünes ….

Zum Prekariat gehören in der überwältigenden Mehrheit auch Kulturschaffende der Republik. Wie der Schriftsteller Clemens Meyer. Der kriegte auf der Frankfurter Buchmesse einen Wutanfall, weil er den Buchpreis nicht kriegte, obwohl er darauf gehofft hatte. Wie seine Mitbewerber*innen auch. Meyer heulte daraufhin die Konkurrenz, den Kulturbetrieb und den Mond wie folgt an, und verließ tobend die Veranstaltung: „  … Schande für die Literatur, dass mein Buch den Preis nicht bekommen hat. Und dass es eine Scheiße ist, eine Unverschämtheit.  .. Wichser … etc. pp …“

Meyer hat Schulden, die er mit dem Preis hätte tilgen können, eine teure Scheidung am Laufen und, laut Wikipedia : „ … Er ist leidenschaftlicher Fan und Förderer des Galopprennsports. Ihm gehörten mehrere Rennpferde … „

Von einem gesellschaftlichen Engagement zur Verbesserung der Lebensverhältnisse des Prekariats hierzulande seitens Herrn Meyer, der mit Preisen bisher überhäuft wurde, ist nichts bekannt.

Wenn Sie, liebe Leserinnen, wissen wollen, warum ich hier mitunter gegen jene Fraktion des Prekariats, nämlich die Kulturschaffenden, wüte, hier haben Sie es hier präzise auf den Punkt gebracht. Meyer, eine erbärmliche, bewusstseinslose Wurst, ein niveauloser Jammerlappen, wie er im Buche steht. Mein Rat an Kollegen Meyer: Versuch’s doch mal mit Arbeit.

18.10.2024 – Love letters to the city

Im Museum Urban Nation, Berlin-Schöneberg, Bülowstr. 7, keine 5 Minuten vom Grosz Museum aus dem letzten Blog entfernt. Eine völlig andere Szene, im letzten eher das gutsituierte linksliberale Bürgertum jenseits der 50. Im Urban Nation gehört man unter all den globalen Hipstern da mit über 50 eindeutig zu den absoluten Ausnahmen.

In der aktuellen Ausstellung „Love letters tot he city“ zeigen in (Zitat ) „ … neun Kapiteln rund 50 Kunstwerke, wie urbane Landschaften neu konzipiert und die Grenzen zwischen sozialen und politischen, physischen und konzeptionellen Räumen überwunden werden können. Mit diesen teilweise ortsspezifischen Werken erkunden die Künstler eine nachhaltige, integrative und gerechte Zukunft durch die Aneignung des öffentlichen Raums. Themen wie Verstädterung, Gentrifizierung, Umweltprobleme und soziale Ungleichheit regen zur kritischen Diskussion und zum positiven Wandel an… „

So unterschiedlich, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die beiden Museums-Welten gar nicht. Den sozialökonomischen Status, den die Besucher*innen des Grosz Museums haben, streben die fleißigen, jungen, hippen Elitenjugendlichen im Urban Nation an. Und würden ihn ohne Zweifel auch erreichen und sich in 30 Jahren an ähnlichen Orten wie dem famosen Grosz Museum rumtreiben. Wenn ihnen der Lauf der bösen, bösen Geschichte da nicht mal einen Strich durch die Rechnung macht. Und in 30 Jahren als Folge von Kriegen, Seuchen, Rezessionen, Klimafolgen Städtetrips im Billigflieger rund um den Globus entweder sowas von out sind, gar nicht mehr möglich sind, weil es schlicht weder Flugzeuge noch funktionierende Flughäfen noch Museen gibt oder weil dann eine völlig andere Welt mit völlig anderen Fragen als der eines jeweiligen individuellen Sozialstatus existiert.  

Grosz Museum und Urban Nation verbindet viel, so formal unterschiedlich die Exponate auch sind: In den Werken drücken sich kollektive Wünsche und Sehnsüchte nach einer besseren

Welt aus, nach Gerechtigkeit, Teilhabe, nach einer Öffentlichkeit, einer Stadt, die allen gehört. Beiden Ausstellungen wohnt ein radikaler, politischer Impuls inne, mit hohem ästhetischem Eigenwert, und damit sind sie weit jenseits des normalen zeitgenössischen Kunsthandwerksgepinsel und Geklempnere.

Graffiti spielen natürlich eine Rolle in der Ausstellung. Hier ein Werk, dass den Ursprung der Graffiti-Technik abbildet, das sogenannte Sgraffito , den Abtrag von Putz an der Wand. Das ist auch der begriffliche Ursprung von „Graffiti“.

Nichts wie hin. Eintritt frei (eine pfiffige Wirtschaftsförderungsmaßnahme), leicht zu finden, das bunte Haus.

17.10.2024 – Existiert nur noch bis 25. November 2024!

Grandioser Ort. Das kleine Grosz Museum in einer alten Tankstelle in Berlin-Schöneber

Während direkt vor der Tür die U-Bahn vorbeidonnert (in Berlin ist die U-Bahn schon mal als Hochbahn unterwegs, dafür fahren S-Bahnen dann unterirdisch) und der Verkehr der Bülowstraße saust und braust, ist hier eine Oase hinter einer Wand aus Bambus.

Die aktuelle Ausstellung ist womöglich noch grandioser als der Ort. Unter dem Titel „Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht & Piscator“ widmet sie sich der künstlerischen Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen dem Künstler George Grosz, dem Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht und dem Theatermacher Erwin Piscator. Ende 1927 inszeniert Piscator im Theater am Nollendorfplatz „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hašek, den ein Autorenkollektiv unter zentraler Mitwirkung von Brecht für die Bühne bearbeitet. Grosz liefert Hunderte von Zeichnungen für das Stück. Die multimediale Inszenierung schreibt Theatergeschichte und wird zum großen Bühnenerfolg. Die begleitend zur Aufführung veröffentlichte Hintergrund-Mappe von Grosz führt zum längsten Kunstprozess der Weimarer Republik. Diese Ausstellung präsentiert epochale Werke, an denen Grosz, Brecht und Piscator gemeinsam arbeiteten. Ihre künstlerische Kollaboration mündete in zeitlosen Arbeiten, die die Gräueltaten des Faschismus aufdeckten, entschieden gegen Militarismus ankämpften und für die Meinungsfreiheit eintraten – Werke, die in Zeiten wie diesen nichts an Aktualität verloren haben. (Zitiert nach Ausstellungskatalog.)

Hitler in Hell. 1944. Öl. Grosz ist bekannt als Meister des Strichs, als Karikaturist. Aber auch in Öl und Aquarell ist er famos

Begräbnis 3. Klasse. 1930. Aquarell.

Auf den Schultern dieses Riesen stehen all die Karikaturisten-Nachfolgegenerationen, teils witzig, teils könnerhaft, mitunter kritisch. Aber die Brutalität, Expressivität, das unmittelbar ins Gemüt Greifende, die Präzision in der Aussage hat keiner von den zeitgenössischen Epigonen von Gernhardt über Wächter, Poth, Traxler, etc. pp. erreicht. Sie waren im Vergleich zu Grosz letztlich nur harmlose Spaßmacher und Clowns des Kulturbetriebs.

Grosz wurde in der BRD als Milieuzeichner, Genremaler zwar gewürdigt und geschätzt, aber eben auch kleiner gemacht als er war. Die unbedingte Parteilichkeit und der konsequente Antifaschismus seiner Arbeit wurden gerne mal unter jenen Teppich gekehrt, unter dem sich der Schmutz des zeitgenössischen Bürgertums stapelt. Der antibürgerlicher Kunstbegriff von Grosz gipfelte in der Anklage gegen den individualisierenden, vermeintlich unpolitischen Künstler, der im Geniewahn über allen Wassern zu schweben meint: „ … Arbeitet ihr etwa für das Proletariat, das der Träger der kommenden Kultur sein wird? […] Eure Pinsel und Federn, die Waffen sein sollten, sind leere Strohhalme.“ Das mit dem Proletariat würde ich heute, 100 Jahre später, anders formulieren. Aber sonst: Ein Satz wie ein Leberhaken.

Von gleichem Kaliber sind natürlich Brecht und Piscator und so vereint diese Ausstellung die Supergroup linker Kulturschaffender der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit.

Aktuell wird ja die Weimarer Republik wieder in der Bürgerpresse gerne zitiert. Im Zusammenhang mit dem Aufstieg des zeitgenössischen Faschismus wird sie in düsteren Menetekel-Farben an die Wand der Republik gepinselt. Wenig Worte dagegen über den antifaschistischen Widerstand der damaligen Zeit. Da würde man dann schnell bei Militanz und Gewalt landen, auch bei der KPD. Und das kehrt die Bürgerpresse dann doch mehrheitlich lieber unter den schon bekannten Teppich. Das ist ihr zu „Igitt!“

Grosz war natürlich Mitglied der KPD.

Warnhinweis: Die Ausstellung endet am 25.11.2024. Dann schließt dieses Museum endgültig seine Pforten! Also nichts wie hin.

13.10.2024 – Im auflösenden Zustand der Selbstverzwergung

Die Linke, im auflösenden Zustand der Selbstverzwergung. Im Streit um einen Antrag zu linkem Antisemitismus beim Berliner Linken-Parteitag verließen ca. 40 Delegierte aus Protest gegen eine Verwässerung der Kritik den Saal.

Der Verweis auf Menschen im Original-Antrag, die sich explizit als links verorten und antisemitisch artikulieren, sowie der Verweis auf die Aufrufe zur Vernichtung Israels sollte nach einem Änderungsantrag fehlen. In einer Passage, in der es um den Schutz des jüdischen Lebens in Berlin ging, sollte laut »Tagesspiegel« zudem der Zusatz »unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel« gestrichen werden. Das fand die Mehrheit der Delegierten. Daraufhin zogen die Antragsteller*innen ihren Original-Antrag zurück und verließen den Saal. Die einzig richtige Entscheidung. Wo Antisemitismus ist, können Linke nicht sein.

Der Berliner Parteitag spiegelt den dramatischen Verfall der Linken realistisch wider, die ihre Selbstverzwergung weiter aktiv vorantreibt. Und das in einer Zeit, wo eine radikale Linke, jenseits der immer reaktionärer auftretenden Grünen und SPD, notwendiger denn je wäre. Darüber hinaus dürfte der Berliner Parteitag das Zahlenverhältnis zwischen anständigen Linken und antisemitischen Pseudolinken realistisch widerspiegeln. Letztere sind die Mehreren.

Ich würde gerne über was anderes schreiben als Antisemitismus, das verfinstert mir zusehends das Gemüt. Aber leider lässt die böse, böse Realität das nicht zu. Darüber hinaus ist das Schreiben im Blog darüber für mich ein Akt der Katharsis und der Anblick des Gartenzwerges oben im Bild streut dem Geschehen jenen Hauch von Groteske bei, der die Zumutungen der Realität in einem Grinsen wenn schon nicht erstickt, so doch so deutlich mildert, dass einer sonnigen Herbstwoche gefasst ins Auge geschaut werden kann.

Ich hätte lieber über den 75. Geburtstag des DGB geschrieben und den Zustand der Gewerkschaften in einem chronischen Prozess der, siehe oben, Selbstverzwergung. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder hat sich in den letzten 30 Jahren fast halbiert. Mittlerweile kann man Gewerkschaften als Koloss auf tönernen Füßen bezeichnen. Ein paar kräftige gesellschaftliche Erschütterungen und die ganze Pseudoherrlichkeit kracht in sich zusammen. Beispiel Region Hannover: VW droht ebenso mit Standort-Schließungen wie der Autozulieferer ZF, bei mir umme Ecke, Hanomag Komatsu, 10 Minuten von umme Ecke entfernt, baut Hunderte Stellen ab, bei Krauss-Maffei Hannover, vormals Berstorff, ehemaliger Arbeitgeber, geht dem chinesischen Investor langsam die Geduld aus, da ist der ganze Standort bedroht. Ein paar Beispiele, wo tausende gut verdienende Facharbeiter*innen betroffen sein können.

Bei deren Protest auf der Straße möchte ich lieber nicht dabei sein, der wird völkisch Standortorientiert sein, die Wut wird sich auf Minderheiten richten, mit entsprechendem Wahlverhalten einer Klientel, die jetzt schon überdurchschnittlich AfD wählt. Wie die Gewerkschaften mit dem Rechts-Ruck und Druck ihrer Kernklientel umgehen werden, möchte ich mir lieber nicht ausmalen.

Was bleibt? Spontane Realitäts-Fluchtreflexe sind teuer. Direktflüge nach Korfu nur über Stuttgart und sündhaft teuer.

Oje. Also weiter schreiben und n bisschen Action.

12.10.2024 – Da sieht’s wieder aus wie bei Hempels unter dem Sofa.

Kleine Freuden des Alltags: Immer noch ploppen unverhofft Blüten auf, wie hier die lila Ackerwinde. Die Sonnenblumen dagegen knicken jetzt unter der Last des Herbstes nach und nach ein und lassen die Köpfe hängen. Wem fiele da nicht der aktuelle Politikbetrieb ein …

Kleine Freuden des Alltags 2: Nachbars Muschi guckt vorbei.

Weniger erfreulich: Ich merke zusehends, wie der nach dem 7. Oktober 2023 massiv aufgebrochene Antisemitismus Spuren bei mir hinterlässt. Mehr und tiefer als andere gesellschaftliche Krisen. Während Corona war ich öfter mal ebenso wütend über die Blödheit, Unvernunft und Rücksichtslosigkeit der Corona-Schwurbler wie ab und an über die wachsende Spaltung der Gesellschaft. Manchmal bin ich mehr als wütend, eher zornig über den anschwellenden Faschismus. Aber das sind alles Phänomene, die kann ich mir erklären, da stecken Interessen dahinter, oder zumindest Bedürfnisse, die, wenn auch falsch, so doch erklärbar und analysefähig sind.  Zum Beispiel die Sehnsüchte eines Faschisten nach einem starken Führer, nach Unterwerfung, nach Ordnung, Disziplin, aber auch seine Sehnsüchte nach Zerstörung, Vernichtung, dem Tod. Über allen kulturellen Äußerungen des Faschismus schwebt der Schleier des Todes. Man schaue sich nur die zehntausenden Kriegerdenkmäler in unserem Land an, wo in jeder Kuhbläke der „Helden“ zweiter Weltkriege gedacht wird. Diese in Stein gemeißelten düsteren Soldatenkiller sind der graue Horror, in jeder Fuge wohnt ihnen schon der nächste mörderische Schrecken inne. Der Gott des Faschisten ist nicht Eros, sondern Thanatos.

All das hat eine gewisse Logik, folgt einem System von Interesse und Bedürfnis, ärgert mich mitunter, hält mich aber weder intensiv noch nachhaltig von den kleinen oder sogar großen Freuden des Alltags ab.

Anders der Antisemitismus. Er ist mir im letzten und tiefen Grund unerklärlich. Woher dieses flächendeckende, weltweite Wahnhafte, über alle Klassenschranken, Geschlechtergrenzen, Ethnien, Altersgruppen etc. hinweg? Wieso ausgerechnet Juden als Hassprojektion? Wieso nicht, eigentlich viel verdienter, Christen mit ihrer schrecklichen, blutigen Vergangenheit? Oder die immer durchgeknallteren nationalistischen Hindus in Indien? Ganz zu schweigen von den Moslems, denen man in jeder Faser anmerkt, dass sie nie so etwas wie ein Zeitalter der Aufklärung durchlaufen haben? Was ist mit den schlichtdumpfen Buddhisten, den Konfuzianern etc. pp?

Jede Religion ist von Übel, aber was haben ausgerechnet 0,19 Prozent der Weltbevölkerung, 15 Millionen Jüd*innen, an sich, dass sie so wahnhaft gehasst werden?

Und wieso ausgerechnet Israel als Objekt so vieler Vernichtungsphantasien? Wieso nicht China, Russland, USA, Japan, Deutschland, Nordkorea, Afghanistan etc. pppp. Jede Kolonialmacht hat 10x mehr Dreck am blutigen Stecken (entgegen allem breitgetretenen Blödsinn ist Israel keine Kolonialmacht. Die zwei Millionen arabische Staatsbürger in Israel genießen annährend die gleichen Rechte. Ihre Benachteiligung und Unterdrückung ist vergleichbar mit weltweiter grundsätzlicher struktureller Unterdrückung und staatlicher Repression von Minderheiten). Israel hat eine reaktionäre Regierung. Aber welcher Staat hat  die zur Zeit nicht? Das Wesentliche, was Israel von allen anderen Staaten unterscheidet: Es ist von Hunderten Millionen Menschen umgeben, Staaten, Terrorgruppen, die seine Vernichtung wollen.

Wieso also ausgerechnet Israel?

Dieses Irrationale, Unerklärbare, dieses Loch in der Zivilisation, da seit dem 7. Oktober 2023 immer deutlicher wird, hinterlässt unerfreulichere Spuren als anderes in mir. Beim Anblick von antisemitischen Demos z. B. ploppen in mir Wünsche nach einem robusten Einschreiten des staatlichen Repressionsapparates auf, die ich in der Form bisher nicht hatte. Ich meine hier ein sehr robustes Einschreiten ….

Allein die Tatsache, dass ich mich damit beschäftigen muss, wo sind die Grenzen zwischen meinem Zorn des Gerechten und meiner überschießenden Wut der Antizivilisation, ärgert mich. Ich hab echt besseres zu tun. Müsste zum Beispiel die Veranda fegen, da sieht’s wieder aus wie bei Hempels unter dem Sofa….

11.10.2024 – Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an die Hamas!

Festival of Lights, Berlin, Humboldtforum. Beim Festival of Lights werden in Berlin nach Einbruch der Dunkelheit Lichtkunstwerke an markante Gebäude projiziert, über deren komplette Fläche. Ein überwältigender Anblick, Drogenrausch ohne Drogen. Kunst als Überwältigung, eine legitime Funktion und Strategie, jenseits von Aufklärung, Erbauung, Versenkung. Ökologisch nachhaltiger wäre es vermutlich, Scherenschnitt-Puzzles da aufzuhängen. Aber spätestens seit die heilige Johanna der Ökos, die militante Antisemitin Greta Thunfisch, bei der Gaza-Hass-Demo letzten Montag am Südstern aufkreuzte, entsichere ich jedes Mal, wenn ich das Wort „Öko“ höre, meine Pistole.

Parallel zur Demo der Terror-Sympathisant*innen am Südstern, ca. je zur Hälfte gewaltbereite Autonome und Antiimperialistinnen sowie Menschen mit palästinensischem Hintergrund, fand am Potsdamer Platz ebenfalls eine Pro-Palästina- Demo statt, die allerdings ein völlig anderes Setting hatte: Ausschließlich Angehörige der palästinensischen Community, mit expliziten Redebeiträgen, die Tonlage emotional, aber keinesfalls dieser hysterische Kammerton Hass, der am Südstern vorherrschte. Alles verlief gewaltfrei, die Polizei hielt sich im Hintergrund.

Ich war auch deshalb zur Demo am Potsdamer Platz geradelt, weil dort die Hochhäuser Bestandteil des Festivals waren. Die Demo überraschte mich positiv. Ich kann nicht einschätzen, inwieweit die Teilnehmenden dort diskursfähige demokratische Ansprechpartnerinnen sind. Aber anders als über Kommunikation, Austausch wird es keine Lösung für wachsenden migrantischen Antisemitismus geben. Grundsätzlich kann aus meiner Sicht die Auflösung von Faschismus, Terror, Hass nur aus Gaza und den angrenzenden Regionen selbst heraus erfolgen. Die Bevölkerung dort müsste das Unterdrückungsjoch der Hamas abschütteln, sich selbst emanzipieren, gleiches müsste aus den Communities hierzulande erfolgen.

Ich bin da allerdings skeptisch. Wie gut das mit dem Abschütteln des Jochs und der Emanzipation aus sich selbst heraus klappt, haben wir ja 1945 in Deutschland und Japan gesehen. Den Japaner hat erst die Atombombe auf die Friedensspur gebracht und von Deutschland gab es nichts mehr zu befreien von Nazis, Deutschland war praktisch vollständig von den Alliierten erobert. Beiden faschistischen Ländern fehlte komplett auch nur der Ansatz einer Befreiungsbewegung, einer Resistance, abgesehen von ein paar verzweifelten und heldenhaften bürgerlichen, fortschrittlichen und kommunistischen Widerstandsgruppen.

Und die globale Mentalität spricht auch gegen zivilgesellschaftliche Ansätze: so unterschiedlich die Regionen der Welt auch sein mögen, eins eint sie, ob sie arm sind oder reich: Antisemitismus. Ich warte noch auf die ersten Palästinaflaggen in der Antarktis oder am Nordpol, an Forschungsstationen, auch die Wissenschaftsgemeinschaft ist durchseucht mit Antisemitismus. Apropos: Nachher werden die Trägerinnen des Friedensnobelpreises bekannt gegeben. Würde mich nicht wundern, wenn es dieses Mal die Hamas wird.

Schön sind immer die kleinen Begegnungen am Rande:

Am Potsdamer hatte ich ein angenehmes Gespräch mit diesem Mitglied der APPD, nach dem SCHUPPEN 68 die zweite Satirepartei, die jemals zu einer Wahl in der BRD angetreten ist. Der nicht mehr ganz junge Mann war überaus eloquent und radikal, aber entgegen seinem T-Shirt Motto nicht ganz konsequent. Unser Gespräch wurde durch Kunden von ihm beendet. Er war Lenker einer Fahrrad-Rikscha, ein ziemlicher Knochenjob in der Benzinhölle von Berlin.